AboAbonnieren

Wüst für schärfere Sanktionen gegen Russland

Lesezeit 4 Minuten

Düsseldorf – Unter dem Eindruck der Kriegsgräuel in der ukrainischen Stadt Butscha haben die Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag eine schnelle Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen gefordert. Der Weg dorthin ist allerdings umstritten.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verlangte in einer Unterrichtung des Landtags zum Ukraine-Krieg zugleich schärfere Sanktionen gegen Russland und schnellere Waffenlieferungen durch Deutschland. „Deutschland muss den Menschen in der Ukraine jetzt noch stärker beistehen”, sagte Wüst.

Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Gebiet nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew hatten Aufnahmen von Leichen auf den Straßen des Vororts Butscha international für Entsetzen gesorgt. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten verantwortlich. Moskau bestreitet die Vorwürfe und spricht von einer Inszenierung, allerdings ohne Beweise oder Belege.

Es sei gut, dass die EU die Kohle-Importe aus Russland stoppen wolle und richtig, dass die Bundesregierung das unterstütze, sagte Wüst. „Deutschland darf nicht wieder Bremsklotz der Bemühungen der westlichen Staatengemeinschaft um Frieden und Gerechtigkeit in der Ukraine sein”. Eine Antwort auf den Krieg Russlands in der Ukraine müsse sein, „so schnell wie möglich” raus aus russischen Energielieferungen zu kommen.

SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty warnte vor Forderungen nach einem sofortigen Boykott von Energielieferungen aus Russland. „Wir würden uns viel stärker schaden als dem Kriegsverbrecher-Regime in Moskau.” Bei einem sofortigen Gas-Boykott würden in NRW ganze Wertschöpfungsketten zusammenbrechen, aber Putin könne seinen Krieg weiterführen, sagte der SPD-Fraktionschef. CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen sagte indessen, vielleicht sei es doch notwendig, zu überlegen, die Gaslieferungen aus Russland sofort einzustellen, wenn das helfe, den Krieg zu beenden.

Kutschaty wie auch Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer forderten erneut, die Abstandsregeln bei Windrädern abzuschaffen. Schäffer sagte, auch Wüst trage Verantwortung, die Abhängigkeit von russischen Ressourcen zu lösen.

Kutschaty warf der CDU/FDP-Landesregierung vor, konkrete Antworten auf Energiefragen und andere Themen schuldig geblieben zu sein. „Aber am 15. Mai gibt es ja eine Wahlmöglichkeit”, sagte er am Ende seiner Rede. An dem Tag ist die Landtagswahl in NRW. Dies trug ihm einen Rüffel der CDU ein. Kutschaty nutze die Ukraine-Debatte für „Wahlwerbung”, kritisierte Löttgen.

FDP-Fraktionschef Christof Rasche sagte, die erneuerbaren Energien seien zwar langfristig die Lösung, aber sie könnten die Probleme nicht kurzfristig lösen. Rasche prognostizierte mit Blick auf die geplante Abschaltung von Kohlekraftwerken und das Ziel eines früheren Kohleausstiegs bis 2030: „Wir kommen an einer Laufzeitverlängerung nicht vorbei - vermutlich bis Ende der 20er Jahre.”

Deutschland muss sich nach Ansicht Wüsts auch in der Nahrungsmittelversorgung stärker um Unabhängigkeit kümmern. „Dafür müssen wir das ganze Potenzial der heimischen Landwirtschaft nutzen”, betonte er. „Es kann doch nicht sein, dass wir in dieser Situation guten Boden nicht nutzen zur Lebensmittelproduktion.” Dies werde an diesem Donnerstag ein Thema der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) sein, sagte der MPK-Vorsitzende.

Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass Lieferketten praktisch über Nacht zusammenbrechen könnten. Die Lebensmittelversorgung sei aber derzeit nicht gefährdet.

Wüst ermahnte den Bund, die Kommunen bei der Versorgung und Integration der Ukraine-Flüchtlinge nicht im Stich zu lassen. Die Flüchtlingshilfe werde das Hauptthema der MPK an diesem Donnerstag sein. Die Kommunen benötigten eine faire Lösung. „Das Land, die Kommunen und die Menschen vor Ort tun, was in ihrer Macht steht - und deshalb muss nun auch der Bund tun, was in seiner Macht steht.”

Bei den anstehenden Aufgaben gehe es nicht nur um den Lebensunterhalt, sondern auch um Wohnraum, medizinische und psychologische Hilfe, Kinderbetreuung, Schulplätze und Integration. Auch die Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge müsse besser werden.

SPD-Fraktionschef Kutschaty reagierte darauf mit der Anspielung auf ein Zitat der früheren Kanzlerin Angela Merkel, das sich auch Wüst zu eigen gemacht hatte: „Statt 'Wir schaffen das' sollte der Ministerpräsident lieber sagen 'Wir zahlen das'”, sagte Kutschaty.

Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) sieht eine Tendenz, dass Ukraine-Flüchtlinge künftig Grundsicherungsleistungen bekommen können. Wie die Kostenaufteilung gestaltet werde, hänge aber von den Bund-Länder-Verabredungen an diesem Donnerstag ab.

Die Grundsatzentscheidung sei, ob es für die Ukraine-Flüchtlinge Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder Grundsicherung geben sollte. Es gebe „wohl die Tendenz” zur Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB), sagte Stamp. Auch bei der Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt überwögen damit die Vorteile.

AfD-Fraktionschef Markus Wagner warf der Bundesregierung vor, dass die Einreise über die deutsch-tschechische und deutsch-polnische EU-Binnengrenze „in großem Umfang ungesteuert und unkontrolliert” erfolge. Dadurch könnten unerwünschte „Trittbrettfahrer” einreisen.

© dpa-infocom, dpa:220405-99-808611/8 (dpa)