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Wüst gewinnt Wahl: Kutschaty hätte nur bei Ampel Chance

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Düsseldorf – Ministerpräsident Hendrik Wüst hat mit der CDU die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen überraschend klar gewonnen - trotzdem hat auch SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty noch einen Funken Hoffnung. Klar ist: Für die bisherige schwarz-gelbe Koalition wird es nicht mehr reichen im einwohnerstärksten Bundesland. FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp sieht jetzt die Wahlgewinner CDU und Grüne am Zug - und geht davon aus, dass sie eine Regierung bilden werden. Auch die nordrhein-westfälische SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders sagt: „Natürlich liegt der Regierungsauftrag bei CDU und den Grünen.”

Die CDU konnte am Sonntag ihre Position als stärkste Kraft ausbauen und kam laut einer Hochrechnung auf 35,9 Prozent (ZDF, 22.56 Uhr). Doch kam ihr der Koalitionspartner FDP abhanden. Die freien Demokraten schafften mit 5,8 Prozent (ZDF, 22.56 Uhr) voraussichtlich den Wiedereinzug, doch reichte es nicht für eine Fortsetzung der schwarz-gelben Regierungskoalition.

Abgesehen von der eher theoretischen Möglichkeit einer großen Koalition mit der SPD kann Wüst nur mit den Grünen weiterregieren. Die konnten mit ihrer Spitzenkandidatin Mona Neubaur ihren Stimmenanteil fast verdreifachen und holten laut ARD-Hochrechnung 18,1 Prozent (22.55 Uhr).

Auf der anderen Seite fuhr die SPD ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in ihrer einstigen Hochburg NRW ein. Die Sozialdemokraten kamen nur noch auf 26,7 Prozent (ZDF, 22.56 Uhr), 4,5 Prozent weniger als vor fünf Jahren. Dennoch war am Abend rein rechnerisch eine Ampel-Koalition mit den Grünen und der FDP möglich. Für eine Regierung nur aus SPD und Grünen zeichnete sich zunächst keine Mehrheit ab.

„Es gibt zwei Gewinner heute Abend: Das sind die Grünen und das ist die CDU”, sagte Wüst am Abend in der ARD. Auf die Frage nach Schnittmengen sagte Wüst mit Bezug auf NRW: „Wir haben eine Riesenherausforderung vor uns: Das ist Klimaschutz in diesem Industrieland.” Ohne die Grünen namentlich zu nennen, ergänzte er: „Klimaschutz ist die größte Herausforderung unserer Zeit, unserer Generation.” Es gelte nun, in NRW ökologische und wirtschaftliche Kompetenz zusammen zu bringen.

Grünen-Spitzenkandidatin Neubaur wies den Klimaschutz als wichtiges Thema für mögliche Sondierungsgespräche mit anderen Parteien in Nordrhein-Westfalen aus: „Wir haben einen eigenständigen und selbstbewussten Wahlkampf geführt und offensichtlich sind wir dafür jetzt belohnt worden”, sagte sie in der ARD. Auf die Frage, welches Projekt bei Sondierungsgesprächen für die Grünen unverhandelbar sei, nannte sie die „Menschheitsaufgabe Klimaschutz”, bei der aber der soziale Zusammenhalt gewahrt werden müsse. „Es wird eine starke grüne Handschrift geben”, sagte Neubaur.

Die Grünen ließen zunächst offen, mit wem sie lieber zusammenarbeiten würden. Neubaur sagte im WDR, es dürfe bei der Frage von Koalitionsverhandlungen keine Präferenz nach Farben geben. Man werde mit allen demokratischen Parteien sprechen. Sie machte deutlich, dass die Grünen auf jeden Fall an einer Regierung beteiligt sein wollen.

Auch Wüst (CDU) will mit allen demokratischen Parteien über eine mögliche Regierungsbildung reden. „Ich werde mit allen Vertretern demokratischer Parteien, die jetzt in den Landtag gewählt worden sind, das Gespräch suchen”, sagte Wüst im WDR. „Wir werden eine verlässliche, eine stabile Regierung bilden, die Antworten auf die Fragen dieser Zeit gibt.”

Die SPD gab sich trotz des historisch schlechten Ergebnisses betont gelassen. „Unser Ergebnis liegt unter unseren Erwartungen”, sagte Kutschaty am Sonntagabend in Düsseldorf vor seinen Anhängern. Man stehe bereit für Koalitionsgespräche. „Wir werden uns die Ergebnisse in Ruhe angucken und gelassen bleiben.” Es gebe überhaupt keinen Grund, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, so der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. „Wir werden uns Gesprächen nicht verschließen.” Die nordrhein-westfälische SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders sieht den Regierungsauftrag zunächst bei CDU und Grünen. „Natürlich liegt der Regierungsauftrag bei CDU und den Grünen, denen ich herzlich zu dem Erfolg, insbesondere den Grünen, gratuliere. Aber wir sind bereit für Gespräche”, sagte Lüders dem WDR.

FDP-Spitzenkandidat Stamp sprach von einer „bitteren Niederlage”. Es sei nicht gelungen, „unsere Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren”, sagte er im WDR. „Wir müssen jetzt sehen, was hier nicht geklappt hat.” Die Probleme seien vielschichtig gewesen. Aber natürlich sei er der Landesvorsitzende und der Spitzenkandidat. „Und deswegen ist das in erster Linie meine Verantwortung, mein Ergebnis.” FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete das schlechte Wahlergebnis seiner Partei als „desaströse Niederlage”.

Stamp geht von einer künftig schwarz-grünen Landesregierung aus. „Wir haben zwei klare Wahlgewinner und ich gehe davon aus, dass die beiden auch miteinander koalieren werden”, sagte er im WDR. Angesprochen auf eine denkbare Beteiligung der FDP in einer Ampel-Koalition sagte Stamp: „Sie glauben doch nicht, dass wir angesichts dieses Ergebnisses jetzt hier über Regierungsbeteiligung spekulieren.” Unter Demokraten schließe man zwar nie Dinge grundsätzlich aus. Aber es seien „andere am Zug, hier die Regierung zu bilden”.

Auch die AfD schaffte trotz Verlusten mit 5,5 Prozent (Hochrechnung ARD 22.55 Uhr) den Wiedereinzug in den Landtag. Bei ihrem ersten Einzug 2017 hatte sie noch 7,4 Prozent erreicht. „Wir sind gekommen, um zu bleiben”, sagte Spitzenkandidat Markus Wagner in der ARD.

Nach Einschätzung des Politologen Stefan Marschall haben im Wahlkampf der Ukraine-Krieg und die mit ihm verbundenen Themen Energie und Inflation eine entscheidende Rolle gespielt. Die Grünen hätten diese Themen glaubwürdig besetzen können, auch weil sie mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck zwei Persönlichkeiten mit großer Ausstrahlung vorweisen könnten. Die Grünen seien jetzt in einer starken Ausgangslage: „Das sind die Königsmacher. Sie können jetzt zwischen Optionen entscheiden, und das ist natürlich die beste Position, die man haben kann, denn dann kann man die Preise hochtreiben.”

© dpa-infocom, dpa:220515-99-301275/3 (dpa/lnw)