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Corona-PolitikWie Angela Merkel dem Bund mehr Kontrolle verschaffen könnte

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Angela Merkel

Berlin – Es ist ein großes Wort, das Angela Merkel für die missglückte Ministerpräsidentenkonferenz in der vorigen Woche benutzt. Die nächtlichen Verhandlungen mit dem undurchdachten Beschluss zur erweiterten Osterruhe sind für die Kanzlerin eine „Zäsur“. Nur was daraus folgt, ist bis jetzt unklar. „Ich bin noch am Nachdenken“, sagt die Kanzlerin bei „Anne Will“ am Sonntagabend. Und diese Phase ist noch nicht abgeschlossen, erklärt ihr Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Für die einen klingt es wie eine Drohung, für die anderen wie eine leere Drohung. Klar ist aber: Ein Weiter-so wird es nicht geben.

Merkels rechtlichen Möglichkeiten, in die Länder hineinzuregieren, sind zwar begrenzt. Aber mit ihrer Schelte vor einem Millionen-Publikum über Ministerpräsidenten, die nicht wie vereinbart bei steigenden Infektionszahlen die Notbremse ziehen, hat sie enormen Druck aufgebaut. Eine Zäsur – das kann einen bloßen Einschnitt oder eine Unterbrechung, aber auch einen Bruch in der Corona-Politik mit dem Versuch der Kompetenzausweitung des Bundes bedeuten.

Merkels Auftritte bei Anne Will bedeuten: Es brennt die Luft

Seit sie die Osterruhe-Idee als persönlichen Fehler bezeichnet und die Bürgerinnen und Bürger denkwürdig für die Verunsicherung um Verzeihung gebeten hat, wirkt Merkel wie befreit. Sie schüttelt sich nach solchen Krisentagen und setzt neu an. Erst hat sie den Bundestagsabgeordneten Rede und Antwort gestanden, dann eine Regierungserklärung gehalten und nun bei „Anne Will“ gesessen. Immer, wenn Merkel dieses Format des einstündigen Interviews mit der Journalistin wählt, brennt die Luft. So war es vor allem in der Flüchtlingskrise. Merkel kann dort konzentriert auf alle kritischen Punkte antworten.

Das Eingeständnis eines Fehlers versetzt Merkel offensichtlich in die Lage, die Ministerpräsidenten nun härter anzugehen. Sie macht da auch nicht vor dem aufstrebenden Parteikollegen Tobias Hans aus dem Saarland halt, der mit - von Bund und Ländern gemeinsam vereinbarten - Modellprojekten Lockerungen angeht. Merkel moniert, dass auch die Neuinfektionen im Saarland nicht im Sinken begriffen seien - und das sei als Voraussetzung vereinbart worden.

Tobias Hans widerspricht der Kanzlerin

Hans fühlt sich getroffen. Er erklärt am Montag: „Wir machen kein fahrlässiges Experiment, wir handeln verantwortungsvoll, vorsichtig und mit Bedacht.“ Das Saarland wolle ein neues Kapitel in der Pandemiebekämpfung aufschlagen, ohne dabei von dem umsichtigen Kurs abzuschwenken. An die Stelle von Beschränkungen träten keine Lockerungen, sondern Testauflagen. „Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, mit denen wir die Grundrechtseinschränkungen im Kampf gegen die Pandemie so gering wie möglich halten.“ Das ist, was die Ministerpräsidenten vor Ort zu spüren bekommen: Viele Menschen wollen raus.

Armin Laschet ist von Merkels Kritik doppelt getroffen. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und als CDU-Vorsitzender. Merkel hat moniert, dass er die Notbremse nicht hart genug umsetze. NRW will Bürgerinnen und Bürgern Ausnahmen von den scharfen Regeln erlauben, wenn sie einen tagesaktuellen negativen Schnelltest vorweisen - auch, wenn die Infektionszahlen höher als 100 pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen liegen. Diese Inzidenz war als Notbremse vereinbart worden.

Armin Laschet ist doppelt getroffen

Als NRW-Ministerpräsident kann er noch sagen - und tut es am Montag auch: „Nordrhein-Westfalen hat die Notbremse flächendeckend verpflichtend für alle Landkreise per Verordnung umgesetzt.“ Von den Ausnahmen spricht er hier nicht. Aber als neuer CDU-Chef muss er sich jetzt gegen die Kanzlerin behaupten. Das erwarten viele von ihm in der Partei. Ein schmaler Grat für den 60-Jährigen, der Kanzlerkandidat werden will.

Laschet geht nach einer Videoschalte des CDU-Präsidiums im Konrad-Adenauer-Haus vor die Kameras. Er nennt Merkel nicht namentlich. Aber er sagt: „Es hilft uns auch nicht weiter, wenn Bund und Länder sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben.“ Und dann kommt doch so etwas wie ein Seitenhieb. Merkel habe im vorigen Jahr die Ministerpräsidenten immer wieder zusammengeführt und zusammengehalten. Angesichts der ernsten Lage, müsse man dorthin zurückkommen. Könnte heißen: Die Kanzlerin habe an Autorität verloren. Und er verzichtet auch nicht darauf, Merkels „Nachdenken“ aufzuspießen. „Ich bin für jeden Vorschlag des Bundes offen.“ Im Moment habe er aber noch nichts gehört.

Das CDU-Präsidium schlägt nun vor, dass die nächste für den 12. April geplante Ministerpräsidentenkonferenz in Präsenz sein soll. Die Beratungen per Video, bei denen nicht nur die zwei regierenden Frauen und 14 Männer zugeschaltet sind, sondern 60, 70, 80 Zuhörer, wie Laschet sagt, seien viel zu unruhig. Ständig werde irgendein Detail an die Medien durchgestochen. Auch das ist eine Form von Politik. Manchmal können sich Spitzenpolitiker profilieren, indem die eigene Lesart oder der eigene Vorschlag schnell verbreitet wird. Manchmal sind es Testballons, wie Ideen ankommen und werden je nach Reaktionen wieder verworfen. Bei der Osterruhe war nach dem Durchstechen keine Zeit mehr, um die Wirkung abzuwarten. Es war ohnehin schon mitten in der Nacht.

Was will Merkel genau?

Es wird aber gerätselt, was Merkel damit meint, dass sie nicht abwarten werde, bis in Deutschland täglich 100.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet würde, wie es das Robert-Koch-Institut prognostiziert, wenn nicht hart durchgegriffen werde. Würde sie eine Notstandsregelung anstreben?

„Unsere Verfassung sieht nicht vor, dass die Bundeskanzlerin in dieser Form die Macht an sich ziehen und durchregieren kann. Dafür gibt es keine rechtlichen Instrumentarien, und das ist auch gut so“, sagt der Staatsrechtler und Professor für Öffentliches Recht, Steffen Augsberg, der auch Mitglied im Ethikrat ist, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Eine Notstandsregelung sieht er für die Corona-Pandemie nicht gegeben: „Die Verfassung regelt den sogenannten inneren und äußeren Notstand. Der äußere Notstand betrifft den Verteidigungsfall. Der liegt hier nicht vor. Der innere Notstand ist vor allem der Katastrophenfall. Aber das bedeutet nur, dass der Bund die Bundesländer anweisen kann, sich gegenseitig zu helfen.“

Staatsrechtler: Merkel könnte auch Spahn austauschen

Der Bund könnte aber zusätzliche Kompetenzen über Gesetzgebungsakte an sich ziehen, etwa das Infektionsschutzgesetz ändern lassen, sagt Augsberg. Das hat Merkel bereits angedeutet. „Prinzipiell wäre aber nach dem Ressortprinzip der Bundesgesundheitsminister für die Ausführung zuständig und nicht die Kanzlerin. Wenn sie tatsächlich der Auffassung sein sollte, dass das Problem dort liegt, könnte sie den Minister austauschen, um das bestehende Gesetz konsequenter anwenden zu lassen“, meint Augsberg.

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Es gibt aber noch eine Möglichkeit, die Augsberg so erklärt: „Die Kanzlerin kann über Art. 74, Absatz 1, Nr. 19 GG die Kompetenzen des Bundes ausweiten. Darüber müsste aber der Bundestag entscheiden, und die Länder hätten über den Bundesrat eine Einspruchsmöglichkeit, könnten das Vorgehen also zumindest vorübergehend verhindern.“ Aber zustimmungspflichtig ist dieser Punkt nicht. Mit Nummer 19 sind Maßnahmen gemeint gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren. Der Staatsrechtler glaubt aber vielmehr: „Ihren Auftritt bei Anne Will verstehe ich so, dass sie die Ministerpräsidenten getadelt hat, um eine größere Geschlossenheit zu bekommen.“

Ramelow ist es wirklich leid

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist allerdings eher abgestoßen. Er sei es wirklich leid, sich anhören zu müssen, „was man hätte tun müssen, aber selbst tatsächlich nichts getan hat, sagt er dem RND. „Ich fordere schon seit langem einen Stufenplan und einheitliche Regeln für ganz Deutschland. Wenn die Kanzlerin das auch thematisiert, soll's mir recht sein. Ich bin nur irritiert, dass sie das jetzt als Drohkulisse aufbaut.“ Und er ärgere sich über ihre Tonart.

Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sagt dem RND, die Pandemie habe gezeigt, dass es sinnvoll wäre, bundeseinheitliche Leitplanken festlegen zu können. „Auch bei möglichen Ausgangsbeschränkungen wäre es sinnvoll, klare einheitliche Leitlinien vorzugeben.“ Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) spricht sich dafür aus, dass der Bund im Kampf gegen die Corona-Pandemie das Ruder übernimmt. Dafür könne auch ein eigenes Gesetz beschlossen werden, in dem dann genau geregelt sei, „was bei welcher Inzidenz zu geschehen hat“. Der Bund habe „von jeher die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet“, sagte der CSU-Politiker der „Süddeutschen Zeitung“, „man muss nur Gebrauch davon machen“.

Man könnte aber auch einfach von den vereinbarten Regeln Gebrauch machen, finden auch Ministerpräsidenten. Denn am 3. März hatten sie einen detaillierten Stufenplan besprochen. So sagt die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer: „Bund und Länder haben Anfang März einen Perspektivplan aufgelegt. Dieser Perspektivplan richtet sich am Infektionsgeschehen aus und sieht ein wirksames Instrument vor: Die Notbremse.“ Wenn sie denn nur auch von allen gleichermaßen gezogen werden würde. In einem sind sich die meisten aber einig: Sie wollen keine zusätzliche Ministerpräsidentenkonferenz.