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EnergiepolitikWarum redet Deutschland wieder über Kernkraft?

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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern.

  1. Die Debatte um Atomkraft ist neu entbrannt.
  2. FDP und Union machen Druck und fordern eine Laufzeitverlängerung der alten Reaktoren. Grüne und SPD lehnen das strikt ab.
  3. Welche Optionen es tatsächlich gibt.

In der Ampelkoalition gibt es Streit um um den Umgang mit der Kernenergie. Die Liberalen wollen wie auch die Unionsparteien die alten Meiler weiter in Betrieb halten, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der neuen Debatte.Wieso ist die Kernkraft wenige Monate vor dem Ausstieg wieder ein Thema?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt die Energiepolitik der letzten Jahre auf den Kopf. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 wandte sich die damalige Bundesregierung aus Union und FDP von der Energieform ab und beschloss den endgültigen Ausstieg.

Als Übergangstechnologie wollte auch die Ampelkoalition russisches Gas beziehen. Das ist nun nicht mehr möglich - langfristige Geschäfte mit Wladimir Putin lehnt die Bundesregierung ab. Doch zunächst hat sie ein anderes Problem: Weil die Gaslieferungen aus Russland zuletzt zurückgegangen sind, will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das vorhandene Gas zur Auffüllung der Speicher in Vorbereitung auf den Winter nutzen. Bei einer Mangellage sollen Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung wieder aus der Reserve genommen werden. Atomkraftbefürworter kritisieren das, weil Kernenergie CO2-neutraler als Kohlekraft ist.

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Wie viele Atomkraftwerke gibt es noch?

Am Netz befinden sich noch drei Kernkraftwerke: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Sie stehen in Bayern, Niedersachsen sowie Baden-Württemberg und sollen Ende 2022 abgeschaltet werden.

Warum fordern FDP und Union jetzt die Laufzeitverlängerung?

CDU/CSU pochen mit Blick auf die Versorgungssicherheit auf einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Die Wende nach Fukushima habe nicht funktioniert, wie viele sich das vorgestellt hätten, sagte etwa der bayrische Ministerpräsident Markus Söder im ARD-„Sommerinterview“. Er selbst forderte 2011 den Ausstieg. In der jetzigen Situation sei es aber nicht sinnvoll, Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, mahnte Söder. Die FDP macht ebenfalls Druck, formuliert ihre Forderung aber zurückhaltender und dringt auf eine „ideologiefreie Debatte“.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler sagte der „Welt“, die Kernkraftwerke seien zwar kein Allheilmittel, „aber in einer Mangellage muss das Gas zum Heizen der Wohnungen und für die Industrie zur Verfügung stehen“. Parteipolitik spielt auch mit rein: Vor allem die FDP kämpft aktuell mit schlechten Umfragewerten und erhofft sich durch diese Debatte wohl mehr Sichtbarkeit innerhalb der Ampelkoalition.

Weshalb stellen sich SPD und Grüne dagegen?

Die Grünen sehen im Weiterbetrieb ein hohes Risiko, aber nicht nur wegen des Atommülls und der offenen Endlagerfrage. Sie verweisen auch auf den großen Aufwand, der dem Nutzen nicht gerecht wird. So würden laut Bundesumwelt- und wirtschaftsministerium (beide grün geführt) eine Laufzeitverlängerung „nur einen begrenzten Beitrag“ zur Versorgungssicherheit leisten. Im Strombereich deckten die verbliebenen AKW circa fünf Prozent der deutschen Stromproduktion, hieß es. Bei den Grünen spielt ebenfalls Parteipolitik eine Rolle, eine Verlängerung der Laufzeiten würde ihre Basis verärgern.

Die SPD lehnt einen Weiterbetrieb ebenso ab. Kanzler Olaf Scholz (SPD) betonte im Interview mit dem „Merkur“, der Atomausstieg sei lange beschlossen. Brennelemente und die nötigen Wartungsintervalle der Anlagen seien genau darauf abgestimmt. So reichten die Brennstäbe noch bis zum Ende des Jahres. Neue zu besorgen, würde mindestens 12 bis 18 Monate dauern, sagte Scholz. Allerdings: Der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung lag im Jahr 2021 bei 12,6 Prozent. Befürworter des Weiterbetriebs sehen nun die Chance, diesen Verbrauch zu verringern und so Gas zur Verstromung zu sparen.

Wäre eine Verlängerung möglich - was sagen die Betreiber?

Ob eine Verlängerung für alle drei AKW umsetzbar wäre, lässt sich nicht klar beantworten. Grundsätzlich sehen die AKW-Betreiber RWE, EnBW und Eon längere Laufzeiten jedoch skeptisch. „Unser Kraftwerk in Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein“, erklärte etwa RWE. „Ein Weiterbetrieb über den 31. Dezember hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden.“

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Doch Tüv Süd kam in einer Analyse im Auftrag des bayrischen Umweltministeriums zu dem Schluss, dass Isar 2 noch über eine Brennstoffreserve verfügt. Die Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Weiterbetrieb einige Monate mit bereits vorhandenen Brennelementen möglich wäre. Isar 2 könnte demnach bis 2023 zusätzlich 5160 Gigawattstunden Strom produzieren. Die Chance könnte aber schon verstrichen sein: Der Leiter des Kernkraftwerks, Carsten Müller, hatte einen Laufzeitverlängerung ausgeschlossen, sollte nicht im Mai eine entsprechende politische Entscheidung gefallen sein.