Brüssel – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Europäerinnen und Europäern Hoffnungen gemacht, dass die zäh angelaufene Impfkampagne bald an Fahrt gewinnen könnte. In den nächsten drei Monaten soll dreimal so viel Impfstoff kommen wie seit Jahresbeginn, sagte von der Leyen am Donnerstag beim Corona-Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs.
Die konnten sich zwar am Abend darauf einigen, dass die Produktion von Impfstoffen in der EU ausgebaut werden soll. Doch der Streit über die Verteilung von Impfdosen zwischen den EU-Staaten konnte bis zuletzt nicht beigelegt werden.
Bis Ende März sollen 100 Millionen Dosen geliefert sein
Der aktuelle Stand der Impfkampagne in der EU sieht so aus: Von den knapp 450 Millionen EU-Bürgern sind bisher 62 Millionen mindestens einmal gegen Corona geimpft worden, 18,2 Millionen Menschen zweimal. Die EU-Staaten erhielten von den Pharmakonzernen bisher rund 88 Millionen Impfdosen.
Bis 31. März sollen es rund 100 Millionen Dosen sein. Für die Monate April bis Juni hätten die Pharmakonzerne dann 360 Millionen zugesagt, sagte von der Leyen.
Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der Erwachsenen geimpft sein
Damit hoffen die EU-Staaten, die dritte Corona-Welle in den Griff zu bekommen. Offiziell hält die EU weiter an ihrem Ziel fest, bis zum Sommer 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zu impfen. Die Terminangaben gehen allerdings durcheinander.
Die Bundesregierung spricht davon, bis Ende September allen Erwachsenen ein Impfangebot machen zu können. EU-Industriekommissar Thierry Breton sprach bereits davon, dass das Ziel bis zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli erreichbar sei.
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Obwohl die Impfstoffe in der EU Mangelware sind, seien erhebliche Mengen exportiert worden, sagte von der Leyen. Seit 1. Dezember vergangenen Jahres seien das 77 Millionen Dosen gewesen. Davon gingen nach Darstellung der EU allein 21 Millionen Dosen nach Großbritannien. Von dort seien allerdings keine Impfstoffe in die EU geliefert worden.
Anhand dieses Missverhältnisses warb die EU-Kommissionspräsidentin bei den Staats- und Regierungschefs um Unterstützung für ihre Pläne, die Exporte von Impfstoffen stärker als bisher zu kontrollieren. Offenbar mit Erfolg.
Signal an Astrazeneca und britische Regierung
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach dem Gipfel: „Wir unterstützen die Kommission im Grundsatz.“ Allerdings müsse sichergestellt werden, dass internationale Lieferketten nicht unterbrochen würden. Auch werde die EU weiter Impfstoffe auch an ärmere Länder liefern, sagte Merkel. Das Coronavirus werde erst dann besiegt sein, wenn jeder auf der Welt geimpft sei.
Die verschärften Bestimmungen richten sich in erster Linie an den britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca und an die britische Regierung. Astrazeneca ist mit seinen Lieferungen an die Europäische Union enorm im Rückstand. Statt bis zu 220 Millionen Dosen will das Unternehmen den EU-Staaten bis zur Jahresmitte nur 100 Millionen liefern. Auch soll Großbritannien dazu bewegt werden, Impfstoffe in die EU zu liefern.
Österreichs Bundeskanzler Kurz kann sich nicht durchsetzen
Der Streit um die EU-interne Verteilung der Impfstoffe wurde trotz stundenlanger Verhandlungen nicht gelöst. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz beharrte bei der Videokonferenz darauf, dass einige EU-Staaten zusätzlichen Corona-Impfstoff bekommen sollen.
Zusammen mit fünf weiteren EU-Staaten beklagt Kurz eine ungleiche Verteilung. Sie kommt dadurch zustande, dass nicht alle EU-Staaten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen von allen Herstellern gekauft hatten. Die übrigen Dosen konnten von den anderen Ländern gekauft werden, die dadurch überproportional viel haben.
Eine vorgezogene Lieferung von zehn Millionen Dosen des Herstellers Biontech/Pfizer könnte einige Löcher stopfen. Doch wer wie viele Dosen daraus erhalten soll, ist auch nach dem EU-Gipfel unklar. Bundeskanzlerin Merkel sagte am Abend, die Botschafter der EU-Staaten in Brüssel seien beauftragt worden, eine faire Lösung des Problems zu finden.
Nach etwa sechs Stunden waren die Videoverhandlungen über die Impfstoffe zunächst unterbrochen worden. Auf dem Programm stand am Abend die erste digitale Begegnung des neuen US-Präsidenten Joe Biden mit den Spitzen der EU. Merkel sagte, es sei dabei um den Neustart der transatlantischen Beziehungen gegangen: „Das war eine sehr, sehr wichtige Geste.“
Doch auch das Impfstoffproblem dürfte eine Rolle gespielt habe. Denn die USA gehören wie Großbritannien zu den Ländern, die Impfstoffe derzeit nur für ihre eigene Bevölkerung herstellen.