- Die SPD fordert Gesundheitsminister Spahn auf, einen langen Fragenkatalog zur Impfstoffbeschaffung zu beantworten. Die Union ist empört. Nun zieht die Kanzlerin das Thema an sich. Was hat das alles zu bedeuten?
Der Fragenkatalog liest sich wie eine Anklageschrift: 24 Fragen, 48 Unterpunkte – und jeder einzelne zielt darauf ab, dem Bundesgesundheitsminister Nachlässigkeit bei der Impfstoffbeschaffung nachzuweisen. Warum hat die EU so wenig Impfstoffdosen vorbestellt? Warum können zusätzliche Dosen schneller in die USA geliefert werden als nach Europa?
Warum hat die Bundesregierung nicht mehr Druck in Brüssel gemacht, die Bestellung bei den erfolgreichen Herstellern Biontech oder Moderna auszuweiten? Warum hat die Bundesregierung bei den beiden Unternehmen nicht bilateral mehr nachbestellt?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll diese Fragen beantworten. Seit Sonntagabend liegt die Fragenliste seinem Ministerium vor. Bekommen hat der Minister sie nicht etwa als Anfrage der Opposition an die Regierung, sondern er bekam sie vom Koalitionspartner, der SPD. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat die Liste nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) am Sonntagabend an Spahn übermittelt. Die SPD-geführten Bundesländer sollen sie zusammen erarbeitet haben – aus Ärger über das Agieren des Gesundheitsministers.
Zorn der SPD-Länder
Spahn hatte zuletzt gleich mehrfach den Zorn der SPD-geführten Landesregierungen auf sich gezogen. In vielen Staatskanzleien hat sich der Eindruck festgesetzt, der Minister lege mehr Wert auf PR-Termine als auf das Aktenfressen und das Lösen von Problemen in seinem Ministerium. Spahn, heißt es in der SPD, habe ein Talent dafür entwickelt, sich selbst mit positiven Botschaften in Szene zu setzen und die Verantwortung für Dinge, die nicht laufen, an die Länder abzuschieben.
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So hatte Spahn etwa am Abend des 29. Dezember in einem Interview mit den „Tagesthemen“ von einem „föderalen Durcheinander“ beim Impfstart gesprochen und hinzugefügt, es sei „Wunsch der Länder“ gewesen, die Organisation des Impfens „in eigener Verantwortung zu lösen“. Der Bund sei nur für die Beschaffung des Impfstoffs zuständig.Am darauffolgenden Morgen sagte Spahn mehreren Bundesländern eine Impfstofflieferung für die erste Januarwoche ab, um sich dann mittags vor der Bundespressekonferenz für das „erfolgreiche Anlaufen der größten Impfkampagne in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ zu feiern. Zu den gestrichenen Lieferungen verlor der Minister kein Wort.
„Chaotische Zustände“
Die Retourkutsche der SPD erfolgte dann in Form des Fragenkatalogs und einer offenen Attacke von Generalsekretär Lars Klingbeil, der Spahn „chaotische Zustände“ vorwarf. Auch Vizekanzler Olaf Scholz schaltete sich in den Streit ein. Er soll den Minister am Rande des Corona-Kabinetts beiseitegenommen und darauf hingewiesen haben, dass man Antworten auf die Fragen erwarte. Spahn sagte diese zu – allerdings erst für die Zeit nach der Ministerpräsidentenkonferenz. Vorher seien seine Experten zu beschäftigt.Auf Unionsseite ist man über die Angriffe auf Spahn selbstredend empört. Alle SPD-Länder und natürlich insbesondere Vizekanzler Scholz seien bei allen wichtigen Fragen zur Impfthematik in den vergangenen Monaten einbezogen gewesen. „Es gibt eigentlich keine Frage, die sich Scholz nicht auch selbst beantworten könnte“, hieß es. Das sei alles schon Wahlkampf der SPD.
Neue Arbeitsgruppe
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nun den Zoff auf ihre Art lösen: Sie berief eine neue Impf-Arbeitsgruppe ein – unter ihrer Führung. Mit dabei: Spahn, Scholz, Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Die Arbeitsgruppe soll am Mittwoch erstmals beraten.Die zerstrittenen Koalitionspartner interpretierten diesen Schritt umgehend – in ihrem jeweiligen Sinne: Es handele sich um eine Entmachtung Spahns, hieß es bei der SPD. Die Argumentation bei der Union: Merkel wolle durch die enge Einbindung von Scholz erreichen, die SPD wieder zu bändigen.
Dem Vernehmen nach folgt Merkel der Ansicht Spahns, wonach sich Deutschland zunächst ausreichend Impfstoffe gesichert habe. Das jetzige Problem seien vielmehr die fehlenden Produktionskapazitäten, so der Gesundheitsminister.
Deshalb solle es bei der Runde insbesondere auch darum gehen, wie dem Impfstoffhersteller Biontech geholfen werden kann, damit dieser so schnell wie möglich eine weitere Produktionslinie in Marburg in Betrieb nehmen könne, hieß es in Koalitionskreisen.