Guttenberg galt vor einigen Jahren als möglicher Kanzlerkandidat der Union, dann stürzte er über eine Plagiatsaffäre. Zurück ist er nun mit Medienformaten.
„Viel zu schnell nach oben geschossen“Karl-Theodor zu Guttenberg blickt kritisch auf sein früheres Ich
Karl-Theodor zu Guttenberg kommt ein wenig später. Das Flugzeug in New York ist nicht rechtzeitig gestartet. In Leipzig steht ein Auftritt in einer Talkshow an, vorher ist noch Zeit für ein Gespräch in einem Café. Guttenbergs Fahrer ist aus Bayern gekommen, um ihn vom Leipziger Flughafen abzuholen.
Es ist ein kalter Dezember-Tag, der erste Schnee ist gefallen. Guttenberg trägt Jeans, schwarzes Hemd über schwarzem T-Shirt, eine dünne Jacke. „Kaffee Americano“, bestellt er an der Selbstbedienungstheke des Cafés, einen schwarzen Kaffee. Die jungen Servicekräfte konzentrieren sich auf die Kaffeemaschine, sie blicken kaum auf.
Guttenberg setzt sich. Er sagt, manchmal werde er mit Lothar Matthäus verwechselt. „Sie sind doch dieser Fußballer“, sagten die Leute dann.
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Oder: „Mensch, Jugoslawien damals – vier zu eins.“ Jugoslawien damals, das war der Auftakt zur Fußball-Weltmeisterschaft 1990. Deutschland besiegte Jugoslawien mit vier zu eins, Matthäus schoss zwei der Tore. Deutschland wurde schließlich Weltmeister, Matthäus Weltfußballer des Jahres. Guttenberg war 18 Jahre alt und noch in der Schule. Inzwischen gibt es Jugoslawien nicht mehr, Matthäus hat seine Fußballerkarriere lange beendet, er hat jetzt eine Internetkolumne bei einem Bezahlsender.
Karl-Theodor zu Guttenberg: Hoher Flug, tiefer Fall
Guttenberg hat eine Blitzkarriere hinter sich – und einen jähen Sturz. Er saß ein paar Jahre als Außenpolitiker im Bundestag, dann wurde er innerhalb eines Jahres erst CSU-Generalsekretär, dann jüngster Wirtschaftsminister, dann jüngster Verteidigungsminister in der Geschichte der Bundesrepublik. Adel, Doktortitel und so eloquent, dass er die Unionsparteien dazu brachte, der Abschaffung der Wehrpflicht zu applaudieren – manche sahen ihn noch weiter steigen: „Paarlauf ins Kanzleramt“ titelte der „Spiegel“ mit einem Foto des strahlenden Ministers und seiner Frau Stephanie auf rotem Teppich.
Dann wurden Plagiate in Guttenbergs Doktorarbeit bekannt. Der Glanz wich dem Ruf als Hochstapler. Der Minister wand sich eine Weile, im Februar 2011 trat er zurück, nach 16 Monaten als Verteidigungsminister, nach etwas mehr als zwei Jahren im Kabinett.
Es sei der „schmerzlichste Schritt meines Lebens“, sagte er damals in der grauen, wuchtig-kalten Eingangshalle des Ministeriums. Und: „Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“ Zwölf Jahre ist das nun her.
Guttenberg zog sich zurück, aus Deutschland und weitgehend auch aus der Öffentlichkeit und der Politik. Mit seiner Frau und den beiden Töchtern zog er in die USA. Raus aus dem Hype, weg von den Fotografen und den Schlagzeilen, das war die Begründung. Er gründete eine Beratungsfirma, investierte in andere Unternehmen, legte eine neue Doktorarbeit vor, über das Korrespondenzbankenwesen. Er hat jetzt wieder einen Doktortitel.
Wie war das, dieser Bruch mit der Wichtigkeit, der medialen Präsenz, dem Einfluss auf Entscheidungen der Bundesregierung?
Im Café, bei dem schwarzem Kaffee gegen die Reisemüdigkeit, sagt Guttenberg: „Es hat mir gutgetan, wieder ein normales Leben zu führen.“ Was gehört zu einem normalen Leben? Guttenberg zählt auf: „Unerkannt U-Bahn fahren, Zeit für die Familie und für Freunde, manchmal drei Romane in der Woche lesen können.“
In diesem normalen Leben schrieb er ab und an für englischsprachige Medien über Außenpolitik. In der Danksagung seiner neuen Doktorarbeit entschuldigte er sich bei seiner Familie „für die vielen Jahre, in denen ich mich allzu oft auf meine Forschung konzentrierte, statt Familienpflichten in den Vordergrund zu stellen“. Bei Kanzlerin Angela Merkel warb er für das von ihm beratene Unternehmen Wirecard, das sich später als Betrugsmaschine herausstellte. Im bayerischen Landtagswahlkampf 2017 unterstützte er CSU-Chef Horst Seehofer im Landtagswahlkampf. Seehofer fand, Guttenberg sei eine gute Alternative zu Markus Söder, der seit Jahren nach ganz oben drängte. Kurz nach der Wahl musste Seehofer gehen, Söder wurde Parteichef und Ministerpräsident. Guttenberg war wieder zurück in den USA.
Jetzt ist Guttenberg wieder da, zurück in Deutschland, zurück in der Öffentlichkeit. Er hat ein Buch geschrieben und eine Fernsehshow moderiert. Er hat zwei Dokumentarfilme gedreht, in denen er vor der Kamera durch die Story führt. Mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi quatscht er sich durch einen Podcast. Es gibt durchaus Beschäftigungen, die mehr im Hintergrund stattfinden, unerkannter.
„Ich fühle mich sehr gut“, sagt Guttenberg im Café. „Früher hatte ich immer ein gewisses Übermaß an Vorsicht und Misstrauen. Das ist mittlerweile einer großen Ruhe gewichen.“ Er wirkt ganz vergnügt. Er spricht konzentriert, ein kleines Lächeln ab und an und etwas Selbstironie. Der Ton ist mal lakonisch, mal bestimmt, manchmal bekommt er etwas Schärfe, etwa bei der Frage, ob es bei Firmenbeteiligungen vor allem darum geht, sein Geld für sich arbeiten zu lassen. Natürlich nicht.
Struppig statt Gel im Haar
Aber die Grundbotschaft ist: Gelassenheit. „Das Schöne ist, dass ich mich Wochen und Monate komplett herausnehmen kann“, sagt Guttenberg. „Ich muss nicht über jeden Stock springen.“ Wo spielt sich sein Leben ab? „Überall. Ich bin ein Weltenbummler.“ Er trägt jetzt Drei-Tage-Bart und um das rechte Handgelenk ein ganzes Knäuel von Armbändern, manche aus Leder, manche mit Perlen. „Ich bin struppiger geworden“, so beschreibt sich Guttenberg in fast jedem seiner Interviews und Talkshowauftritte. Er weist dabei auch oft darauf hin, dass er mittlerweile auf das Gel in seinen Haaren verzichte, mit dem er sich als Minister gestylt hat.
Er zeichnet überhaupt ein äußerst ruppiges Bild seines früheren Ichs: überschätzt, überfordert, zu eitel, maßlos prahlend, mit vielen Schwächen, untauglich für die große Politik und diese nur bestehend mit einem „Mix aus Melatonin und Schlaftabletten“. Und die Fotos: auf der Wallstreet strahlend mit geöffneten Armen. In Afghanistan, mit Sonnenbrille und entschlossenem Blick. „Ein Bild idiotischer als das andere“, sagt Guttenberg in der ARD-Sendung „Maischberger“. Er wählt gerne große Worte, auch wenn er sich klein macht.
„Ich bin viel zu schnell nach oben geschossen“, ist sein Fazit beim Gespräch im Café. Auch um den Umgang mit dem Scheitern geht es da. Deutschland attestiert Guttenberg da eine gewisse Gnadenlosigkeit. „In Amerika freut man sich an jemandem, der den nächsten Schritt macht, nachdem er mal auf die Nase geflogen ist. Hier freut man sich zuweilen daran, dass jemand auf die Nase geflogen ist.“ Sehr eingängig klingt das. Und auch etwas bitter.
Ego, Depression, Midlife-Krise
Das gilt auch für den Hinweis auf „aufgeplusterte Egos“ in der Politik, Und darauf, dass er die Wehrpflicht nicht hätte aussetzen müssen, wenn es nicht ein „Spardiktat“ gegeben hätte von einem „humorlosen Bundesfinanzminister“. Und eine „bockige Kanzlerin“.
Nach Guttenbergs Rücktritt kamen Depressionen und eine Midlife-Krise, so beschreibt er es. Bekannte aus der Politik wandten sich ab. Er findet, es sei wichtig, so etwas anzusprechen, die Kehrseiten des Lebens. Viel mehr lässt er dazu nicht wissen. Nur dass ihm Springreiten als selbst verordnete Therapie nicht geholfen habe, schreibt er in seinem Buch. Da ist wieder der selbstironische Ton dabei.
Das Buch ist eine Ansammlung von Anekdoten, mit jeweils einer Prise Moral. Er hat sie zuerst auf seinem Profil auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn veröffentlicht. Er verweist darauf, dass sie dort ganz gut geklickt würden.
In den Kolumnen sitzt Guttenberg im Park, im Flugzeug, bei Abendessen mit Botschaftern oder „erfolgsverwöhnten“ Managerinnen. In München, in Berlin, in Eltville, in New York. Er erzählt, wie er badischen Hausfrauen den Philosophen Habermas empfiehlt. Wie „Henry“ ihm hinterhertelefoniert, der mittlerweile verstorbene US-Außenminister Henry Kissinger. Wenn Leute sagten, sie hätten Marcel Proust gelesen, seien das Angeber, schreibt er. Er sei immerhin bis zum vierten Band gekommen.
Ist da immer noch Eitelkeit?
Sein zweiter Dokumentarfilm, über die katholische Kirche, startet mit einer Luftaufnahme von Schloss Guttenberg im bayerischen Oberfranken. „Die Idee ist, wegzukommen vom schnellen, skandalisierenden Projekt“, so beschreibt es Guttenberg. Er wolle „einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich die Tonalität in unserer Gesellschaft nicht nur auf das Abgrenzen von Meinungen und das Verächtlichmachen des anderen beschränkt“. Der Podcast mit Gysi heißt dennoch: „Gysi gegen Guttenberg“.
Eitelkeit? Guttenberg winkt ab. Davon „hatte ich in der Zeit als Politiker genug. Es tat gut, sich endgültig davon zu verabschieden.“ Es sei normal, dass man für Filme und Bücher etwas Werbung mache, mit Talkshowauftritten und Interviews zum Beispiel. „Aber dann bin ich auch wieder sehr froh, wenn ich unerkannt unterwegs bin.“
Im Handelsregister steht als Ziel seiner „Open Minds“-Firma, die die Filme produziert und auch den Podcast: „die Positionierung des Gesellschafters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg als Medienmarke“.
Zieht es ihn zurück in die Politik? „Nicht ein Fitzelchen“, sagt Guttenberg im Café. „Das können Sie abschreiben. Und mit dem Abschreiben kenne ich mich aus“, witzelt er in der ARD-Talksendung „Maischberger“. Und dann, kurz vor Weihnachten, nimmt Guttenberg in seiner Heimatstadt Kulmbach mit Gysi eine weitere Podcast-Folge auf. „Ich gehe an dem Tag, an dem du aufhörst, wieder in die Politik“, sagt Guttenberg laut „Abendzeitung“ in der anschließenden Publikumsdiskussion. Das werde nie passieren, weil Gysi ja nie aufhöre. Nun ja. Die Linksfraktion im Bundestag hat sich gerade aufgelöst.