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Nord Stream 1Drei Szenarien, falls Putin den Gashahn (nicht) wieder aufdreht

Lesezeit 4 Minuten
Putin Gas Szenarien (2)

Wladimir Putin.

Die Wartung der Pipeline Nord Stream 1 läuft. Ob das Gas in der kommenden Woche wieder fließt, ist keine technische, sondern eine politische Frage. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Putin die deutsche Regierung und die Bevölkerung weiter auf der heißen Herdplatte tanzen lässt.

Die jedes Jahr im Sommer fällige Überprüfung der für die deutsche Gasversorgung zentralen Pipeline Nord Stream 1 lässt in diesem Jahr die Nation den Atem anhalten. Wird der russische Despot Putin den Gashahn nach etwa zehn Tagen Wartung rund um den 21. Juli wieder aufdrehen? Oder nutzt er in der Frontstellung Russlands gegen den demokratischen Westen seine Macht, Deutschland von den Gaslieferungen abzuschneiden? Damit würde er die deutsche Solidarität mit der von ihm angegriffenen Ukraine auf eine harte Probe stellen. Im Berliner Regierungsviertel kursieren drei Szenarien, wie die Lage nach dem 21. Juli aussehen könnte.

Erstes Szenario: Putin drosselt die Gaszufuhr

Als wahrscheinlich gilt ein „mittleres Szenario“. Das heißt, Putin wird wie auch schon vor den Wartungsarbeiten seit dem 11. Juli gedrosselt Gas wieder durch die Pipeline fließen lassen. Damit ließe der Kreml Deutschland weiter auf der heißen Herdplatte tanzen. Eine gedrosselte Gaslieferung würde die Preise weiter hoch halten und Versorgungsengpässe bescheren. Zugleich bliebe die Unsicherheit, dass heute, morgen, übermorgen oder erst mit Beginn der Heizperiode das Gas ganz ausbleiben könnte.

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Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1.

Dieses Szenario hält man in der Regierung für wahrscheinlich, weil es Putin weiter Einnahmen bringt und Putin bislang nicht ohne Begründung seine Lieferungen reduziert hat. Die offizielle Erklärung für die schon vor dem 11. Juli zurückgefahrenen Gaslieferungen ist die Wartung einer Turbine in Kanada.

Die Bundesregierung hält diese Begründung für vorgeschoben. Trotz der Sanktionen wurde das gewartete Teil nun aber doch wieder Richtung Europa geschickt, um Putin keinen weiteren Vorwand für zu geringe Gasmengen zu geben; eine Konzession der Verbündeten an Deutschland. Der Optimismus in Berlin ist aber nicht sehr groß, dass Putin keine anderen Gründe findet, warum er Nord Stream 1 nicht wieder in Vollbetrieb nimmt.

Zweites Szenario: Putin besteht auf Nord Stream 2

Möglich ist auch, dass der Kremlherrscher rund um den 21. Juli zu dem Ergebnis kommt, Nord Stream 1 sei in einem so schlechten Zustand, dass man die Pipeline nicht so schnell wieder in Betrieb nehmen könne. Dann könnte Putin Deutschland darauf verweisen, dass es ja noch die funktionstüchtige neue Pipeline Nord Stream 2 gebe, durch die er jederzeit vertragsgemäß so viel Gas wie gewünscht liefern könne. Darauf wird sich die Regierung nicht einlassen können. Nachdem die Bundesregierung sowohl unter Angela Merkel als auch anfangs unter Olaf Scholz Nord Stream 2 als rein „wirtschaftliches Projekt“ betrachtet hat, ist die Pipeline mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine zum schmerzhaften Politikum geworden.

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Rohre an der Anlandungsstelle der Nord Stream 2-Gaspipeline in Lubmin, Norddeutschland.

Sie ist das Symbol dafür, dass sich Deutschland von russischem Gas viel zu abhängig gemacht hat und dass die Politik gegenüber dem Kreml über Jahre zu nachgiebig war. Die Weichen für den Bau der Pipeline wurden nach der auch von Deutschland als völkerrechtswidrig verurteilten Annexion der Krim gestellt. Nun gehört Nord Stream 2 zu den Sanktionen gegen Russland. Daran wird Europa nicht rütteln. In diesem Szenario müsste sich Deutschland auf ein Ausbleiben von Gaslieferungen einstellen.

Drittes Szenario: Russland liefert nicht mehr

Die Bundesregierung spricht öffentlich nicht gern über Schreckensszenarien, vor allem dann nicht, wenn man die Wahrscheinlichkeit für gering hält, dass es so kommt. Dennoch blendet man in Berlin nicht aus, dass Deutschland nach dem 21. Juli vorerst ohne Gaslieferungen aus Russland dastehen könnte. Die Folgen wären dramatisch: Die Gaspreise würden weiter steigen und damit die Inflation weiter antreiben.

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Die Industrie müsste in Teilen ihre Produktion einstellen und Beschäftigte in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit schicken. Das Wirtschaftsministerium hat schon mit einer Gasauktion in den Krisenmodus geschaltet. Sie soll sicherstellen, dass zumindest Betriebe, deren Anlagen ohne Gaslieferungen unwiederbringlich zerstört würden, weiterarbeiten können.

Ampelkoaltion weiter unter Druck

Das gilt zum Beispiel für die Glasproduktion. Ein längeres Ausbleiben russischer Gaslieferungen wird zudem die Debatten um eine Aufhebung der Schuldenbremse und eine Verlängerung von Atomlaufzeiten anheizen. Beide Debatten würden die Ampelkoalition weiter unter Druck setzen, weil die FDP an der Schuldenbremse hängt und die Grünen auf keinen Fall den Atommeilern Verlängerung geben möchten.

Mit den stark gestiegenen Preisen für Energie und Lebensmittel hat die Solidarität der Bevölkerung mit der Ukraine ohnehin schon etwas nachgelassen. Wenn die Lebenshaltungskosten in Deutschland weiter in die Höhe schnellen und die Engpässe bei der Energieversorgung spürbar werden, könnte der Rückhalt für die Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung der Ukraine weiter bröckeln.