Versorgungsprobleme spitzen sich zu5 neue Hiobsbotschaften beim Gas
- In Norwegen streiken Gas- und Ölarbeiter, die Preise der für Europa maßgeblichen Referenzsorte Dutch TTF explodieren.
- Was das unsere Versorgung bedeutet.
Berlin – Die Probleme bei der Versorgung mit Erdgas spitzen sich zu. Preise steigen massiv, weil der Brenn- und Kraftstoff zunehmend knapper wird. Es droht eine Rezession. Die Politik sucht händeringend nach Antworten.
Klar ist, dass das sehr teuer wird. Auch für die Verbraucher.
Weitere Verknappung
Ein Streik norwegischer Gas- und Ölarbeiter kommt zur Unzeit: Die Förderung von Erdgas könnte in dem skandinavischen Land schon in den nächsten Tagen um etwa 13 Prozent zurückgehen. Das hat der dortige Arbeitgeberverband für die Branche NOG mitgeteilt. Die Menge der leicht flüchtigen Energie, die täglich weniger gepumpt werde, werde bis zu rund 290.000 Fass (159 Liter) Rohöl entsprechen. Zugleich würden auch 130.000 Fass Erdöl weniger gewonnen.
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Zu dem Streik hat die Gewerkschaft Lederne aufgerufen. Die Arbeitnehmervertretung hatte einen Ende voriger Woche ausgehandelten Tarifvertrag abgelehnt, weil er zu geringe Lohnerhöhungen bringe – auch in Norwegen hat die Bevölkerung mit einer hohen Inflation zu kämpfen. Die Gewerkschaft plant, dass bereits am Dienstag ein Ausstand auf Plattformen in drei Förderfeldern beginnt. Am Mittwoch könnten drei weitere Felder hinzukommen, wenn keine Einigung gefunden werde, sagte ein NOG-Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Es habe Gespräche mit der Gewerkschaft gegeben, aber man sehe keine Lösung. Unklar ist, wie die konkreten Konsequenzen für Deutschland aussehen.
Explodierende Preise
Die für den europäischen Gasmarkt maßgebliche Referenzsorte Dutch TTF ist am Montag auf den höchsten Stand seit fast vier Monaten gestiegen. Die Megawattstunde kostete zeitweise 160 Euro. Experten sehen zwei wesentliche Faktoren: Immer mehr Indikatoren sprechen für ein schwere Gasversorgungskrise durch das weitere Zurückfahren oder die komplette Einstellung von russischen Gaslieferungen in die EU. Verstärkend wirkt der drohende Streik in Norwegen. Nach der Kürzung russischer Lieferungen hat das skandinavische Gas für die hiesige Versorgung eine zunehmend wichtige Bedeutung.
Den Daten der Aufsichtsbehörde Bundesnetzagentur (BnetzA) ist es so unter dem Strich gelungen, die Gesamtmenge des importierten Gases in der zweiten Hälfte des Monats leicht zu erhöhen. Damit liegen die Einfuhren aber noch immer deutlich unter den Mengen, die im Mai erreicht wurden. Von Anfang nächster Woche an dürfte praktisch kein Gas mehr aus Putins Reich kommen – wegen Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1. Ob die Lieferung dann wieder aufgenommen wird, ist fraglich. Seit Mitte Juni sind die Importe, die aus Norwegen und via Belgien und die Niederlande kommen, zur wichtigsten Versorgungsquelle geworden.
Drohende Rezession
Die wirtschaftliche Entwicklung wird durch die exorbitant hohen Gaspreise zunehmend stärker beeinflusst. Nach Einschätzung des Finanzdienstes Bloomberg ist die deutsche Industrie davon besonders hart betroffen. Die Unternehmen stehen insgesamt für 35 bis 40 Prozent des hiesigen Gasbedarfs. Doch hier wird nach geltendem Recht aber auch zuerst abgeschaltet, Privathaushalte und soziale Einrichtungen sind als besonders schützenswert kategorisiert. Die Bloomberg-Experten haben hochgerechnet, dass es bei null Lieferungen aus Russland in der Industrie im August zu einer massiven „Nachfragevernichtung“ kommen wird.
Gemeint ist damit, dass Unternehmen wegen der hohen Preise ihre Aktivitäten zurückfahren oder ganz einstellen. Rohstoffexperten rechnen damit, dass es zu den aktuellen Notierungen bei Dutch TTF noch einmal ein Aufschlag um ein Viertel kommen könnte. Das würde vor allem metallverarbeitende Unternehmen und die Chemieindustrie treffen. Auch Verlagerungen in andere Länder sind möglich. So erwäge der weltgrößte Chemiekonzern BASF, dass die Fabrik in Antwerpen einen Teil der Produktion von Ludwigshafen übernimmt, berichtet das Handelsblatt – in Belgien sind die Bedingungen für Gas-Beschaffung günstiger. Die Chefin des Energiedachverbandes BDEW, Kerstin Andreae, betont denn auch, es sei davon auszugehen, „dass der Gasverbrauch vor allem aufgrund der steigenden Preise zurückgeht.“ Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sprach am Montag sogar von einer „tiefen Rezession“, wenn es zu einem Embargo durch Russland komme.
Teure Hilfen
Die Bundesregierung sucht derweil Wege, um Verwerfungen abzumildern. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits staatliche Hilfen für die Gasbranche angedeutet – nach dem Vorbild der Rettung der Lufthansa während der Pandemie. Dazu zählt wohl auch, die Mittel zur Absicherung der Versorgung im Winter zu erhöhen. Die Staatsbank KfW hat dafür dem Trading Hub Europe (THE), einem Zusammenschluss von Gasfirmen, bereits eine Kreditlinie über 15 Milliarden Euro gewährt. Das Geld soll die Liquidität des THE steigern, um weiter Brennstoff zum Einlagern zu kaufen. Klaus Müller, Chef der BnetzA, hat ein einem Interview angedeutet, dass diese Summe aufgestockt werden müsse. Denn Firmen wie Uniper leiden derzeit massiv darunter, dass sie wegen ausbleibender Lieferungen aus Russland Gas auf dem Markt sehr teuer einkaufen müssen. Nicht nur für die Winter-Reserve, sondern vor allem um Lieferverträge mit Stadtwerken mit ihren fixen Konditionen zu erfüllen.
Die Lösung könnte sein, Uniper und andere Unternehmen mit staatlichem Sicherheiten und Kapital zu stützen. Die Alternative wäre, dass die Bundesregierung den Notstand ausruft, dann würden Liefervereinbarungen von einem Tag auf den anderen ausgesetzt. Uniper und Co könnten die höheren Einkaufspreise weitergeben.
Preisschock droht
Viele Verbraucher würden dann von mit Gaspreisen konfrontiert, die um das Doppelte oder Dreifache steigen. Das soll vermieden werden. Deshalb bastelt die Bundesregierung nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland bereits an einem umfänglichen Paket von Maßnahmen. So könnte es neben direkten Hilfen für die Gasbranche und für energieintensive Unternehmen, die einen Teil der Verteuerungen beim Gas-Einkauf kompensieren, auch ein Umlagesystem auf der Ebene der Stadtwerke geben, da diese wegen höchst unterschiedlicher Beschaffungsstrategien auch unterschiedlich hohe Gaspreiserhöhungen durchziehen müssten. Das soll glattgezogen werden. Zudem sind weitere direkte Zuschüsse für Haushalte mit geringen Einkommen im Gespräch. All das wird den Staat viele Milliarden Euro kosten.