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FC-Geschäftsführer im InterviewChristian Keller: „Ich habe keine Selbstzweifel“

Lesezeit 12 Minuten
ARCHIV - 31.03.2024, Bayern, Augsburg: Fußball: Bundesliga, FC Augsburg - 1. FC Köln, 27. Spieltag, WWK-Arena. Kölns Geschäftsführer Sport Christian Keller steht vor dem Spiel im Stadion. (zu dpa: «Zweitliga-Primus Köln auch wirtschaftlich gesund») Foto: Harry Langer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Seit April 2022 im Amt: Christian Keller, Sport-Geschäftsführer des 1. FC Köln

Kölns Sportchef Christian Keller spricht über den Umgang mit der vehementen Kritik an ihm, die kommenden wichtigen Entscheidungen und Herausforderungen sowie seine FC-Vision.

Die Kritik an ihm ist nach der jüngsten Erfolgsserie des FC in der 2. Bundesliga zwar etwas leiser geworden, doch Sport-Geschäftsführer Christian Keller gilt in Köln weiterhin als äußerst umstritten. Jede seiner Entscheidungen und seiner Aussagen wird vor allem im Netz kommentiert – oft nicht gerade auf die zimperliche Art. Wie geht der 46-Jährige, der seit April 2022 am Geißbockheim im Amt ist, damit persönlich um?

Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt Keller einen Einblick in sein Seelenleben, spricht über die nächsten schwierigen Aufgaben und Entscheidungen und erklärt sein großes Vorhaben: Der gebürtige Badener will dem FC das „Fahrstuhl-Image“ abstreifen und zu einem grundsoliden Bundesligisten formen – wenn er denn die Gelegenheit dazu erhält.

Herr Keller, nach dem 1:5 in Darmstadt Mitte Oktober hatten Sie die Mannschaft verbal in den Senkel gestellt. Gab es damals für Sie irgendwelche Anzeichen, dass das Team zu einer derartigen Erfolgsserie wie zuletzt in der Lage sein könnte?

Christian Keller: Ich bin grundsätzlich von der Qualität dieser Mannschaft überzeugt. Sie hat vor Darmstadt gezeigt, dass sie einen attraktiven Fußball spielen kann. Und nach den Niederlagen in Darmstadt und gegen Paderborn hat sie dann bewiesen, dass sie auch zu einem ergebnisorientierten Fußball in der Lage ist. Sie ist in der Zweiten Liga mehr als konkurrenzfähig. Dass wir dann nach einem Tiefpunkt endlich eine Serie gestartet haben, war gut, allerdings auch notwendig. Ich bin für gewöhnlich Herr meiner Emotionen. Aber nach dem Darmstadt-Spiel konnte man das nicht mehr schönreden. Außerdem war ich davon überzeugt, dass es für eine Kehrtwende in dieser Phase intern und extern deutlicher Worte bedurfte.

Und da hatten Sie wirklich keine Zweifel an der Mannschaft?

Am Anfang der Saison haben wir die Gegner dominiert, dabei aber immer wieder Großchancen vergeben. Und hinten raus haben wir uns dann mit ein, zwei entscheidenden Defensivfehlern auch noch komplett selbst bestraft. Da hätte man verzweifeln können, dennoch habe ich nicht an der Mannschaft gezweifelt, weil sie für die Zweite Liga eine sehr gute Mannschaft ist.

Das war schon eine Ausnahmesituation
Christian Keller über den Zorn nach dem 1:2 gegen Paderborn

Nach der 1:2-Niederlage gegen Paderborn ist es sehr unruhig geworden. Sie wurden massiv angefeindet. Ihre Eltern waren im Stadion. Was haben Sie da gefühlt?

Ich habe gar nicht so viel gefühlt, weil man in dem Moment funktionieren muss. Das ist mein professioneller Anspruch. Meine Aufgabe war, kritische Fragen der Medien im Sinne des Clubs zu beantworten. Dass ich vor dem TV-Mikro jedoch nicht einmal mehr die Fragen des Reporters verstehen konnte, weil es so laut war, als die Leute mich beschimpften, war schon eine Ausnahmesituation.

Die Kritik an Ihnen ist nach der Erfolgsserie der Mannschaft zwar leiser geworden, aber sie ist immer noch da. Insbesondere im Netz werden Sie weiter angegangen oder beleidigt. Macht das wirklich nichts mit ihnen?

Die Leute kritisieren mich nicht als Person, sie kennen mich im Regelfall nicht persönlich. Die Leute kritisieren mich in der Funktion. Und ich bin als Geschäftsführer Sport nun einmal gesamtverantwortlich für den Abstieg. Dafür stehe ich gerade. Die Verantwortung für die Transfersperre weise ich hingegen von mir, da der bestrafte Vorgang vor meiner Amtszeit passiert ist. Das wird öffentlich oft falsch wiedergegeben. Mir persönlich ist wichtig, was die Personen, die im Alltag tiefe Einblicke in meine Arbeitsweise haben, zu mir sagen. Zudem habe ich ein gutes Maß an Resilienz. Und wenn der FC mal längerfristigen Erfolg haben sollte, was wir alle hoffen, dann würden Sie mich auch nicht davonflattern oder über den Dingen schweben sehen. Auch in dem Fall wäre ich genauso wie jetzt.

Wissen Sie, was der Nubbel ist?

Ja, der Sündenbock im Karneval. Der wird doch verbrannt, oder?

Genau, wir meinen das aber natürlich metaphorisch. Manchmal hat man den Eindruck: Ganz gleich, was Sie machen, Sie können es einigen nie recht machen. Teilen Sie diesen Eindruck?

Im direkten Kontakt werde ich von vielen Menschen angesprochen, die sehr wohlwollend und freundlich zu mir sind und mir Mut zuzusprechen. Es gibt aber auch Leute, die mir gegenüber persönlich Kritik äußern. Eine kleine Geschichte: Ich war im Rheincenter und wollte mir eine Zeitung kaufen. Drei alte Männer saßen vor dem Kiosk und beschimpften mich: „Da ist er, du hast das alles zu verantworten.“ Ich fand das aber ganz cool, denn sie waren offen und direkt. Ich habe sie gefragt, ob ich mich dazusetzen darf und wir über ein paar Themen sprechen könnten. Das taten wir dann. Als unser Gespräch beendet war, sagten sie: „Wir unterstützen dich jetzt, du bist der richtige Mann für den FC.“ Mit einer offenen Kritik, verbunden mit Gesprächsbereitschaft, kann ich etwas anfangen. Nicht aber mit anonymer Kritik im Netz.

Gibt es bei Ihnen eine Grenze, wo Sie sagen würden: bis hierhin und nicht weiter?

In meinem Privatleben werde ich nicht mit dem FC konfrontiert. Meine Familie und die meisten meiner Freunde leben nicht in und um Köln, das ist ein Vorteil. Die nehmen das anders wahr, für sie ist es schlimmer. Aber auch das muss man aushalten.

Haben Sie auch mal Selbstzweifel? Also an Ihren beruflichen Entscheidungen?

Nein, ich habe keine Selbstzweifel. Das heißt nicht, dass ich nichts falsch gemacht habe. Denn ich habe auch Sachen falsch gemacht oder hätte sie besser machen können. Da reflektiere ich mich schon. Aber ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass ich gut für die Aufgabe ausgebildet bin und in meiner beruflichen Vita schon einiges erfolgreich gemacht habe, auch einige Veränderungsprozesse. Deshalb weiß ich, wie sie funktionieren. Und ich wurde schließlich auch geholt, um beim FC Dinge langfristig zu verändern.

Wenn ich etwas rückgängig machen könnte, dann wäre es natürlich der Abstieg
Keller über Fehler

Welchen Fehler aus Ihrer FC-Zeit würden Sie am liebsten rückgängig machen?

Wenn ich etwas rückgängig machen könnte, dann wäre es natürlich der Abstieg.

Ist der Abstieg nicht vielmehr das Resultat einer ganzen Fehlerkette?

Ein Abstieg ist komplex und hat mit vielen Sachverhalten zu tun. Ich habe schon eine Meinung, was für den Abstieg elementar war und was nicht. Das haben wir tiefgreifend und abschließend analysiert.

Ein kolportierter Vorwurf gegen Sie als Geschäftsführer ist: Sie würden zu viel an sich ziehen und anderen, also anderen Führungskräften oder Mitarbeitern, zu wenig Raum lassen. Was entgegnen Sie?

Ich habe eine klare Vorstellung davon, wie Sachen abzulaufen haben: konzeptionell, strukturell und prozessual. Und das äußere ich deutlich. Andererseits weiß ich aber, wer bei uns der jeweilige Experte im Themenfeld ist, und habe kein Problem damit, einem Experten auch zu vertrauen.

Ein anderer Vorwurf ist…

…dass ich den FC kaputtspare?

Touché! Ein Abstieg torpediert schließlich sämtliche Sparmaßnahmen und somit die Sanierung.

Unsere feste Überzeugung ist: Eine Organisation, ob ein Fußballklub oder ein Wirtschaftsunternehmen, muss eine gewisse Substanz haben, um agieren zu können. Wir haben für uns den klaren Auftrag definiert: Wir möchten dem FC ein stabiles wirtschaftliches, infrastrukturelles, organisatorisches und kulturelles Fundament geben, um den Klub so schnell wie möglich wieder gesund bzw. leistungsfähig zu machen. Und zwar um agieren, und nicht nur um reagieren zu können. Das ist unsere Grundsatzentscheidung. Und hinter der stehe ich. Ich möchte nicht Geschäftsführer einer halblebendigen Organisation sein. Und in der Situation waren wir leider.

Und diese Fortschritte, wie Sie sie nennen, werden zu wenig wertgeschätzt oder nicht gesehen?

Die Fans müssen das nicht sehen. Im Fußball ist das Entscheidende auf dem Platz, das Spiel steht im Mittelpunkt. Die Leute wollen, dass ihr Herzensklub einfach erfolgreich Fußball spielt. Und das haben wir nicht. Ich kann den sportlichen Misserfolg nicht damit aufwiegen, dass die finanzielle Bilanz besser aussieht und wir 2026 nahezu alle langfristigen Verbindlichkeiten abgebaut haben werden und die schnellste Sanierung aller Zeiten, wie einer der Verantwortlichen aus unserem Bankenkonsortium gesagt hatte, abgeschlossen haben. Das interessiert den normalen Fan verständlicherweise nicht. Und das sportliche Ergebnis war über einen längeren Zeitraum schlecht. Wir sind abgestiegen und waren zwischenzeitlich Zwölfter der Zweiten Liga: Das ist Mist. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn das Fundament irgendwann gesund ist, dann entwickelst du dich auch sportlich wieder.

Der 1. FC Köln soll sein Fahrstuhl-Image ablegen
Der Sportchef über Ziele

Wohin soll sich der 1. FC Köln entwickeln?

Wir wollen den FC perspektivisch wieder zu einem Klub entwickeln, der dem Potenzial seines Standorts, das unstrittig riesig ist, über einen längeren Zeitraum gerecht wird. Das würde bedeuten, dass der FC in einer guten Saison mal an einem Europapokalplatz kratzt und in einer nicht so guten Saison Zwölfter oder 13. wird, aber sein Fahrstuhl-Image ablegt. Wir haben jetzt ein paar Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dieses Ziel nicht nur eine Utopie ist. Aber es wird nicht morgen oder übermorgen passieren. Wir sind im Hier und Jetzt und wissen, dass wir in der Zweiten Liga sind. Wir arbeiten intensiv daran, in dieser herausfordernden Liga am Schluss einen der ersten Plätze zu belegen.

Also sagen Sie es jetzt doch: Der Aufstieg ist das Ziel.

…der schnellstmögliche Aufstieg (lacht). Daran halten wir fest. Wir tun uns keinen Gefallen damit, zu viel über Szenarien im Mai zu sprechen. Dafür ist die Liga viel zu ausgeglichen. Und es ist noch nicht so lange her, da fehlte uns die Stabilität.

Der FC konnte sich lange auf die Situation vorbereiten, nach Ablauf der Transfersperre wieder Spieler registrieren zu dürfen. Sind Sie zufrieden mit dem Status quo?

Ich bin nicht zufrieden. Aber meinen Wunschzustand, den ich vor jeder Transferphase habe, dass zum ersten Training alle geplanten Neuzugänge da sind, den werde ich selten erfüllen können.

Warum nicht?

In der Winter-Transferperiode gibt es im Regelfall keine auslaufenden Verträge. Wir brauchen also fast immer den abgebenden Klub dazu. Jusuf Gazibegovic zeigt, dass wir gut vorbereitet waren. Hier konnten wir eine Klausel ziehen, also ging es schnell. Bei den meisten Spielern ist die Situation im Winter aber eine andere und wir sind abhängig vom abgebenden Club. Und wenn wir uns mit dem nicht einigen oder dieser einen Wechsel ausschließt, führt es eben nicht zum Ergebnis. Ich hätte den Transfer von Joel Schmied (der Innenverteidiger vom FC Sion soll kommen, d. Red.) gerne schon vor drei Wochen fix gemacht, aber man muss auch die Vernunft walten lassen und nicht gleich wieder die Substanz kaputt machen.

Haben Sie das Gefühl, dass einige Klubs und/oder Berater die FC-Situation jetzt ausnutzen?

Es existiert ja die Mär, dass unsere Kassen nach zwei Transferperioden ohne Zugänge, einer mit nur geringen Transferausgaben und nach mehreren positiven Jahresergebnissen prall gefüllt sind. Doch das stimmt nicht, denn die positiven Jahresergebnisse waren unabdingbar, um die Verbindlichkeiten zu tilgen. Dennoch sind wir jetzt in der Lage, für einen Zweitligisten ordentlich zu agieren.

Auf wen dürfen sich die FC-Fans im Januar noch freuen? Oder gibt es gar keinen Grund zur Freude? Ihre Bilanz auf dem Transfermarkt ist schließlich ausbaufähig...

Nach der Verletzung von Luca Kilian (Kreuzbandriss, d. Red.) wollen wir einen Innenverteidiger zwingend verpflichten, da werden wir auch zu einem Ergebnis kommen. Und dann haben wir das Ziel, einen Stürmer zu holen – aber das ist nicht zwingend notwendig. Denn wir haben mit Tim Lemperle und Damion Downs bereits zwei Stürmer, die zusammen nach der Hinrunde 22 Torbeteiligungen in die Waagschale werfen können.

Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass Lemperle bereits jetzt zur TSG Hoffenheim wechselt?

Wir planen mit Tim für die Rückrunde. Ein Szenario, in dem es anders kommt, ist unwahrscheinlich, aber man soll auch niemals nie sagen…

Noch weiß der FC nicht, in welcher Liga er 2025/26 antritt. Doch Sie werden sich ja damit schon beschäftigen: Was sind die größten Herausforderungen in der Sommer-Kaderplanung? Es laufen alleine im kommenden Juni elf Spielerverträge aus…

Bevor die Rückrunde in der Zweiten Liga startet, möchte ich ungern über die Sommer-Kaderplanung sprechen.

Anders: Droht dem FC erneut der Verlust einiger großer Talente?

Das möchte ich hingegen gerne beantworten: Öffentlich wird dem FC Talente-Flucht unterstellt. Ich komme jetzt nicht auf viele Talente, die in meiner Amtszeit gegangen sind. Justin Diehl (mittlerweile beim VfB Stuttgart, d. Red.) war ein großes Talent, seinen Fall haben wir rauf- und runterdiskutiert. Tim hätte uns beinahe vor zwei Jahren schon verlassen, da haben wir damals eine Vertragsverlängerung erzielt und ihn über die Leihe weiterentwickelt. Und das war gut – wie sich in dieser Saison zeigt. Wenn er bald einen anderen Weg gehen will, dann müssen wir das akzeptieren. Wenn Tim bei uns so weiterspielt wie in der Hinrunde und uns dadurch beim Erreichen unserer Ziele hilft, dann kann ich in der Gesamtbetrachtung mit dieser Personalie leben.

Für mich würde die Welt allerdings auch nicht untergehen, wenn ich keinen Job im Fußball hätte.
Keller über seinen Lebensweg

Mit Markus Rejek verlässt einer von drei Geschäftsführern den Klub. Wird ihm jemand nachfolgen – und wenn ja – wann?

Das liegt in der Verantwortung des Gesellschafters. Das ist der Vorstand ergänzt mit den anderen Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses.

Wieder anders gefragt: Können Sie mit Philipp Türoff die Aufgaben auch als Duo bewältigen?

Das können wir für eine Übergangsphase gut kompensieren. Ab 2026 vermarkten wir uns erstmals seit 25 Jahren wieder selbst. Das ist eine große Chance, aber auch eine Mammutaufgabe. Die müssen wir lösen und gut vorbereiten. Das werden wir nicht zu zweit schaffen können.

Was erwarten Sie von der Vorstandswahl im September? Der amtierende Vorstand hat Sie geholt.

Ganz ehrliche Antwort: Die interessiert mich gerade nicht, weil sie so weit weg ist. Mich interessiert erst einmal das Hier und Jetzt.

Ihr Vertrag läuft länger als September, kolportiert bis Ende Februar 2026. Gesetz den Fall, ein anderer Vorstand würde gewählt: Können Sie sich denn vorstellen, auch unter einem anderen Vorstand, wenn der das auch so will, beim FC zu bleiben?

Ich weiß, dass Sie das interessiert (lacht). Aber auch da gilt, dass das Hier und Jetzt gerade zählt. Was soll ich mir jetzt über meinen eigenen Vertrag Gedanken machen? Für mich würde die Welt allerdings auch nicht untergehen und ich wäre trotzdem glücklich, wenn ich keinen Job im Fußball hätte. Aber ich empfinde es als extremes Privileg, den Job beim FC machen zu dürfen. Und zwar so gut, wie ich kann.