Bayer 04 Leverkusen hat eine 50-minütige Dokumentation zum zehnjährigen Klub-Jubiläum von Kai Havertz veröffentlicht.
Es ist keine offizielle Verkündung, doch es benötigt nicht viel Phantasie, um den Film als kleines Abschieds-Geschenk zu deuten.
Denn der 21 Jahre alte Havertz steht vor einem Rekord-Transfer zum FC Chelsea. Wir haben uns die Doku angesehen.
Leverkusen – An seinem Laufstil und seinen Bewegungen, den wohl überlegten Finten, die die Gegenspieler ins Nichts laufen lassen, kann man ihn schon erkennen: Kai Havertz, Superstar von Bayer 04 Leverkusen und in wenigen Wochen wohl Deutschlands teuerster Fußballer. Doch in der beschriebenen Sequenz läuft er keinem Bundesliga-Verteidiger des FC Bayern davon, sondern jugendlichen Gegenspielern: In der knapp 50-minütigen Dokumentation „Kai – die Havertz-Story“ wirft Bayer 04 einen Blick auf die zehn Jahre zurück, die das Supertalent bereits beim Werksklub spielt. Jugendtrainer kommen zu Wort, Leverkusener Verantwortliche und Havertz selbst.
Noch kein offizielles Angebot des FC Chelsea
Es ist eine kleine Hommage vom Verein für sein mit Abstand größtes Aushängeschild. Zwar fallen weder die Worte „Wechsel“, noch „Chelsea“, noch „Rekordtransfer“ – doch es bedarf nicht viel Phantasie, um die Dokumentation als Leverkusens Abschiedsgeschenk für Havertz zu deuten, der nach dem Europa-League-Turnier in Nordrhein-Westfalen samt Finale in Köln am 21. August wohl in die Premier League wechseln wird – selbst wenn Sportdirektor Simon Rolfes noch am Donnerstag bekräftigte, dass kein offizielles Angebot des FC Chelsea vorliegen würde. Die Dokumentation gibt einen kleinen Einblick in den Werdegang des Kai Havertz vom Kind zu einem der begehrtesten Fußballer weltweit. Er habe „vom lieben Gott Vieles in die Wiege gelegt bekommen“, sagt Bayers Sport-Geschäftsführer Rudi Völler gleich zu Beginn.
Der Großvater sei der Erste gewesen, der seinen Enkel Kai mit dem Fußball in Kontakt gebracht habe – als Kleinkind sollte er im Garten auf Gartenzwerge schießen. Offenbar mit Erfolg. Geboren in Aachen und wohlbehütet aufgewachsen im Alsdorfer Stadtteil Mariadorf als Sohn eines Polizisten und einer Juristin, berichtet sein erster Jugendtrainer Dirk Morfeld von Havertz‘ ersten Schritten auf ein Fußballfeld. Der spätere Nationalspieler ist erst vier Jahre alt, als er 2003 von einem Nachbarn zum Training von Alemannia Mariadorf gebracht wird. Eigentlich zu jung für Morfeld – doch er lässt sich überzeugen. Schnell sei klar geworden, dass der kleine Kai ein anderes Verhältnis zum Fußball hatte als andere Kinder. So trainiert und spielt er als Vierjähriger mit Sechsjährigen – und sticht dennoch heraus.
Kai Havertz wechselt für ein Jahr zu Alemannia Aachen
Schon der achtjährige Kai Havertz weckt Interesse von Bayer 04 Leverkusen, Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln. Doch seine Familie blockt ab, es sei noch zu früh für ihn. Havertz bleibt bis 2009 in Mariadorf, ehe er für ein Jahr zum großen Nachbarn Alemannia Aachen wechselt. Dann versucht Bayer 04, angeführt von Weltmeister Rudi Völler, erneut sein Glück. Die gesamte Familie Havertz wird zum Essen eingeladen, ihr wird das frisch eingeweihte Jugendzentrum Kurtekotten präsentiert, sowie die Bay-Arena, in die – so scheint es schon damals klar – Havertz irgendwann als Profi einlaufen wird. „Es hat weniger Kai, sondern eher seine Eltern überzeugt“, berichtet Völler. 2010 wechselt Havertz in den Nachwuchs von Bayer 04.
Nun beginnt auch die Vorbereitung auf sein Leben als Fußballer. Denn obwohl er in der Anfangszeit sogar ein Training pro Woche weniger als seine Teamkollegen absolviert, verbringt Kai Havertz viel Zeit mit Pendeln. „Morgens um 7 Uhr ging es hin, um 19 Uhr wieder zurück“, berichtet er. Zwei Stunden davon sitzt er im Auto, „meine Freizeit hatte ich auf der Autobahn“, so Havertz. Fußballtraining und Schule sind eine zeitintensive Kombination. Doch das Supertalent meistert die Herausforderung mit Bravour und schießt in seinen ersten vier Jahren in der Bayer-Jugend 307 Tore. Mit 14 hat Havertz einen Wachstumsschub, behält aber das Feingefühl im Fuß und seine Ruhe am Ball. Als er in die B-Jugend wechselt, wird ihm das Pendeln zu zeitintensiv. Er zieht nach Leverkusen zu einer Gastfamilie – der vom damaligen Stadionsprecher Klaus Schenkmann.
Kai Havertz: B-Junioren-Meister mit Bayer 04
Mit der U17 des Werksklubs gelingt Havertz 2016 dann ein krönender Abschluss seiner Nachwuchs-Karriere: der Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Beim 2:0 im Finale gegen Borussia Dortmund erzielt Havertz nach einem wunderbaren Doppelpass selbst das 1:0. Aus der Meister-Mannschaft von Trainer Markus Anfang wird der Mittelfeldspieler der einzige bleiben, der es später in die obersten Regionen des Profitums schafft.
Die Sommervorbereitung absolviert Havertz dann schon mit den Profis von Trainer Roger Schmidt. Der gerade 17 Jahre alt gewordene Teenager ist längst die Verheißung der Werkself. Am 10. September 2016 steht Havertz erstmals im Bundesliga-Kader, am 15. Oktober feiert er sein Profi-Debüt beim 1:2 gegen Werder Bremen. Am 2. November spielt er erstmals in der Champions League, vor fast 80.000 Fans in Wembley darf er den 1:0-Sieg gegen die Tottenham Hotspurs feiern. Bis zu seinem ersten Tor muss er noch einige Monate warten, am 2. April trifft er zum 3:3 gegen den VfL Wolfsburg.
Zur gleichen Zeit absolviert er am Landrat-Lucas-Gymnasium sein Abitur. „Ich hatte irgendwann keine Kraft mehr. Du wirst auf der einen Seite so hochgejubelt und musst auf der anderen Seite normal zur Schule gehen“, berichtet Havertz. Besonders schwer sei es nach einem DFB-Pokalspiel Ende Oktober 2016 bei den Sportfreunden Lotte gewesen. Bayer 04 hatte nach Elfmeterschießen verloren. „Wir waren erst um 3 Uhr Zuhause und ich musste am nächsten Tag noch eine Klausur schreiben“, so Havertz. Zweifel, ob er seinen Schulabschluss wirklich durchziehen sollte, werden offenbar von Roger Schmidt beiseite gewischt. „Er hat gesagt: ‚Kai, zieh‘ das durch mit dem Abitur.‘ Und wenn das ein Trainer sagt, dann machst du das halt“, erzählt Havertz. So bewältigt er seinen Schulabschluss und spielt gleichzeitig in Leverkusens Horror-Saison 2016/17 eine Hauptrolle beim erfolgreichen Klassenerhalt, als er am 32. Spieltag per Kopf zum 1:1 in Ingolstadt trifft.
Kai Havertz bekommt Lob von Toni Kroos
Kai Havertz‘ kometenhafter Aufstieg ging weiter. Lange ist er Leverkusens jüngster Bundesliga-Profi und –Torschütze. Er wird zu Bayers jüngstem A-Nationalspieler und zum jüngsten Spieler mit 100 Bundesliga-Einsätzen. „Von seiner Qualität her ist er nicht aufzuhalten“, sagt der aus Madrid zugeschaltete Weltmeister und vierfacher Champions-League-Sieger Toni Kroos, dem sein großer Durchbruch einst auch bei Bayer 04 gelang. Havertz‘ bester Kumpel und früherer Bayer-Teamkollege Julian Brandt sagt: „Er geht seinen eigenen Weg, um ihn mache ich mir keine Gedanken.“
Es sind nette Bilder, die die Dokumentation zeigt. Havertz berichtet über seine Leidenschaft für Esel, deren stoische Ruhe er zu schätzen und teilen scheint. Und über sein Klavierspiel – passend zu seiner Rolle als Künstler auf dem Feld. Einen richtigen Eindruck vom Privatmenschen Havertz erhält man in 50 Minuten dennoch nicht – was auch nicht der Anspruch der Klub-Dokumentation ist. Nur bei einer Anekdote von Brandt aus einem gemeinsamen Urlaub, als Havertz den Inhalt eines blauen Kühl-Packs mit Eiswürfeln verwechselt und sich anschließend über den seltsamen Geschmack wundert, kann man sich vorstellen, dass er im Alltag ähnlich tickt, wie normale junge Erwachsene.
Doch ist Kai Havertz kein „normaler junger Erwachsener“. Er ist eine sportliche Rarität, für die Bayer 04 wohl in diesem Sommer sehr viel Geld kassieren wird. „Spieler wie Kai gibt es nicht alle Tage, das darf man nicht erwarten“, sagt Geschäftsführer Fernando Carro. Auch deshalb hat Bayer 04 für Kai Havertz ein kleines filmisches Denkmal gebastelt, das es ab sofort bei Youtube zu sehen gibt.