Köln – „Wo ist denn das Ende der Schlange?“, fragt der Mann, der mit seiner Familie am Freitagmittag am Kölner Airport ankam. Die Menschen stehen durch beide Terminals hindurch, Hunderte von Metern, vor dem Nadelöhr der Security-Kontrolle. Zeitweise mäandert die Schlange auch nach draußen. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt eine Frau aus Bonn. Sie ist extra früh um acht Uhr morgens gekommen, der Flug startet erst um 15.30 Uhr. Doch nun geht es nur ganz langsam voran.
Im Laufe des Tages wird der Andrang immer größer. Ein Flughafensprecher sagt: „Das Passagieraufkommen ist mit dem des ersten Ferienwochenendes zu vergleichen.“ In den Verkehrsspitzen ließen sich Wartezeiten nicht vermeiden. Die Schlange bewegt sich zwar stetig. Aber die Wartezeit wird länger. Bis zu zweieinhalb Stunden, berichten Fluggäste, hätten sie gebraucht, bis sie endlich am Security-Bereich ankamen. Auch das sehr frühe Kommen habe nichts genutzt, weil die Check-in-Schalter nicht früher aufgemacht hätten.
Passagiere helfen sich gegenseitig
Dass wie an normalen Tagen auch an diesem Freitag die automatische Durchsage „Bitte begeben Sie sich nach dem Check-in zur Sicherheitskontrolle“ läuft, wirkt da etwas deplatziert. Live-Durchsagen zur aktuellen Lage gibt es nicht. Da hilft auch wenig, dass ein Pianist in der Café-Bar unter Lampen mit der Aufschrift „Chill Out“ den alten Hit „I’m leaving on a jet plane“ spielt.
In dem immer größer werdenden Wirrwarr gibt es kaum Hilfe für die Fluggäste. Die Polizei ist zwar an neuralgischen Punkten ansprechbar – aber meistens erklären sich die Passagiere gegenseitig, wer wo hin muss. Zum Beispiel, dass Familien mit Kindern unter vier Jahren und gebrechliche oder behinderte Menschen an der Schlange vorbeiziehen dürfen.
Kontrollen entlasten
Viele nehmen das Warten mit Geduld hin. In der Schlange stehen zahlreiche gut gelaunte Gruppen. Ein Junggesellinnenabschied aus Wuppertal hat einen Party-Becher mit kleinen Schnäpsen mitgebracht und lässt sich die Laune nicht verderben. „Wir waren darauf eingestellt, dass es dauern wird.“ Eine andere Freundinnengruppe, die ein paar Tage Prag gebucht hat – wie viele andere Passagiere – hat trotz aller Bitten und Warnungen mehrere Handgepäckstücke pro Person dabei.
Das sollte möglichst vermieden werden, um die Sicherheitsüberprüfungen nicht noch langwieriger zu machen. „Dann müssen wir noch schnell umpacken und den Inhalt der kleineren Taschen in die großen packen“, beschließt die Gruppe. Zeit ist ja genug.
Flughafenchef im Urlaub
Verdi-Gewerkschaftssekretär Özay Tarim hat den neuen Chef des Flughafens Köln/Bonn, Thilo Schmid, scharf kritisiert, weil der Manager derzeit im Urlaub ist. „Ich finde es sehr schwer nachvollziehbar, dass man in einer solchen Krise in den Urlaub geht“, sagte Tarim dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Man müsse doch „erstmal seinen Laden wieder in den Griff kriegen, bei so einem Chaos“, so der Gewerkschafter. Mehrere Politiker hätten jüngst zurücktreten müssen, weil sie in schweren Krisen wie der Flutkatastrophe im Urlaub gewesen seien.
Vonseiten des Flughafens heißt es zu der Kritik: „Der Vorsitzende der Geschäftsführung steht ständig in Kontakt mit dem Unternehmen und ist in alle wichtigen Entscheidungen des operativen Geschäfts trotz seines Urlaubs eingebunden. Die Flughafen Köln/Bonn GmbH und ihre Geschäftsführung ist so aufgestellt, dass sie jederzeit voll handlungs- und entscheidungsfähig ist.“ (cos)
Andere Wartende geraten langsam in Panik, denn ihnen läuft die Zeit weg. Eine Musikerin muss dringend zu einem Konzert nach Spanien, ihr großes Streichinstrument trägt sie auf dem Rücken. Sie trennen noch zweihundert Meter vom Ziel, aber der Flug geht schon in 20 Minuten. Unmittelbar vor dem Sicherheitsbereich werden die Polizisten mit Fragen bestürmt. Und mit Bitten, ob man nicht angesichts der knappen Zeit bis zum Abflug eingelassen werden könnte. Die meisten werden ans Ende der Schlange geschickt.
„Das ist eine Katastrophe“, meint ein Mann. „Die wussten doch, dass heute so viele kommen. Wie ist denn so etwas möglich?“ Auch Gäste aus dem Ausland, die möglicherweise nicht so gut über die derzeitigen Probleme informiert sind, schauen ungläubig auf den Trubel. Viele suchen Hilfe am einzigen Info-Point. Doch das Warten kann ihnen niemand abnehmen.
„Desaster mit Ansage“
Eine Frau aus Pulheim lässt sich vor der Flug-Anzeigetafel fotografieren, als Beweis dafür, dass sie zeitig genug für ihren Flug nach Wien am Airport war. Für den Fall, dass sie ihn verpasst und Entschädigung beantragt.
„Das ist auch am zweiten Ferienwochenende ein Desaster mit Ansage“, sagt Özay Tarim, Gewerkschaftssekretär bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi NRW. Erst haben man sich von Mitarbeitern getrennt oder sie in andere Jobs abwandern lassen, nun fehle Personal überall. „Alle Beteiligten der Branche haben trotz unserer Warnungen das Ding voll vor die Wand fahren lassen“, sagt Tarim.
Ob der jüngst von der Bundesregierung angekündigte Einsatz von Arbeitskräften aus der Türkei zu einer kurzfristigen Verbesserung beitragen wird, ist mehr als unwahrscheinlich.
Denn zum einen müssen Bewerber eine umfangreiche Sicherheitsüberprüfung an den Flughäfen bestehen, die von den Bezirksregierungen durchgeführt werden. Hinzu kommt noch Zeit für die Einarbeitung. „Dass das in nur vier Wochen gelingen soll, ist reine Wunschvorstellung“, sagt Tarim. Wenn bei der Sicherheit keine Abstriche gemacht werden sollen, wie es die Bundesregierung angekündigt hat, werde es wohl mindestens doppelt so lange dauern. „Dann sind die Ferien im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW nur leider vorbei“, sagte Tarim dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Berlin hat weiterhin konkrete Vorgaben gemacht, um Sozial- oder Lohndumping zu unterbinden. Nach Angaben der Luftfahrtbranche gehe es um einige Tausend Arbeitskräfte. Eingestellt werden müssten sie von den Unternehmen selbst. Für den Einsatz sollten staatlicherseits schnell und befristet Voraussetzungen mit Einreise- und Aufenthaltstiteln sowie Arbeitserlaubnissen geschaffen werden. Bezahlt werden müsse nach Tarif, vorgegeben würden außerdem gute Unterkünfte.
Umsetzung selbst Behörden unklar
Allerdings ist das konkrete Prozedere, wie die Menschen sich in Deutschland bewerben können und wie Arbeitgeber sie finden, offenbar noch völlig unklar. „Wären es Leiharbeiter, würden sie von den Leiharbeitsfirmen einfach überlassen“ erklärt Tarim. Verdi begrüße allerdings ausdrücklich, dass dieses Modell nicht gewählt worden sei.
Der Gewerkschafter selbst hat auch aufgrund seiner hohen Medienpräsenz und seiner türkischen Wurzeln schon selbst einige Anfragen auf dem Tisch. Etwa von der 39-jährigen Istanbulerin Arzu S.. Seit 13 Jahren arbeitet sie als Flugbegleiterin. Auf Tarim sei sie über die Medien aufmerksam geworden, habe seine Kontaktdaten bei Google gefunden und gleich eine Bewerbung geschrieben, erzählt Tarim. Sie sei in der Schweiz geboren, spreche gut deutsch und englisch und sei bereit jederzeit nach Deutschland zu kommen. Wie ist allerdings nicht nur ihr, sondern offenbar vielen Bewerbern noch völlig unklar. „Sie hat berichtet, dass offenbar nicht einmal das deutsche Konsulat in der Türkei Bescheid weiß“, sagt Tarim.