Geschichten, die Mut machenWie sich vier Kölner in der Krise neu erfinden
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Köln – Vier Unternehmer aus Köln wollen mit ihren Geschichten in Pandemiezeiten Mut machen. Sie haben sich neu erfunden und berichten davon:
Vom Catering zum Pick-Up-Restaurant
„Am Anfang habe ich mich sogar richtig gefreut. Endlich mehr Zeit für meine drei Jungs und meine Frau“, sagt Sebastian Morgenstern, der normalerweise im Frühjahr viel zu tun hat. Das ist nämlich die Zeit, wenn Messen und Events nach der Winterpause wieder losgehen. Seit mehr als 20 Jahren bewirtet der 50-Jährige mit seinem Catering-Unternehmen – zehn feste Mitarbeiter inklusive – vom Kölner Rheinauhafen aus 120 bis 150 Veranstaltungen pro Jahr weltweit.
Unternehmerisch ist es eigentlich klug, sich nicht nur auf einen regionalen Markt zu verlassen. Aber eine Pandemie, die auf der ganzen Welt Messe- und Kongressabsagen zur Folge hat? „Das ist Mist!“, fasst Morgenstern die Situation kurz und bündig zusammen. Er kennt viele Kollegen in der internationalen Event- und Gastronomiebranche, denen es richtig schlecht geht oder deren Unternehmen es gar nicht mehr gibt. Dennoch gehört Morgenstern nicht zu den Menschen, die sich beschweren. Er bleibt optimistisch: „Jede Krise birgt auch eine große Chance. Da findet jetzt eine Marktbereinigung statt, die sonst sicher länger gedauert hätte.“
Seine Chance sieht er „vor der Tür, im Regionalen und im Nachhaltigen“. Nachdem er einen Teil seiner Mitarbeiter in die Kurzarbeit geschickt hat, kümmert er sich um die Entwicklung neuer Gastronomie-Konzepte. Morgenstern baut seine Event-Location im Rheinauhafen kurzerhand in ein Open-Air- und Pick-up-Restaurant um. Er kooperiert mit Partnern, die sich auf hochwertige Produkte der Lebensmittelindustrie spezialisiert haben, die bei Produktionsumstellungen anfallen und sonst entsorgt worden wären, weil sie nicht „ins Raster“ passen. Morgenstern entwickelt Menüs aus regionalen und saisonalen Zutaten, die sich mit vertretbarem zeitlichen Aufwand und energiesparend für mehrere Tage im Voraus zu Hause zubereiten lassen – als gesunde Verpflegung im Homeoffice.
Außerdem denkt Morgenstern über die Zukunft des Essens nach: „Die Tellergerichte mit Hauptspeise, Beilagen und Saucen haben endgültig ausgedient. Ich will nichts weniger als die Disruption des Kochens“ sagt er. Disruption wie Zerstörung? „Die ganze Welt wird gerade auf den Kopf gestellt, warum nicht also auch, wo wir in Zukunft unser Essen kaufen und die Art und Weise, wie wir es zubereiten.“ So gehe der Trend zu „One-Pot“-Gerichten, die allerdings deutlich komplexer seien als der klassische Eintopf.
„Schwimmen beschreibt die Fortbewegung von Lebewesen im Wasser“, sagt Wikipedia. „Schwimmenlernen ist mehr als nur eine Bewegungsanleitung – Schwimmen ist Psychologie“, sagt Martin Becker. Damit distanziert sich der Schwimmtrainer und Unternehmer sehr deutlich von Meinungen, die die Fortbewegung im Wasser in die Nähe einer verzichtbaren Fähigkeit stellt. Physische Bewegung und Kraft sind in Beckers Leben wichtig.
Als Miteigentümer von zwei Schwimmschulen mit eigenen, gerade erst renovierten beziehungsweise neu gebauten Bädern in Lövenich und Bensberg kümmert sich der 36-Jährige um seine Mitarbeiter und um sein Unternehmen Sharky Sportsclub. Außerdem ist er Vater von zwei Kindern im Kita-Alter. „Wenn dann Stillstand in das Leben einzieht, ist das für mich natürlich schwer auszuhalten“ sagt Becker in Bezug auf die Corona-Krise. „Ohne Bewegung: Das gibt es für mich nicht.“ Im Wasser müsse man sich immer bewegen, um nicht untergehen.
Und deshalb bewegt Becker in der Krise viel – und viel Gutes. Privat kümmert er sich um die Betreuung seiner Kinder, während seine Frau als angestellte Zahnärztin nun alleine für das Familieneinkommen sorgt, aber auch seinen Mitarbeitern hilft er in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit. „Wir stehen alle ständig in Kontakt. Meine Leute wissen, sie können sich bei mir melden, wenn sie in wirtschaftliche Not kommen.“
Becker organisiert „eines der größten Blutspende-Events des DRK“ in seinen leerstehenden Bädern, sammelt hohe Spendengelder, kümmert sich um benachteiligte Kinder, verleiht seine Luftaufbereiter an Kitas und Schulen und tut dadurch mitten in seiner eigenen schweren Krise als Unternehmer etwas Wichtiges für die Gesellschaft – aber auch für sich selbst. „Als Firma hilft uns das natürlich wirtschaftlich überhaupt nicht, dennoch können wir uns so auch in der Krise enorm weiter entwickeln“, erklärt er die Motivation dafür, anderen in der Krise zu helfen.
Aber das Ganze hat auch seinen Preis. „Ich könnte manchmal heulen vor Glück – und manchmal auch aus Verzweiflung. Diese emotionalen Aufs und Abs kenne ich von mir nicht. Trotzdem: Wir haben uns nie über die Schließungen unserer Bäder und Studios beschwert.“ Vielleicht ist das die größte Veränderung, die Martin Becker in der Pandemie erlebt und gleichzeitig die Herausforderung an sich selbst: Zu erkennen, dass auch Stillstand kraftvolle Bewegung sein kann.
„Wir haben schon Streaming gemacht, da haben dieses Wort weltweit nur ganz wenige Menschen benutzt“, erinnert sich Thomas Berghausen an die Anfangszeit seiner Firma aus Köln-Mülheim zurück. An der heutigen Technischen Hochschule lernte der diplomierte Fotoingenieur vor über 22 Jahren die damals vollkommen neuartige Technologie im Rahmen einer Projektgruppe kennen – und gründete sein Unternehmen „meta-fusion“.
Die Branchen, in der seine Dienstleistungen – Webcast und Videostreaming auf großen, internationalen Konferenzen, Tagungen und Live-Events – gefragt sind, modernisieren sich eher langsam. „Viele Jahrzehnte haben sich dort alle allein auf Anwesenheit vor Ort eingeschworen, echte Digitalisierung zur Übertragung von Veranstaltungen wurde nur sehr wenig vorangetrieben.“ Dann kommt Corona, die Krise trifft mit voller Wucht auf die nahezu unvorbereitete Meeting-Industrie. Länder verhängen Reiseverbote und nicht nur der Tourismus kommt zum Erliegen, auch der Geschäftsreise- und Kongress-Markt fällt komplett in sich zusammen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Berghausens Firma bereits in einem speziellen Bereich der Branche – medizinischen Kongressen – erfolgreich etabliert. „Alle unsere Aufträge wurden storniert, alle Kongresse wurden erst verschoben oder direkt abgesagt. Wir hatten plötzlich quasi nichts mehr zu tun – von einem Tag auf den anderen. Das macht schon Angst, selbst nach über 20 Jahren Selbstständigkeit“, erinnert sich der 50-Jährige an den Frühling 2020. Doch das blieb nicht lange so. „Nach einer kurzen Weile liefen bei uns die Telefone heiß. Viele, die vor der Pandemie von virtuellen Kongressen nichts hören wollten, wollten jetzt genau das haben.“
Bei den Firmen habe plötzlich ein großes Umdenken eingesetzt. „Zum Glück sind viele Zweifler und Zögerer klüger geworden und haben erkannt, dass Menschen sich durchaus im digitalen Raum treffen können – wenn auch anders als gewohnt. Und dies wird auch so bleiben.“
Trotzdem sehnt sich Berghausen auch nach der Rückkehr zu realen Veranstaltungen zurück. „Ich möchte auch wieder nach einem langen Kongresstag mit meiner Kamera durchs abendliche Barcelona streifen“, sinniert der private Foto-Enthusiast wehmütig, aber auch sehr optimistisch.
Eric Machmüllers Leidenschaft, das Ringturnen, ist keine neue Erfindung. Seine Geschäftsidee, Fitness-Module über eine App auf dem Smartphone anzubieten, haben andere auch. Aber beides zusammen in einem Umfeld, in dem alle Fitness-Studios und Sportstätten geschlossen sind und viele Menschen aus dem Homeoffice arbeiten, ergeben eine Erfolgsgeschichte.
„Wir haben an der Sporthochschule Köln bemerkt, dass noch viele andere Sportler Interesse am Krafttraining mit Turnringen haben“, erklärt Machmüller die Geschäftsidee. Zunächst startete der 28-Jährige mit seinem Partner neben seinem Lehramtsstudium an der Uni Köln seine kleine Firma in seiner Wohnung in Ehrenfeld. Klein sollte das Unternehmen „Die Ringe“ zunächst auch bleiben – bis Corona kam.
Die Nachfrage nach effektiven und mobilen Trainingsmöglichkeiten und nach digitalen und seriösen Anbietern von Trainingsmodulen über Apps stieg enorm. „Durch die Schließung der Fitnessstudios hatten wir Glück im Unglück. Immer mehr Sportler wollten nicht auf ihr Krafttraining verzichten und suchten nach Alternativen“, sagt Machmüller, der sich aber nicht als Gewinner der Pandemie, sondern höchstens als Begünstigten sieht. Denn: „Den anhaltenden Trend, nicht mehr auf feste Räumlichkeiten angewiesen zu sein, wollen wir nachhaltig festigen und Sportlern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden wann und wo sie trainieren. Der Lockdown hat das beschleunigt.“
Aus der kleinen regionalen Firma wird ein großes, nationales Business und es wird zunehmend schwerer, dieses Geschäft neben dem Studium zu koordinieren. Partner werden gesucht und gefunden. Machmüller will sein Studium fortsetzen und abschließen, obwohl er zum digitalen Gründer geworden ist. Bemerkenswert findet er den krassen Gegensatz von seinem ehemaligen Nebenbei-Projekt zu seinem zukünftigen Beruf als Sportlehrer: „Von einer Digitalisierung der Schule ist Deutschland in der Summe noch meilenweit entfernt. Es gibt kaum gute Angebote, vor allem nicht für den Schulsport“, sagt der 28-Jährige. Und eine Agilität, wie sie von digitalen und modernen Unternehmen gefordert wird, um am Markt schnell und langfristig erfolgreich zu sein, ist der behördlichen und schwerfälligen Institution Schule nahezu unbekannt.