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Kölner Professor über Corona-Medizin„Nicht einfach an Höchstbieter versteigern“

Lesezeit 5 Minuten
Corona Impfstoff Symbolbild

Trotz der Impfungen wird das Virus nicht komplett verschwinden, sagt der Expertenrat der Landesregierung.

  1. Der Kölner Ökonom Axel Ockenfels hat bereits mit den frisch gekürten Wirtschafts-Nobelpreisträgern zusammengearbeitet.
  2. Im Interview erklärt er, was deren Arbeit so besonders macht und welchen Einfluss die Wissenschaft auf die gerechte Verteilung eines Corona-Impfstoffs nehmen kann.
  3. Dabei erklärt der renommierte Kölner Wissenschaftler auch, wie trotz Krisenhektik das Horten von Toilettenpapier hätte verhindert werden können.

Am Montag wurden die beiden US-Ökonomen Paul Milgrom und Robert Wilson mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet für die Erfindung neuer Auktionsformate. Auch Sie forschen auf diesem Gebiet, kennen Sie sich persönlich?Marktdesign ist noch eine junge Disziplin, und Marktdesigner sind gewissermaßen Teil einer großen Familie. Bob Wilson ist dabei das Familienoberhaupt, und Paul Milgrom ist einer seiner drei Doktoranden, die mittlerweile einen Nobelpreis erhalten haben. Mit einem seiner anderen prämierten Doktoranden, Alvin Roth, arbeite ich schon sehr lange zusammen, seit über 20 Jahren. In den letzten Wochen haben wir uns beispielsweise mit der Frage beschäftigt, wie Experimente die Corona-Impfstoffentwicklung beschleunigen könnten.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

Mit Paul Milgrom habe ich vor 15 Jahren zuerst über Windkanaltests in unserem Kölner Experimentallabor gesprochen, um Ideen für Auktionsformate mit studentischen Versuchspersonen auf ihre Praxistauglichkeit zu testen. Paul war immer daran interessiert, dass seine Ideen nicht nur unter der Idealvorstellung perfekt rationalen Verhaltens funktionieren, sondern auch unter realistischen Bedingungen.

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Zur Person

Axel Ockenfels ist seit 2003 Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität zu Köln und dort Direktor des Kölner Laboratoriums für Wirtschaftsforschung und Sprecher des Exzellenzzentrums für Soziales und Ökonomisches Verhalten. Ockenfels ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien, im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums sowie verantwortlich für den Forschungsbereich Marktdesign im Exzellenzcluster ECONtribute. Seine Forschungen wurden unter anderem mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

Bob Wilson habe ich bei unserer ersten Begegnung vor vielen Jahren zunächst über seine faszinierenden Studien zur Entstehung von Kooperation und Vertrauen ausgefragt. Damals habe ich mich mit dem Design von Reputationssystemen beschäftigt, die heute das Rückgrat der Sharing Economy sind. Bobs Arbeiten lieferten dafür eine elegante theoretische Grundlage.

Was macht die Arbeit der beiden so preiswürdig?

Märkte sind sehr wichtig, denn sie legen fest, wer was zu welchem Preis bekommt. Doch Märkte funktionieren nicht einfach schon per se gut; sie können auch scheitern. Deswegen ist es wichtig, die zugrundeliegenden Funktionsweisen bis ins Detail zu verstehen, damit wir Märkte im Bedarfsfall reparieren und weiterentwickeln können. Die beiden Preisträger haben dafür die Voraussetzungen geschaffen. Dabei haben sie sich auch nicht gescheut, in den Maschinenraum der Wirtschaft zu gehen und sich dort mit all den kniffligen Implementierungsfragen zu beschäftigen, von denen die Wissenschaft gerne verallgemeinert. Bei solchen Ausflügen aus dem Elfenbeinturm zeigte sich, dass wir viel weniger über Märkte wussten, als wir geglaubt hatten.

Marktdesign und Auktionen sind auch ein weltweit führender Forschungsschwerpunkt an der Uni Köln. Wo baut Ihre Arbeit auf den Theorien auf?

In einem frühen größeren Auktionsprojekt haben wir eBay von dem Nutzen der nun nobelpreisprämierten Erkenntnisse über strategisches Bieten so sehr überzeugen können, dass eBay diverse Regeln verändert hat. Viele weitere Projekte folgten. Es stellte sich beispielsweise heraus, dass die Akteure in vielen Märkten angetrieben werden müssen, damit sie aktiv zur Preisfindung beitragen. Andernfalls wird oft, wie man es ja auch bei eBay beobachten kann, erst in den letzten Minuten oder Sekunden gehandelt. Heute steht uns ein ganzer Instrumentenkasten zur Verfügung, mit dem solches „Sniping“ beim Handeln wirksam unterbunden werden kann.

Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Die jüngsten Entwicklungen in der Computer- und Kommunikationstechnologie erlauben vollkommen neue und radikale Innovationen in der Art und Weise, wie wir miteinander handeln. Das führt zu großen Herausforderungen, aber auch zu großartigen Chancen. An unserem Kölner Zentrum arbeiten wir heute an Marktregeln, die beispielsweise eine nachhaltige Stromversorgung unterstützen, den Verkehrskollaps verhindern helfen, Klimaschutz effektiver machen und exzessiven Hochfrequenzhandel unterbinden sollen.

Sie haben zuletzt gemeinsam mit Robert Wilson ein Papier zur Verteilung von Medizingütern in Corona-Zeiten veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Die sprunghafte angestiegene Nachfrage nach Medizingütern in der Coronakrise zeigt, wie Märkte in Not geraten können. Wir haben in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt, wie mit extremen Stresssituationen in Strom- und Finanzmärkten umgegangen werden kann. Also haben wir uns gefragt, ob wir auch an dieser Stelle etwas beitragen können.

Sie schreiben, dass der Marktmechanismus in der Corona-Krise an fundamentale Grenzen stoßen kann. Warum?

Man kann knappe Beatmungsgeräte und Schutzkleidung nicht einfach an die Höchstbieter versteigern, weil sich auf diese Weise keine gesellschaftlich vernünftige Verteilung ergeben würde.

Wie müsste ein sinnvolles und ethisches Verteilungsverfahren etwa eines Impfstoffes gestaltet sein?

Es gibt Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Zum Beispiel werden an einigen Universitäten Studierende mit einer künstlichen Währung ausgestattet, mit der ansonsten knappe Seminarplätze ersteigert werden können. Auch Lebensmitteltafeln kennen solche Verteilsysteme von Lebensmitteln auf die einzelnen Gemeinden. Ähnlich wie bei normalem Geld hilft die künstliche Währung, Knappheitssignale zu erzeugen und die Zuteilung gemäß der Nachfrage zu koordinieren. Die künstliche Währung stellt aber sicher, dass die Güter nicht einfach nur an die zahlungskräftigsten Einrichtungen geschickt werden. Außerdem entstehen so Anreize, eigene Reserven nicht zu horten, sondern denen zu überlassen, die sie am dringendsten benötigen.

Wie wird dadurch das Horten verhindert – was man ja anfangs des Jahres bei Toilettenpapier beobachten konnte?

In der Hektik einer Krise werden zentral vorhandene Ressourcen oft auf Zuruf zugeteilt. Eines der Probleme mit solchen Verfahren ist der Anreiz, die Bedarfe zu übertreiben. Dies verstärkt dann aber die Sorge, dass wichtiges Equipment nicht ausreichend zur Verfügung stehen wird, so dass Übertreibung letztlich eine rationale Strategie sein kann. So wie viele Menschen Toilettenpapier gekauft haben, bis die Regale leer waren, möchten auch Krankenhäuser Schutzausrüstung vorhalten, selbst wenn sie anderswo knapp zu werden droht. Deshalb ist es wichtig, in der Krise zuverlässige Informationen über die einzelnen Bedarfe zentral zusammen zu tragen, um knappe Medizingüter bestmöglich über Zeit und Raum zu verteilen. Dafür ist im Krisenfall die Einrichtung einer zentralen Clearingstelle empfehlenswert.

Sehen Sie eine politische Bereitschaft, das Thema wie beschrieben anzugehen?

Unsere Empfehlungen werden gehört. Aber es ist schwierig, mitten in einer Krise systemische Umbrüche anzustoßen. Neue Ideen benötigen generell einen langen Atem, und nicht alle guten Ideen werden auch umgesetzt. Doch es werden immer mehr.

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