Berlin – Gepökelter Krustenbraten um die Hälfte runtergesetzt, zwei Kilogramm Hähnchenschenkel für 3,99 Euro: Im Konkurrenzkampf um die Kunden locken Supermärkte regelmäßig auch mit Schnäppchenaktionen für Lebensmittel. Das bringt nicht nur Landwirte auf die Palme, die seit Monaten in der ganzen Republik protestieren – gegen zusätzliche Auflagen und Kosten beim Umwelt- und Tierschutz, aber auch für mehr Wertschätzung für sich und ihre Produkte.
Die Bundesregierung hat das Brodeln aufgenommen. Nach einem „Agrargipfel“ lädt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag den Einzelhandel zum Gespräch. Es geht um einen Austausch, der aber mit einigen Erwartungen verbunden ist.
Wie ist das Verhältnis zwischen Handel und Produzenten?
Die führenden Händler – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl – kontrollieren nach Angaben des Bundeskartellamts zusammen mehr als 85 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland. Das gibt den „großen Vier“ eine gewaltige Einkaufsmacht. Wer bei ihnen nicht gelistet ist, hat es schwer. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) spricht denn auch von einem Verhältnis wie bei David gegen Goliath: „So fühlen sich aktuell Erzeuger, wenn sie mit dem Handel verhandeln – Augenhöhe ist nicht gegeben.“ Und das schlage sich auch in den Preisen nieder.
Wie geht der Handel mit Lieferanten um?
Bei Preisverhandlungen wird oft mit harten Bandagen gekämpft. Das kann bis zum vorübergehenden Boykott bestimmter Produkte gehen, um Lieferanten unter Druck zu setzen. Das bekamen in den vergangenen Jahren sogar bekannte große Markenhersteller wie Nestlé oder Coca-Cola zu spüren. Dabei sind ihre Produkte für den Handel deutlich schwerer zu ersetzen als Angebote von Bauern und anderen kleineren Anbietern. „Ein Preisdruck des Handels zulasten von Tierschutz- und Umweltstandards ist nicht im Interesse der Verbraucher“, sagt auch der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller.
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Wie sind die Bauern davon betroffen?
Klöckner warnt vor Dauertiefstpreisen. Wertschätzung für Produkte und Erzeuger könne beim Verbraucher nicht entstehen, wenn Fleisch, Obst und Gemüse teils verramscht würden. „Im Gegenteil: Man gewöhnt sich daran, der Handel erzieht sich seine Verbraucher.“ Leidtragende am Ende der Kette seien die Bauern, denen weniger bleibe, selbst wenn sie höhere Standards liefern müssten. Von einem Euro, den Verbraucher für Nahrung zahlen, kommen beim Erzeuger im Schnitt noch knapp 21 Cent an, wie das bundeseigene Thünen-Institut nach Daten für 2018 ermittelte. Vor 20 Jahren waren es mehr als 25 Cent. Für „faire“ Preise stehe auch der Handel ethisch und moralisch in der Pflicht, betont Klöckner.
Was sagt der Handel zu den Vorwürfen?
Die Branche fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Der Handelsverband Deutschland (HDE) betonte: „Lebensmittel werden hier nicht verschleudert.“ Deutschland liege bei Lebensmittelpreisen rund zwei Prozentpunkte über dem Schnitt der einst 28 EU-Staaten. Zudem gebe es „globale Preisabhängigkeiten“, die man in Deutschland nicht steuern könne. Rewe-Chef Lionel Souque erinnert daran, dass viele beim Einkauf auf jeden Cent schauen müssten. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze. Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“ Das wolle der Handel weiter sicherstellen.
Warum setzten Supermärkte auf Aktionen mit Billigpreisen?
Trotz aller Debatten zeigt sich: Viele Kunden lieben Schnäppchen. Für fast zwei Drittel (65 Prozent) der Bundesbürger sind Sonderangebote beim Einkaufen wichtig, wie das Marktforschungsunternehmen Nielsen in seiner Studie „Consumers 2019“ berichtete. Im harten Wettbewerb kann sich kein Händler leisten, diese Erwartungen zu enttäuschen und sein „Preis-Image“ zu gefährden. Wie empfindlich viele Verbraucher beim Preis sind, erlebte erst vor einigen Monaten Lidl. Der Discounter wollte nur noch Bananen mit Fairtrade-Siegel verkaufen, das sollte 10 bis 20 Cent pro Kilo mehr kosten. Doch die Verbraucher spielten nicht mit und kauften bei der Konkurrenz. Am Ende musste Lidl zurückrudern.
Welche Probleme gibt es noch?
Ansprechen will die Politik auch umstrittene Handelspraktiken. Ein Gemüsebauer bekomme schon mal frühmorgens ein Fax, dass es statt 30 am Vorabend bestellter Paletten Kopfsalat nur noch 15 Paletten sein sollen, erläuterte Klöckner. „Dann kann er die anderen 15 Paletten wegschmeißen.“ Um so etwas zu unterbinden, solle eine entsprechende EU-Richtlinie „eins zu eins“ umgesetzt werden. Verbraucherschützer Müller fordert unter anderem verbindliche Kennzeichnungen, wenn Lebensmittel nach höheren Standards produziert werden. Viele Kunden seien bereit, dafür mehr zu zahlen. „Aktuell können sie die Qualität eines Produkts aber kaum erkennen, schon gar nicht am Preis“. (dpa)