Köln, Düsseldorf – Selten ist die Geldentwertung im bevölkerungsreichsten Bundesland so rasant gestiegen wie in den zurückliegenden Monaten. Gegenüber dem Januar vor einem Jahr hat sich die Inflation verfünffacht. Ein Überblick über die Teuerung in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen Republik.
Wie hat sich die Inflation in NRW entwickelt?Die Inflationsrate lag in Nordrhein-Westfalen im Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 5,1 Prozent, wie das Landesstatistikamt am Montag in Düsseldorf mitteilte. Noch vor einem Jahr hatte die NRW-Inflationsrate nur bei 1,0 Prozent gelegen. Danach ging es immer weiter nach oben, im Dezember 2020 lag der Wert bei 5,2 Prozent und damit sogar etwas höher als derzeit.
Wie genau hat sich die Teuerung im Januar bundesweit entwickelt?Detaillierte Zahlen liegen noch nicht vor. Klar ist aber, dass die Inflationsrate für Januar knapp unter fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat liegt. Die Experten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) errechneten zudem zum Dezember ein Plus von 0,4 Prozent.
Was ist an diesen Zahlen so überraschend?Alle Experten hatten erwartet, dass ein sogenannter Basiseffekt die offiziell ermittelte Rate deutlich stärker drückt. Im Dezember wurde eine Teuerung von 5,3 Prozent zum Vorjahr errechnet. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei aber, dass im Vergleichsmonat (Dezember 2020) noch die verminderte Mehrwertsteuer – zur Belebung der Konjunktur in der Pandemie – in Kraft war. Zudem war Energie extrem billig. Das drückte seinerzeit die Preise massiv.Im Januar 2021 galten wieder die normalen Mehrwertsteuersätze. Der Vergleichswert bei den Verbraucherpreisen lag also höher. Was die Differenz zu den aktuellen Zahlen vermindert. Experten hatten deshalb mit einer Rate um die 4,5 Prozent kalkuliert.
Was ist nun geschehen?Der Basiseffekt trat zwar nachgerade automatisch ein. Er wurde aber durch exorbitante Steigerungen bei einer Reihe von Produkten und Dienstleistungen teilweise kompensiert. Das trifft insbesondere auf Nahrungsmittel und Energie zu.
Debatte über Senkung der EEG-Umlage
Die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) wird seit 2000 erhoben. Sie wurde eingeführt, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu finanzieren. Durch die Einnahmen aus der Umlage, die prinzipiell auf alle Stromverbraucher umgelegt wird, sollen höhere Abnahmepreise für Ökostromanbieter finanziert werden.
Betreibern von Windkrafträdern oder Photovoltaikanlagen wird zur Förderung von Investitionen per Gesetz ein garantierter Abnahmepreis zugesichert, sofern sie Strom ins öffentliche Netz einspeisen. Dieser liegt mehr oder weniger deutlich über dem Preis, zu dem Strom an Großhandelsbörsen gehandelt wird. Das führt dazu, dass Übertragungsnetzbetreiber, die Ökostrom abnehmen, theoretisch ein Verlustgeschäft machen würden. Das verhindert die Umlage: Durch deren Einnahmen bekommen die Netzbetreiber die Differenz erstattet. Die Höhe der Umlage schwankt dabei, weil sich die Börsenpreise für Strom ebenso verändern wie die Menge des eingespeisten Ökostroms. Beides hat Einfluss auf die Höhe der Differenz der Netzbetreiber. Auch der Zubau von Anlagen für erneuerbare Energien spielt hinein. Die Netzbetreiber schätzen jedes Jahr im Voraus unter Aufsicht der Bundesnetzagentur die Höhe neu. Bei ihrer Einführung betrug die Umlage 0,19 Cent pro Kilowattstunde Strom - seitdem stieg sie in den meisten Jahren an. (afp, tb)
Welche Produkte haben sich besonders verteuert?Nahrungsmittel verteuerten sich um sechs Prozent. Detaillierte Zahlen liegen noch nicht vor. Aber die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte sind in den vergangenen Monaten kontinuierlich gestiegen. Diese Tendenz dürfte sich fortgesetzt haben. Gemüse wird teurer, weil es zuletzt hierzulande magere Ernten gab. Das gilt auf internationaler Ebene auch für Getreide, was die Preise für Mehl und damit auch für Brot nach oben treibt. Für Milch, Käse und Butter müssen Verbraucher mehr zahlen, weil viele Bauern wegen steigender Kosten aus der Produktion ausgestiegen sind. Dadurch ist das Angebot geschrumpft.
Wie sieht es bei der Energie aus?Laut Destatis verteuerten sich Kraftstoffe und die Energie für Haushalte (Heizöl und Erdgas) bundesweit um gut 20 Prozent. Deutlich tiefer in die Tasche greifen als ein Jahr zuvor mussten Verbraucher beispielsweise in Hessen beim Erdgas: Es legte um gut 77 Prozent zu. Die Preise für Heizöl (plus 52,6 Prozent) und Kraftstoffe (plus 25,5 Prozent) stiegen ebenfalls kräftig. Hinzu kam auch die Erhöhung der staatlich geregelten CO2-Abgabe von 25 Euro auf 30 Euro je Tonne Kohlendioxid, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. Aber auch Strom kostete deutlich mehr.
Was wurde billiger?Nur wenige Produktgruppen verbilligten sich in der Kostentabelle. So waren Klamotten günstiger zu haben: Für Damenkleidung errechneten die Statistiker ein Preisminus von 4,3 Prozent und für Herrenkleidung von 1,1 Prozent.
Wie kommt die Preisexplosion allgemein zustande?Hier kommt einerseits eine starke Nachfrage zum Tragen, die in vielen Ländern nach wie vor besteht – obwohl die konjunkturelle Dynamik nachgelassen hat. So kostet ein Fass (159 Liter) der Rohöl-Referenzsorte Brent derzeit um die 91 Dollar. Das ist 60 Prozent mehr als vor einem Jahr. Mit dem Rohöl sind auch die Preise für Gas und Kohle zuletzt wieder gestiegen. In den vergangenen Wochen sind als zusätzlicher preistreibender Faktor die geopolitischen Verwerfungen durch die Ukrainekrise hinzu gekommen. Russland hat seine Gaslieferungen gebremst, und Russland ist auch der wichtigste Öllieferant für Deutschland.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Inflation?Destatis teilte am Montag mit, Lieferengpässe und Preiserhöhungen für Rohstoffe und Vorprodukte hätten sich ebenfalls im Verbraucherindex niedergeschlagen. Die große Nachfrage nach allen möglichen Gütern weltweit wird durch Hilfs- und Konjunkturprogramme der Regierungen befeuert. Dies wurde auch durch niedrige Leitzinsen der Notenbanken ermöglicht. Deshalb wird der Vorwurf immer lauter, dass die Europäische Zentralbank die Inflation eher fördert als sie zu bekämpfen, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Die EZB rechnete bislang gleichwohl für dieses Jahr mit einer deutlich sinkenden Teuerung in der Euro-Zone. Dies dürfte sich nun „noch weiter in die Zukunft verschieben“, betonte Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank.
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Wie stark sind die privaten Haushalte konkret von der Inflation betroffen?Das ist höchst unterschiedlich und hängt stark von der individuellen Lage ab. Extrem hohe Erdgastarife muss nur der Haushalt zahlen, der aktuell einen neuen Liefervertrag abschließt. Viele Bestandskunden haben aber Verträge, die fixe Preise für einen längeren Zeitraum garantieren. Besonders übel sind Hausbesitzer dran, die jetzt Heizöl bestellen müssen. Auch Mobilität beeinflusst die persönliche Inflationsrate massiv – für Pendler, die weite Strecken zurücklegen, sind die Kosten deutlich gestiegen. Wer zum Arbeitsplatz radelt, merkt nichts von hohen Spritpreisen. Der persönliche Inflationsrechner von Destatis zeigt, dass je nach Energiebedarf die individuelle Teuerung derzeit deutlich unter drei Prozent sinken, aber auch über sechs Prozent steigen kann.
Was tut die Regierung?Vor allem die hohe Teuerungsrate bei Energie ist wegen der direkten Auswirkung auf private Haushalte und Unternehmen politisch brisant. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich am Montag im Bundestag für eine möglichst schnelle Senkung der EEG-Umlage aus. Der Schritt könne „wenn es nach mir geht, schon in ganz wenigen Wochen“ erfolgen, sagte er. (mit dpa)