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Weg für Thyssenkrupp freiNRW fördert klimaneutrale Stahlproduktion mit 700 Millionen Euro

Lesezeit 4 Minuten
Ein Hochöfner arbeitet am Hochofen 2 im Werk Schwelgern von Thyssenkrupp. Hier wird Roheisen produziert.

Ein Stahlwerker arbeitet am Hochofen 2 im Werk Schwelgern von Thyssenkrupp.

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) spricht von einer „einzigartigen Chance“, bei 26.000Beschäftigten dürfte Erleichterung eintreten.

­­­Aufatmen bei der Landesregierung in Düsseldorf, Aufatmen vor allem bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) in Duisburg, einem der größten der Stahlproduzenten Europas mit 26.000 Beschäftigten. Die Europäische Union hat für eines der wichtigsten Projekte bei der Transformation von Nordrhein-Westfalen zu einem klimaneutralen Industrieland grünes Licht gegeben.

Mit bis zu 700 Millionen Euro kann die Landesregierung jetzt den Bau einer Direktreduktionsanlage unterstützen, einer Technologie, die es dem Stahlriesen im Ruhrgebiet ermöglichen soll, bis spätestens 2045 klimaneutral zu werden, also zu 100 Prozent sogenannten grünen Stahl zu produzieren.

Thyssenkrupp investiert 1,8 Milliarden Euro

Bereits im März war TKS ohne das grüne Licht aus Brüssel ins finanzielle Risiko gegangen und hatte der Düsseldorfer SMS-Group den mit 1,8 Milliarden Euro größten Einzelauftrag ihrer Firmengeschichte erteilt.

Ende 2026, also in weniger als drei Jahren, soll auf einem Areal, auf dem heute noch Stahlteile gelagert werden, die erste mit Wasserstoff betriebene sogenannte Direktreduktionsanlage (DR) zur klimaneutralen Stahlerzeugung in Betrieb gehen und den ersten von vier Hochöfen ersetzen, in denen das Roheisen unter dem Einsatz von Kohle produziert wird.

Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff

Allein mit diesem ersten Schritt werde TKS den CO₂-Ausstoß in der Produktion um knapp 20 Prozent senken, sagte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). „Das entspricht bereits acht Prozent der Treibhausgasemissionen der gesamten NRW-Industrie.“ Zugleich werde der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft forciert. Das Bundeswirtschaftsministerium habe „viele Stunden Arbeit in die Gespräche mit der Kommission investiert. Dafür bin ich Robert Habeck und seinem Team sehr dankbar.“

Als erster Stahlhersteller der Welt will TKS die DR-Anlage, in der festes Vormaterial erzeugt wird, mit innovativen Einschmelzern kombinieren, die es in flüssiges Eisen umwandeln. Dieser Prozess hat einen unschlagbaren Vorteil, weil alle weiteren Produktionsschritte ab dem Stahlwerk unverändert bleiben.

„Wir werden unseren Kunden auch in Zukunft alle hochwertigen Stahlgüten in gewohnter Premiumqualität bieten können“, sagte Vorstandschef Bernhard Osburg im März. Und das klimaneutral. „Um die Dimension zu verdeutlichen: Wir stoßen aktuell jährlich rund 20 Millionen Tonnen CO₂ aus. Das entspricht etwa 2,5 Prozent der gesamten deutschen CO₂-Emissionen.“

Steag-Tochter baut Elektrolyseur direkt neben dem Stahlwerk

Das allein sei schon Grund genug, aber bei TKS sei man auch grundsätzlich davon überzeugt, dass „die kohlebasierte Stahlproduktion in Europa keine Zukunft mehr hat“, ergänzte der Vorstandschef. „Aber der Stahl hat Zukunft, wenn er grün produziert wird.“ Kein Meilenstein in der Geschichte von Thyssenkrupp sei mit dieser technologischen Wende vergleichbar.

„Das ist eine einzigartige Chance auf langfristige Perspektiven für Wertschöpfung, internationale Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt guter Arbeitsplätze in NRW“, sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Donnerstag in einer Stellungnahme. „Eine komplette Wertschöpfungskette, die weit in den metallverarbeitenden Mittelstand überall im Land reicht, wird zukunftsfähig gemacht und bleibt im Land.“ Auch die Anlage werde von einem großen NRW-Unternehmen errichtet. Damit bleibe das Land die „Herzkammer der deutschen Industrie“.

Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie im Ruhrgebiet ist nicht ohne Risiken. Ob in drei Jahren, wenn die erste Anlage den Betrieb aufnimmt, überhaupt grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, kann heute keiner mit Sicherheit sagen. Ob es bis dahin Pipelines gibt, durch die er an Ort und Stelle gelangt, auch nicht.

Immerhin: Iqony, eine Tochter des Essener Energieunternehmens Steag, plant direkt neben Thyssenkrupp im Duisburger Stadtteil Walsum in drei Ausbaustufen einen Elektrolyseur zu errichten, der jährlich bis zu 75.000 Tonnen Wasserstoff liefern könnte. Das könnte für die erste der vier geplanten DR-Anlagen reichen. Das Iqony-Projekt wird vom EU-Innovationsfonds mit rund zehn Prozent gefördert.

Ende 2027 soll die erste Ausbaustufe fertig sein und der erste grüne Wasserstoff zum Einsatz kommen. Bis dahin kann und soll die neue Anlage laut TKS auch mit Erdgas gefahren werden. Danach plane man mit einer Hochlaufkurve, die natürlich von der verfügbaren Menge abhängig sei. Die weiteren Ausbaustufen macht Iqony von der Nachfrage abhängig. Die Maximalleistung der Anlage soll bei 520 MW liegen. Die Wärme, die beim Betrieb einer Elektrolyse neben Wasserstoff und Sauerstoff entsteht, wird als Abwärme in ein Wärmenetz gespeist und soll zukünftig als Fernwärme zur Verfügung stehen.