Weil das Streckennetz noch Jahre saniert werden muss, will die Bahn ihre Flotte schneller modernisieren. 2029 soll es 530 Züge geben.
Besuch im Krefelder Siemens-WerkWenn die Bahn nicht pünktlich kommt, soll es nicht am neuen ICE liegen
Es gibt nicht viele dienstliche Anlässe, die Bahnmanager Michael Peterson im Sommer 2023 Vergnügen bereiten. Die Pünktlichkeit der Fernzüge lag im Juni bei 63,5 Prozent, 70 Prozent aller ICE- und IC-Züge müssen sich im maroden Streckennetz auf jeder Fahrt durch mindestens eine Baustelle quälen. Sollte die Schlichtung im monatelangen Tarifstreit mit der Eisenbahner-Gewerkschaft (EVG) scheitern, drohen ab Ende August unbefristete Streiks, und im Herbst stehen die Tarifverhandlungen mit der Lokführer-Gewerkschaft an.
Da kommt dem Fernverkehrsvorstand des Staatskonzerns, von dem die Bundesregierung erwartet, dass er mit seiner Zugflotte spätestens ab 2030 im Deutschland-Takt das Klima rettet, ein Tagesausflug in die Bahn-Welt der Zukunft fast schon wie Urlaub vor.
Die Zukunft liegt in Krefeld. In der Hightech-Schmiede der Siemens-Bahntochter Mobility mit 3000 Beschäftigten, aus deren Werkstoren alle drei Tage ein neuer Waggon des ICE 3neo rollt.
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90 Züge für rund drei Milliarden Euro
Seit Dezember 2022 fährt der neue Hochgeschwindigkeitszug mit inzwischen zehn Exemplaren und einem Tempo von bis zu 320 Stundenkilometern täglich quer durch Deutschland, zur Zeit vor allem auf der Verbindung zwischen Dortmund, Köln und Frankfurt sowie Stuttgart und München.
„Ohne Kinderkrankheiten und die geringsten Störungen, die wir bei neuen Zügen normalerweise beobachten“, sagt Bahnmanager Peterson. Ab Sommer 2024 sollen die Züge auch zwischen Frankfurt, Köln, Amsterdam und Brüssel pendeln. Pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft. Auch deshalb wird Siemens das Tempo nochmal erhöhen. Ab November werden jeden Monat zwei neue Züge ausgeliefert. Eine zusätzliche Fertigungsstraße macht das möglich.
Damit wird die gesamte Flotte ein Jahr früher fertig als geplant. Der letzte Zug soll schon im August 2028 ausgeliefert werden. Bisher war immer von 2029 die Rede.
90 Exemplare in drei Abrufen hat die Bahn bei Siemens geordert, ein Rekordauftrag von drei Milliarden Euro, der vor zweieinhalb Jahren mitten in der Corona-Pandemie vergeben wurde und allein wegen der gestörten Lieferketten eine extreme Herausforderung war.
Neues Innendesign vorgestellt
Bei dem Bautempo ist jeder Werksbesuch eigentlich eher störend, zumal der Anlass ein eher banaler ist. Bahnmanager Peterson und Siemens-Mobility-Chef Michael Peter nutzen die Tatsache, dass Zug 17 und alle folgenden der neuen Baureihe auch mit einem neuen Innendesign und neuen Sitzen ausgestattet sind, für einen großen Bahnhof in der Produktion.
Während drei Arbeiter mit einem handelsüblichen Hubstapler die 460 Kilogramm schwere Bug-Nase von Zug 17 zentimetergenau einpassen, auf der bei Tempo 320 pro Quadratmeter das Gewicht eines Mittelklassewagens lastet, erläutert Michael Peter den Fertigungsprozess.
Die Züge entstünden in modularer Bauweise. „Um in Deutschland wettbewerbsfähig produzieren zu können, brauchen wir eine gemeinsame Plattform. Unterhalb derer ist der Zug komplett standardisiert und digitalisiert. Für uns ist das ein Computer auf Rädern. Oberhalb dieser Plattform ist der Zug nur eine leere Röhre, bei deren Ausbau man sehr schnell auf Kundenwünsche reagieren kann.“
Bahn rechnet mit 150 Millionen Reisenden in diesem Jahr
Zum Beispiel mit acht Fahrrad-Stellplätzen, die es in Hochgeschwindigkeitszügen der Bahn bisher nicht gab, mit einem Hub-Lift, damit Rollstuhlfahrer besser ein- und aussteigen können, mit Mobilfunk durchlässigen Fensterscheiben und neuen Gepäckregalen gegen das Kofferchaos.
Das alles klingt gut und sieht auch chic aus, doch mehr als 5000 Komponenten von 200 Lieferanten, 40.000 verbaute Einzelteile, 50.000 Stecker und 320 Kilometer Kabel sollen zwar dafür sorgen, dass sich der Werkstatt-Aufenthalt um 25 Prozent verringert, ein Pünktlichkeitschip ist aber immer noch nicht darunter.
„Der ICE 3neo ist einer unserer innovativsten Züge“, sagt Bahnmanager Peterson. „Wenn er in den nächsten Jahren nicht pünktlich kommen sollte, liegt das nicht am Zug. Wir fahren in Deutschland leider auf einer Infrastruktur, die überaltert, zu voll und zu kaputt ist. Deshalb haben wir uns vorgenommen, ganz massiv in den Ausbau, in Innovation und die Reparatur unserer Infrastruktur zu investieren.“
2024 werde man mit der Generalsanierung der wichtigsten Korridore starten, die 2029 abgeschlossen sein soll. Weil sich das Bauen unter rollendem Rad als ineffizient und zu langwierig erwiesen hat, wird jetzt nach der Ende-mit-Schrecken-Methode saniert: Die betroffenen Strecken werden monatelang gesperrt. „Zunächst mit der Strecke Mannheim-Frankfurt, damit es langfristig bei der Infrastruktur besser wird“, sagt Peterson und spendet Trost. „Klar ist: Das Bauen können wir nicht beschleunigen, aber wir kaufen neue Züge, investieren in unsere Flotte. Die ist im Schnitt 18 Jahre alt. Bis 2030 wird sie auf ein Durchschnittsalter von zwölf Jahren runtergehen. So können wir einen zuverlässigeren Fahrgastbetrieb schaffen.“
Wie bitter nötig das sein wird, belegen die Fahrgastzahlen. Trotz der vielen Verspätungen und Zugausfälle ist der Fernverkehr so gefragt wie vor der Corona-Pandemie. Die Bahn rechnet in diesem Jahr mit 150 Millionen Reisenden und will bis 2025 die Verkehrsleistung im Vergleich zu 2015 um 50 Prozent steigern. Das gehe nur mit größeren und modernen Zügen, sagt Peterson. „Wir wollen hin zu großen, einheitlichen Zugflotten.“
878 Sitzplätze in einem Doppelzug
In einem Doppelzug des ICE 3neo finden 878 Menschen einen Sitzplatz. Zusätzlich hat die Bahn beim spanischen Hersteller Talgo noch Dutzende ICE L bestellt, die mit Tempo 230 zunächst ab Oktober 2024 zwischen Berlin und Amsterdam eingesetzt werden sollen. Die Zahl der Züge soll von 406 Ende 2023 auf 530 im Jahr 2030 steigen.
Und weil der Chef des Fernverkehrs schon einmal in der Krefelder Hightech-Schmiede zu Gast ist, wirbt Siemens-Mobility-Chef mit einer sehr speziellen Klimaschutzrechnung um die nächsten Aufträge. Wenn die Bahn jedes Jahr 90 neue Züge bestelle, spare das 95 Millionen Tonnen CO2, das seien 15 Prozent der deutschen Jahresemissionen. „Die Zahlen bestätigen, dass ein nachhaltige Mobilitätswende in Deutschland ohne die Bahn undenkbar ist“, bestätigt der Bahnmanager. „Kein motorisiertes Verkehrsmittel ist so klimafreundlich.“
Da sind sie sich einig, der Michael Peter und der Michael Peterson. Und deshalb ist es auch ein so schöner Tag im Krefelder Stadtteil Uerdingen, wo 1950 in der Uerdinger Waggonfabrik der Schienenbus erfunden wurde.