Seit mehr als 40 Jahren gehören die Ärzte zum deutschen Kulturbetrieb. Im Interview spricht der Sänger und Schlagzeuger der Band unter anderem über die Debatte um den Song „Demokratie“.
„Wir halten uns bewusst fern von Politikern“Ärzte-Sänger Bela B. über Demokratie, Künstliche Intelligenz und nachhaltige Konzerte
Herr Felsenheimer, wenn man mehr als 40 Jahre zum bundesdeutschen Kulturbetrieb gehört wie Sie mit den Ärzten, erzählt sicher jeder Gesprächspartner, dass man dessen Jugend geprägt hat oder welche Songs ihm wichtig sind.
Bela B: Mal mehr, mal weniger. Aber nicht jeder. Und eher Männer als Frauen.
Bei wem hat es Sie überrascht?
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Von Robert Habeck tauchte mal ein Video aus seinen politischen Anfangsjahren auf, in dem er vor einer Toilettenschüssel steht und das Intro unseres Songs „Friedenspanzer“ zitiert: „Ich möchte in einer Welt leben, in der ich aus einer Toilette trinken kann, ohne Ausschlag zu bekommen.“ Das habe ich belustigt zur Kenntnis genommen – zumal ich viel von Habeck halte. Es passiert hin und wieder, dass sich Politiker auf uns berufen.
Fühlen Sie sich dann geschmeichelt?
Nein, wir halten uns bewusst fern von Politikern. Gerade Musiker, die eine gewisse Strahlkraft haben, sollten sich nicht neben Politikern zeigen – das gehört sich den Fans gegenüber nicht. Wir sind keine Politiker. Wir haben die Bonoisierung der Musik immer abgelehnt.
Wurden Sie mal gegen Ihren Willen vereinnahmt – wie Die Toten Hosen, als die CDU-Spitze ihren Wahlsieg zu „Tage wie diese“ gefeiert hat?
So ähnlich: Unser Song „Deine Schuld“ ist ja sehr politisch – aber recht allgemein gehalten: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wär‘ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Das wurde von allen möglichen Leuten benutzt – tragischerweise sogar von strammen NPD-Kadern auf ihren Minidemos. Und die CSU hat den Spruch mal auf Flyer gedruckt – dagegen sind wir jeweils anwaltlich vorgegangen.
Fridays for Future hat den Slogan auch schon genutzt, und beim Brandenburger Abitur soll er mal auf die Zeugnismappe gedruckt worden sein.
Das ist richtig – und beides hat uns gefallen. Auch wenn wir hören, dass Menschen mit unserer Musik Deutsch lernen, macht uns das ein bisschen stolz. Zumal uns in den Achtzigern die Gesellschaft für deutsche Sprache noch gerügt hat, weil einer unserer Songs „Wegen Dir“ hieß und nicht, wie zeitgleich ganz korrekt bei Udo Jürgens: „Deinetwegen“.
Immerhin waren Sie es damals, die belehrt wurden. Heute stehen Ihre Zeilen auf Zeugnissen und Sie belehren Ihre Hörer in Ihrer neuen Single ganz unironisch über die Vorzüge der Demokratie. Dabei wollten Die Ärzte doch nie eine Zeigefingerband sein.
Stimmt, das will nach wie vor keiner von uns. Wir haben uns zwar in den Neunzigern politisiert, weil wir angesichts des Pogroms in Rostock und der Anschläge in Solingen nicht einfach nur eine Gute-Laune-Band sein wollten, zu der jeder kommen kann.
Aber selbst der Song, den Sie damals schrieben, hat ironische Brechungen: die Nazi-Gewalt als „Schrei nach Liebe“, die Kuschelrock-LP im Schrank des Hooligans, die Wortverdrehungen im Refrain, die „Arschloch“-Schreie. In „Demokratie“ fehlt jede Ironie. Der Text klingt eher nach Gemeinschaftskundeaufsatz achte Klasse. Wen wollen Sie damit bekehren? Ihre Hörer sind doch sowieso gegen rechts.
Erstens sind in dem Song durchaus Dinge zu entdecken, die durchaus mit der Ernsthaftigkeit brechen, in den Chören zum Beispiel. Und auch wenn es uns unangenehm war, wir sind über die Jahre zum Teil zumindest zu einer Konsensband geworden: Auf uns konnten sich fast alle einigen. Da wächst die Verantwortung, klare Position zu beziehen. Und wenn uns dann jemand vorwirft, „früher wart ihr krasser“, kann ich nur sagen: Nein, die Zeiten haben sich geändert.
Eine der erfolgreichsten deutschen Bands
Bela B Felsenheimer, 1962 in West-Berlin geboren, gründete dort 1982 mit Farin Urlaub die Funpunk-Band Die Ärzte und ist seitdem ihr Schlagzeuger sowie einer der Songwriter und Sänger. Mit den meisten ihrer inzwischen 15 Studio-, fünf Livealben und mehr als 50 Singles erreichten Die Ärzte die Charts und wurden zu einer der erfolgreichsten deutschen Bands.
Als Solokünstler hat Felsenheimer vier Musikalben sowie 2019 den Roman „Scharnow“ veröffentlicht. Als Schauspieler war er in mehreren deutschen Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen.
Anlässlich der Europawahl am 9. Juni veröffentlichten Die Ärzte auf Bela Bs Betreiben den Song „Demokratie“ vom 2021er Album „Dunkel“ jetzt neu als Single mit Videoclip. Damit wollen sie nach eigener Aussage zur Teilnahme an der Europawahl aufrufen und „ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen“. Felsenheimer beteiligt sich dafür auch an einem zivilgesellschaftlichen Bündnis, das unter anderem von Fridays for Future, Greenpeace, DGB und Pro Asyl getragen wird und das für Juni zu Demonstrationen in vielen deutschen Großstädten aufruft (Informationen unter www.rechtsextremismus-stoppen.de).
Live spielen Die Ärzte in diesem Jahr: am 4. Juni in München, 5. Juni in Stuttgart, 23., 24. und 25. August in Berlin auf dem Tempelhofer Feld.
Und Sie reagieren darauf, indem Sie als Single einen staatstragenden Song rausbringen – ohne jede ironische Brechung?
Das ist ja gerade die ironische Brechung! Farin – unter uns dreien scherzhaft „der Oberlehrer“ genannt – schreibt so einen Text, und während für Rod sofort klar war, dass man das so nicht bringen kann, war ich genau deshalb ein Fan: Das ist ein neues Tabu, das wir brechen können!
Aber sind dann nicht ausnahmsweise Die Toten Hosen mal die Cooleren, die jüngst „Keine Macht für niemand“ von Ton Steine Scherben gecovert haben: „Ich bin nicht frei und ich kann nur wählen, welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen“? Dagegen ist Ihr „Demokratie“ sehr spießig: „Falls du dich jetzt fragst, wie man die Welt verbessern kann: Wie wär’s mit wählen gehen?“
Auch wir verehren das Vermächtnis der Scherben, aber warum die Cover-Version eines Songs aus einer ganz anderen Zeit? Kann man das auf heute beziehen? Passt diese Punkpose, aufs Scheißsystem zu meckern, noch, wenn die Demokratie von rechts außen angegriffen wird? Wenn ich heutzutage das Zitat höre, „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten“, kann ich nur sagen: Sind sie ja in vielen Ländern. Wollen wir deshalb auf dieses Privileg der Demokratie verzichten?
Also hat Harald Schmidt – wie Die Ärzte ein Altmeister der Ironie – recht: Nach der Ironie kommt das Pathos?
Ein kluger Satz. Wobei wir hinter der Ironie schon öfter Pathos versteckt haben. Aber eins ist doch klar: Die größte Wählergruppe in Deutschland sind die Nichtwähler, und die helfen im Zweifel den Falschen. Deshalb rufen wir schon seit Jahren dazu auf, wählen zu gehen. Es geht uns hier gut, und Unzufriedenheit wird oft gezielt geschürt, um andere Machtverhältnisse zu schaffen. Wohin das führt, sehen wir gerade: Leute, die sich engagieren, werden bedroht oder krankenhausreif geschlagen.
Und Sie haben jetzt „Demokratie“ gezielt vor der Europawahl noch einmal als Single und Videoclip veröffentlicht, um sich auf die richtige Seite zu stellen?
Nein, die Leute wissen ja, wo wir stehen. Aber es ist der richtige Song in dieser Zeit! Lieder ändern keine Meinungen – aber sie können dich bestärken. „Schrei nach Liebe“ wurde auf Demos gespielt, von Flashmobs gesungen. Das hat nicht unbedingt etwas Aufklärerisches, aber etwas Verbindendes.
Das Video zu „Demokratie“ haben Sie bewusst von einer Künstlichen Intelligenz erstellen lassen. Was soll das verdeutlichen?
Ich habe mich wegen der anstehenden Europawahl mit den Gefahren der KI beschäftigt. Dass sie zur Bedrohung für Kreative und zur Fakenews-Schleuder werden kann, ist klar. Aber viele wissen nicht, dass es in der EU Bemühungen und Regulierungen gibt, um sie zu kontrollieren. Darum beneiden uns Amerikaner und Engländer. Auch das ist ein Grund, die Europawahl ernst zu nehmen – zumal man daran ab 16 Jahren teilnehmen darf.
Schon vor KI haben die Streamingdienste dafür gesorgt, dass die CD-Verkäufe einbrechen. In der Folge müssen Bands heute vor allem von ihren Konzerten leben. Zugleich werden diese Konzerte immer aufwendigere Events – und die Tickets deshalb immer teurer.
Wir haben immer aufgepasst, dass wir nicht überbordend teuer werden. Wir orientieren uns an normalen Preisen für ein Hallenkonzert. Zugleich sind da die Kosten für Hallenmiete, Bühne, Lichtshow, faire Löhne für die Angestellten?... Das muss alles abgewogen werden. Mancher Effekt fällt allerdings auch weg, weil die Show sonst zu teuer würde.
Ihre regulären Tickets kosten nun 82 Euro. Aber es gibt auch ein paar Tausend Sozialtickets – wie funktioniert das?
Die Idee kam von unserer Booking-Firma – weil ihr Chef so sauer war, dass es in der Branche nur noch darum geht, wo man welches Konzert noch teurer machen kann. Dem setzen wir etwas entgegen, indem Leute, die anhand ihrer sozialen ÖPNV-Tickets belegen können, dass sie sich das Konzert sonst nicht leisten könnten, bei uns Karten für 20 Euro kriegen. Das klappt durch die Mischkalkulation.
Und jede große Band könnte das so machen?
Natürlich! Ich kann euch versichern, wir verdienen alle noch Geld. Die Roadies sind gut bezahlt, das Catering ist gut, wir dumpen niemanden. Zugegeben: Keiner von uns hat eine Sammlung seltener italienischer Sportwagen.
Zugleich haben Sie ein Modell entwickelt, um Ihre Open-Air-Konzerte nachhaltig zu machen. Wie geht das?
Wir hatten die Idee, bei einem Livefestival möglichst viele konventionelle Prozesse und Produkte durch klima- und ressourcenschonende zu ersetzen, und haben uns dafür vor zwei Jahren mit der NGO „Cradle to Cradle“ und mit Loft Concerts, KKT und SBS Eventsupport als Mitinitiatoren zusammengetan. Bei drei Konzerten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin gab es Komposttoiletten, vegetarisches Essen, wiederaufbereitetes Wasser in den Klos, biologisch abbaubares Einweggeschirr, nachhaltig produziertes Merchandise und 100 Prozent Ökostrom bei der Energieversorgung der gesamten Produktion und noch vieles mehr.
Lässt sich das skalieren? Könnte auch Rock am Ring so laufen?
Absolut! Andere Festivals machen es schon ähnlich. Seit unserem Testlauf fanden weitere solcher – wenn auch kleinere – Open Airs statt, und im August bauen wir die Idee bei unseren Berlin-Konzerten aus. Alle Erkenntnisse des „Labor Tempelhof“ stehen im Netz, zur Nachahmung und zum Netzwerken!
Da sind Die Ärzte seit den Achtzigerjahren aber einen weiten Weg gegangen: Von Albumtiteln wie „Nach uns die Sintflut“ und dem Abkulten von Motorrädern – hin zu den Ökokonzerten und einem unironischen Demokratiesong von heute. Vom Tabubruch mit provokativen Texten über Inzest und Sodomie – hin zu einer Band, die manche alte Hits nicht mehr spielt, weil sie sie heute für frauenfeindlich hält.
Was ist die Frage?
Wie erklären Sie sich selbst diese Entwicklung? Sind Sie ganz einfach älter und vernünftiger geworden? Oder ist es eher so, dass Sie über die Jahre auch immer auf Höhe des Zeitgeists – und deshalb auch 40 Jahre lang relevant geblieben sind? Während der Neuen Deutschen Welle waren Sie lustig, danach gab es feministische Demos gegen Die Ärzte, und heute ...
... sind WIR die Feministen! Aber: Alles andere wäre doch doof von uns. Klar, mit 19 gab es für mich das Ideal, Jack-Daniels-saufend und drogenpositiv durch die Welt zu laufen und möglichst viele Mädchen kennenzulernen. Aber wenn du dich nicht wandelst, endest du als Dinosaurier, der das Aussterben verpasst hat. Ich mag schon noch die klassischen Rockklischees. Aber Texte wie „Hey du kleine Tittenmaus“ waren ja schon damals nicht ernst gemeint. Das verstehen heute viele nicht mehr.
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