Frank Schätzing spricht im Interview über die gigantische Herausforderung der ökologischen Transformation und kryptisch eingerichtete Tempozonen in Köln.
Kölner Bestseller-Autor Frank Schätzing„Wenn ich auf den Kölner Dom steige, sehe ich eine graue Dächerwüste“
Herr Schätzing, vor zwei Jahren haben Sie in Ihrem Bestseller das Projekt „Weltrettung“ ausgerufen. Ist es jetzt Zeit für den Nachruf?
Da sind wir zum Glück noch nicht angekommen. So schnell ist die Menschheit dann doch nicht kaputtzukriegen. Aber wenn ich es mit einer Fußballmetapher sagen soll: Wir sind in der Nachspielzeit und müssen schleunigst den Siegtreffer für den Klimaschutz erzielen.
Was lässt Sie an solch ein Golden Goal glauben?
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Historisch gesehen, hat der Mensch in Krisenzeiten in letzter Minute noch immer die Kurve gekriegt. Und für die ökologische Wende müssen wir nichts neu erfinden. Wir haben einen Umsetzungsstau, keinen Ideenstau. Das A und O ist: Strom. Die Transformation kann nur gelingen, wenn wir den rasant steigenden Energiebedarf der Menschheit mit grünem Strom decken. Anfang der Dreißiger werden unsere Emissionsbudgets aufgezehrt sein, dann brauchen wir die Vollversorgung durch Erneuerbare. Die auszubauen hat oberste Priorität. Andernfalls emittieren wir weiter Treibhausgase und überschreiten zwei Grad oder wir riskieren Versorgungslücken.
Da kommt der Pessimismus ins Spiel, was das Projekt Klimarettung angeht?
Nein, Realismus. Die Politik begeht den Fehler, die Prognosen des Weltklimarats wie fixe Daten zu behandeln. Daraus entwickelt sie falsche Zielvorgaben. Dabei warnt der IPCC unablässig, dass sich die Klimadynamik exponentiell beschleunigt. Alles, was wir heute nicht tun, führt morgen zu noch schlechteren Rahmendaten. Im Ergebnis wird das Zeitfenster immer kleiner, in dem wir die Erderwärmung bei maximal zwei Grad begrenzen können. Das 1,5-Grad-Ziel ist nur noch theoretisch erreichbar. Aber genau darum ist Pessimismus keine Lösung! Was wir brauchen, sind Zuversicht und Teamgeist. Spaltung bedeutet Scheitern. Unweigerlich.
Reden wir mal nicht von der Politik, sondern vom eigenen Verhalten. Der Individualverkehr – insbesondere die Flugreisen – liegen wieder auf Vor-Corona-Niveau. „Wir lassen uns unseren Urlaub nicht vermiesen“, sagen die Leute und fliegen… nach Rhodos. Wie erklären Sie sich das?
Verdrängung und Kompensation. Ich verstehe sehr gut, wenn Menschen angesichts einer beispiellosen Krisenüberladung und multipler Bedrohungsszenarien dichtmachen. Die Evolution hat uns nicht darauf vorbereitet, einer Vielzahl von Gefahren Gleichrangigkeit einzuräumen.
Das bedeutet?
Wir widmen uns der konkreten Bedrohung und schieben die abstrakte nach hinten. Gerade beschäftigen uns der Krieg und seine Folgen, Rezession, Verlustängste, Nachwirkungen der Pandemie. Viele sind am Limit, brauchen Wellness für die Psyche, wollen sich was Gutes tun. Dahinter steckt weniger Gedankenlosigkeit als Überforderung. Der alte Affe Mensch, der 300.000 Jahre fast nur mit den Befindlichkeiten seiner Sippe zu tun hatte, war nie darauf vorbereitet, die Nöte eines ganzen Planeten zu ertragen. Wir sollten uns darum weniger empören und mehr Überzeugungsarbeit für die Nachhaltigkeitswende leisten. Einander mehr zutrauen! Jeder und jede von uns hat einen Gestaltungsspielraum, sei er noch so klein. Die Welt ist voller Lösungen. Wenn wir unsere Spielräume zusammenlegen, können wir machtvolle Allianzen bilden, Politik und Wirtschaft zwingen, nachhaltig zu werden.
Hat die Ampel durch ihre Politik – Stichwort Heizungsgesetz – das Momentum pro Klimaschutz verspielt?
Nein, aber das nächste große Ding muss sitzen. Das Problem dieser Regierung ist ihre Zerstrittenheit. Mit einem Koalitionär wie der FDP brauchst du keine Opposition. Dem Kanzler kann man zumindest keine schlechte Kommunikation vorwerfen, er kommuniziert gar nicht.
Und die Grünen?
Haben Recht, wenn sie beschleunigt auf den Weg bringen wollen, was Vorgängerregierungen jahrzehntelang verschleppt haben. Das Schiff sinkt, also muss man das Leck flicken. Aber sie sind es falsch angegangen. Die Gesetzesentwürfe wirkten zusammengeschustert und wurden schlecht kommuniziert. Dringend notwendige ökologische Maßnahmen rauszuhauen, ohne beizeiten zu sagen, wie die finanziert werden sollen, ist politisch tödlich. Wenn eine Regierung dann noch ständig erklärt, wofür kein Geld da ist, schlussfolgern Bürgerinnen und Bürger, dass sie die Zeche allein zahlen müssen. Damit killt man die Bereitschaft zur Transformation.
Würde die Opposition es besser machen?
Ich sehe da keine überzeugenden Ideen. Nur hilflose Abgrenzungsversuche. Fakt ist, die schmelzenden Umfragewerte der Ampel kommen den Schwarzen nicht zugute. Das sollte Regierung wie Opposition beunruhigen. Es wäre geboten, mehr an einem Strang zu ziehen, stattdessen erleben wir Ego-Spielchen und populistische Parolen. Wenn Merz die Grünen als Feind bezeichnet, vertieft er Gräben. Der Feind heißt AfD. Den haben alle über Jahre zusammen hochgepäppelt, und den wird man nur los mit Einigkeit und einem grünen Wirtschaftswunder, von dem alle profitieren.
Was ist denn Ihr Finanzierungsvorschlag?
Die ökologische Transformation ist die größte Aufgabe, die die Menschheit je zu stemmen hatte. Ein solches Projekt muss auf zehn, zwanzig Jahre vorgedacht und vorfinanziert werden. Was wir brauchen, ist ein Transformationsfonds von einigen hundert Milliarden Euro.
Also ein gigantisches Neuverschuldungsprogramm.
Nein. Ein gigantisches Investment in ein renditestarkes Wachstumsmodell. Politik und Wirtschaft müssen verstehen, dass Klimaschutz kein Loch ohne Boden ist, sondern eine Wertanlage, aus der sich Schulden tilgen und langfristig Gewinne generieren lassen. Heißt, der Staat nimmt zinslos zwei-, dreihundert Milliarden auf. Eine ähnliche Summe kommt von der Industrie und großen Privatvermögenden, die nach der Transformation nicht als Verlierer dastehen wollen. Weitere hundert Milliarden gibt‘s, wenn wir die klimaschädlichen Subventionen streichen. Auch Bürger können einzahlen. Aus diesem Topf kann man künftige Transformationsvorhaben bezahlen, ohne dass die Menschen jedes Mal um ihre Existenzgrundlagen bangen müssen, hinzu käme ein florierender Emissionshandel. Dann wird die Bereitschaft zum Mitziehen steigen, und wir werden Ökonomie und Ökologie in einer Erfolgsgeschichte vereinen. Das schlimmste Szenario wäre, wenn die Transformation wegen Unterfinanzierung scheitert. Jetzt kostet es Geld. Dann kostet es die Zukunft. Immerhin gibt es mit dem Klimafond KTF ein Schrittchen in die richtige Richtung.
In unserem letzten großen Interview haben Sie die Stadt Köln kritisiert, ihr mehr Vision gewünscht und einen Masterplan 2030 angedacht. Bleiben noch sieben Jahre. Wo steht die Stadt?
Sie tritt auf der Stelle. Wenn ich heute auf den Kölner Dom steige, sehe ich eine graue Dächerwüste. Weder Begrünung noch Solarzellen. Bin ich wieder unten, stoße ich auf kryptisch eingerichtete Tempozonen und verbreiterte Radwege in engen Straßen.
Was haben Sie gegen mehr Radwege?
Nichts, ich bin sehr dafür. Aber sie bemänteln, was nicht passiert. Einen Plan, die Stadt so klimafit zu machen, dass sie in zehn Jahren mehr Energie erzeugt als verbraucht, sehe ich nicht. Und ehrlich gesagt habe keine Lust mehr zu hören, was alles Tolles geplant ist. Ich will es sehen. Im jetzigen Tempo wird Köln die Nachhaltigkeitswende nicht schaffen. Sollte es Visionen geben, fehlt es am Willen, sie umzusetzen.
Steuern Sie mal Ihre Visionen bei!
Begrünte Dächer und Fassaden speichern CO2, kühlen die Stadt runter und verwandeln sie in eine atmende Lunge. Flächendeckende Solarbebauung verbucht hohe, ökologisch einwandfreie Energie-Einträge. KI sorgt mit intelligenten Verteilernetzen dafür, dass Energiemangel und -überschuss ausgeglichen werden und kein Quantum Energie verlorengeht. Konsequente Gebäudedämmung spart weitere Energie. Klimaneutrale Kleinbusse und selbstfahrende Cabs für den Individualverkehr entlasten die Innenstadt. Das ist keine Science-Fiction. Oslo und Stockholm machen es vor.
Sie diskutieren mit Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin und KStA-Vize-Chefredakteurin Sarah Brasack beim KStA Green-Filmabend im Rheinauhafen (hier gibt es noch Tickets). Gezeigt wird die französische Doku „Tomorrow“. Da geht es auch um konkrete Schritte zum Klimaschutz. Kennen Sie den Film?
Ja, da kann man sich einiges abgucken. Also packen wir’s an. Eine schier unerschöpfliche, saubere Energie hat Köln den meisten Städten ja schon voraus: jede Menge gute Laune.
KStA-Green-Filmabend im Rheinauhafen
Beim „KStA Green-Filmabend“ am 22. August 2023 sprechen Frank Schätzing, Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen im Rat der Stadt Köln und Karsten Hirsch, CEO des Kölner Unternehmens „Plastic Fischer“, über Klimaschutz in Köln und der Welt. Moderatorin der Gesprächsrunde ist Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Anschließend wird der Film „Tomorrow: Die Welt ist voller Lösungen“ gezeigt.
KStA Green-Filmabend am Dienstag, 22. August, im Sion-Sommerkino Rheinauhafen, Harry-Blum-Platz 1, 50676 Köln. Einlass: 18.30 Uhr. Beginn der Talkrunde: 19.30 Uhr. Filmbeginn: gegen 20.30 Uhr. Tickets gibt es hier.