Der ukrainische Staatschef gibt sich bei Caren Miosga verletzlich, bleibt aber in seinen Bitten und Hoffnungen an Deutschland hart.
Talk bei Caren Miosga„Scholz begreift dieses Risiko, und das ist definitiv der Dritte Weltkrieg“
„Kann die Ukraine diesen Krieg tatsächlich noch gewinnen und welche Rolle spielen Deutschland und die Bundesregierung dabei?“ Diese Fragen standen im Zentrum des Gesprächs zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und der ARD-Talkmasterin Caren Miosga.
„Herr Präsident“, begann Miosga das Gespräch, das bereits am Mittwoch aufgezeichnet worden war, und wählte dann eine persönliche Frage zum Einstieg in das Interview: „Morgen ist ihr 46. Geburtstag [...], feiern sie den?“ Die Antwort fiel kurz und eindeutig aus, er könne sich das nicht erlauben und sei auch nicht in der Stimmung, so Selenskyj. Es sei auch für ihn eine schwere Zeit, das sei normal.
Die Menschen in der Ukraine seien körperlich erschöpft, das gelte auch für ihn. Doch Schwäche könne er sich nicht erlauben, so Selenskyj. „Ich bin ein Präsident, der ein Mensch ist. Ich kann mir nur, nicht viele solcher Momente erlauben“, so Selensky.
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Wolodymyr Selenskyj spricht bei Caren Miosga über von Wladimir Putin ausgehende Gefahr für Deutschland
In dem gut 45-minütigen Gespräch geht es in der Folge dann wie zu erwarten weniger um persönliches Befinden, sondern vielmehr um die dramatische Lage in der Ukraine, die Gefahren im Falle eines russischen Sieges und die Rolle Deutschlands im russisch-ukrainischen Konflikt – in der Vergangenheit sowie der Gegenwart.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte im Talk mit Miosga eindringlich davor, dass bei einem Sieg Russlands über sein Land auch andere europäische Länder wie Deutschland in Gefahr seien. In der Bundesregierung habe sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, „dass Russland näher an Deutschland heranrückt, wenn wir nicht durchhalten“, sagte Selenskyj in dem am Sonntagabend ausgestrahlten Interview.
Selenskyj über Olaf Scholz: Hat Wladimir Putins Absichten begriffen
Scholz hat nach Meinung Selenskyjs die Absichten und Ziele von Kremlchef Wladimir Putin inzwischen klar erkannt. „Er hat verstanden, dass Putin nicht nur ein Name ist, sondern eine Bedrohung, und nicht nur eine Bedrohung für die Ukraine“, sagte Selenskyj in der ARD-Talkshow mit einem Blick zurück auf seinen Berlin-Besuch im Mai des Vorjahres.
Ob und wann dies geschehe, welchen Nato-Staat es als ersten treffen werde, könne er nicht sagen, meinte Selenskyj weiter. „Aber mir scheint, dass der Bundeskanzler dieses Risiko begreift, und das ist definitiv der Dritte Weltkrieg.“ Somit habe Scholz die Risiken verstanden. „Olaf hat gespürt, dass er nicht nur Bundeskanzler ist, sondern einer der Leader im heutigen Europa“, wies er dem Kanzler größere Bedeutung zu. Er würde Scholz gerne zum Freund haben.
Wolodymyr Selenskyj äußert sich zu ukrainischen Geflüchteten in Deutschland
Auch wenn er sie gerne zu Hause sehen würde, will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die ins Ausland geflüchteten Wehrdienstverweigerer nicht mit Druck zurückholen. Er fordere daher auch Bundeskanzler Olaf Scholz nicht dazu auf, diese Menschen in die Ukraine zurückzuschicken, sagte er am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Caren Miosga“. „Ich rufe definitiv nicht Olaf Scholz zu: Bringe sie schnell zurück“, sagte er. „Wir leben in einer demokratischen Welt.“
Was die Ukraine mit Blick auf Wehrdienstverweigerer brauche, sei ein „funktionierendes Gesetz“. Dies sei gegenwärtig in Vorbereitung. Er persönlich wünsche sich, dass diese Menschen zurückkehrten, schon aus Gründen der Gerechtigkeit. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor knapp zwei Jahren waren Hunderttausende Ukrainer ins Ausland geflohen, viele von ihnen nach Deutschland. Unter ihnen befinden sich auch Männer im wehrfähigen Alter.
Selenskyj über Taurus-Marschflugkörper und Rolle Deutschlands bei Krim-Besetzung
Selenskyj bedauerte einmal mehr, dass Deutschland nicht bereit ist, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Allerdings nahm er dafür nicht Scholz in die Verantwortung, wollte aber weder Details noch Hintergründe nennen. Die Entscheidung des Bundestags, der die Lieferung mehrheitlich abgelehnt hatte, sei ein klares Signal gewesen. Doch er hoffe auf eine neue Entscheidung.
Enttäuscht sei er allerdings, sagte Selenskyj, dass Deutschland bei der Besetzung der Krim 2014 „nicht die Rolle gespielt hat, die es hätte spielen sollen“. „Wir haben uns alle ein Deutschland verdient, das Russland an den Verhandlungstisch zwingt, um ihm klar zu machen, dass man das Völkerrecht nicht verletzen darf, dass man die Werte nicht verletzen darf.“ (mit dpa)