Die Bundesregierung hat das Tempo angezogen beim Klimaschutz. Dennoch ist sie nicht auf Kurs für ihr Ziel für das Jahr 2030.
Überblick der ProblemfelderExpertenrat: Ampel verfehlt Klimaziele – erhöht Druck auf Regierung
Die Bundesregierung droht ihr Klimaziel für das Jahr 2030 zu verfehlen – und zwar wahrscheinlich deutlicher als die Bundesregierung selbst erwartet. Zu diesem Ergebnis kommt der Expertenrat für Klimafragen in einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Stellungnahme. Selbst wenn das Klimaschutzprogramm der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP komplett umgesetzt würde, würden Treibhausgase wohl weniger stark reduziert als vorausgesagt, erklärte der Vorsitzende des unabhängigen fünfköpfigen Gremiums, Hans-Martin Henning, am Dienstag in Berlin.
Expertenrat: Ampel-Regierung verfehlt Klimaziele
Laut Klimaschutzgesetz müsste der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. Die Bundesregierung geht von einer verbleibenden Lücke zwischen 2021 und 2030 von rund 200 Megatonnen CO2-Äquivalenten aus. Diese Prognose zweifelt der Expertenrat an. Zudem bleibe unklar, wie die Regierung die Lücke schließen wolle. Dennoch sei insgesamt ein „nennenswerter Beitrag“ für den Klimaschutz zu erwarten, erkannte Henning an.
Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet, Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid.
Alles zum Thema Christian Lindner
- Umweltbundesamt Neue Studie – Tempolimit ist wichtig für Klimaschutz
- Kölner Karneval FDP, Diktatoren und Monty-Python-Abklatsch – So war die Stunker-Premiere
- Abrechnung im Bundestag Wie Scholz das Vertrauen verliert und sich als Sieger erklärt
- Neuwahl 2025 Köpfe werden die Wahl entscheiden – aber längst nicht nur die von Scholz und Merz
- Keine Elternzeit Christian Lindner sendet ein völlig falsches Signal aus
- Geiz bei Spendengala Zuschauer fassungslos über Lindner, Merz und Söder
- FDP-Papier zum Ampel-Aus Buschmann legt „D-Day“-Geständnis ab: „Kann meine Hand nicht ins Feuer legen“
Ein Puzzle, das nicht zusammenpasst
Henning bemängelte auch eine „inkonsistente Datenlage“. Damit lasse sich keine zuverlässige Vorhersage zur Gesamtwirkung des Klimaschutzprogramms machen. Das entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf verglich das mit einem 1000-Teile-Puzzle, das aus drei einzelnen Puzzles bestehe. Es sei schwierig, da ein Gesamtbild zu sehen. So beziffere das Verkehrsministerium die CO2-Einsparungen durch das Deutschlandticket auf etwa 22 Megatonnen, das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium gehe aber nur von etwa 4 Megatonnen aus. Grund seien unterschiedliche Grundannahmen.
Blinde Flecken
Deutschland hat nicht nur eigene Klimaschutzziele, sondern auch entsprechende Verpflichtungen nach EU-Recht. So soll der Ausstoß deutscher Treibhausgase bis 2030 um die Hälfte sinken im Vergleich zu 2005. Hier gehe es um jährliche Ziele für bestimmte Bereiche und die Bundesregierung müsse erklären, wie sie diese einhalten wolle, so Knopf. Bei Verfehlung drohten hier Strafzahlungen, warnten die Experten. Und am Ende könnte auch der Klimaschutz in ganz Europa leiden.
Klimaschädliche Subventionen abzubauen hat sich die Bundesregierung in ihrem Klimaschutzprogramm zwar vorgenommen. „Aber es wird nicht gesagt, wie das jetzt genau umgesetzt werden soll und wie das im Prozess aussehen soll“, kritisierte Knopf. Da müssten schnellstmöglich Vorschläge kommen. Außerdem müsse die Regierung erklären, wie sie die verbleibende Lücke zu den eigenen Klimazielen schließen wolle.
Sorgenkind Gebäude
Insbesondere die Bereiche Gebäude und Verkehr stehen schlecht da. Die Experten bescheinigen der Bundesregierung hier zu wenig Ehrgeiz. Für den Gebäudesektor bleibt demnach eine Lücke bis 2030 von 35 Megatonnen CO2-Äquivalenten. Auch hier kritisiert der Rat die Datengrundlage. „Wir vermuten, dass die angenommene Treibhausgasminderung im Gebäudesektor geringer ausfallen dürfte als im Gutachten errechnet“, erklärte Henning. Dafür verantwortlich seien vor allem die Änderungen am Heizungsgesetz, das nun längere Fristen für den Umstieg auf klimafreundlichere Heizungen vorsieht.
Sorgenkind Verkehr
Im Verkehrssektor bleibt bis 2030 eine Lücke von 117 bis 191 Megatonnen CO2-Äquivalenten. Die Unsicherheit ergibt sich laut Expertenrat aus unterschiedlichen Angaben der Ministerien für Wirtschaft und Verkehr. Henning merkte an: „Im Verkehrssektor sehen wir optimistische Annahmen beispielsweise bezüglich der Umsetzungsgeschwindigkeit und Finanzierung der Maßnahmen sowie bei der Bewältigung von Umsetzungshemmnissen.“
Die Nutzung des eigenen Autos hingegen werde nicht adressiert, sagte Knopf. Dieser Bereich sei „unterbelichtet“ im Vergleich zum Schienen- und Güterverkehr. Bei Programmen für Radwegen etwa bleibe unklar, ob es auch das nötige Geld dafür gebe.
Der Energiesektor hingegen trage überdurchschnittlich viel an den Gesamteinsparungen an Treibhausgasen bei.
Eine Reform und ihre Probleme
Ein von Umweltverbänden heftig kritisiertes Vorhaben der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist die Reform des Klimaschutzgesetzes. Die Einhaltung der Klimaziele soll künftig nicht mehr rückwirkend nach verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.
Dann müsse aber auch ein gemeinsamer Kurs sichergestellt werden, so der Expertenrat. Eine Möglichkeit böte der deutsche Emissionshandel. Dabei müssen teilnehmende Unternehmen Rechte zum CO2-Ausstoß vorweisen, sogenannte Zertifikate. Deren Preise sind festgelegt und steigen derzeit jedes Jahr, für 2026 gibt es einen Korridor. Diese Entwicklung macht die Nutzung fossiler Brennstoffe zum Heizen oder Autofahren auch für Privatleute teurer und soll den Umstieg auf klimafreundlichere Alternativen befördern.
Ab 2027 ist eine Obergrenze an CO2-Zertifikaten vorgesehen, der Preis soll sich frei bilden. Dieses Datum könnte man vorziehen, meinen die Fachleute. Das sollte aber sozial abgefedert werden. Eine Möglichkeit wäre das von der Ampel-Koalition geplante Klimageld, mit dem staatliche Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Bürger zurückfließen sollen. Ein System dafür soll es aber erst ab 2025 geben. (dpa)