Wo früher Kölsch-Kneipen und Wurstbuden standen, eröffnen neuerdings trendige Weinbars. Es geht um mehr, als Genuss, sagen die Betreiber und Experten.
Aperitivo statt KölschWarum eröffnen in Köln plötzlich so viele Weinbars?
Früher stand hier die „Wurstbraterei“, der legendäre Imbisswagen aus dem Kölner Tatort. Heute finden Flaneure zwischen dem „Kap am Südkai“ und der Südbrücke einen alten Mercedes-Bus, umgebaut zu einer mobilen Weinbar. „Wein im Veedel“ heißt das Start-up dahinter. Das Prinzip Bude ist also geblieben. Aber es gibt nichts Fettiges vom Grill, sondern handverlesene Weine aus der Pfalz und von der Mosel.
Nur wenige Minuten mit der KVB Richtung Friesenplatz stand früher noch der etwas düster wirkenden Irish Pub „The Harp“. Heute strahlt die Fassade leuchtend rot, auch dort seit diesem Frühjahr: eine Weinbar, die „Bredouille“. Ein einladendes Lokal mit selbst gegossenen Terrazzo-Tischen und einer langen Theke. Nicht weit entfernt, in der Ehrenfelder Hansemannstraße, haben vier Freunde kürzlich eine weitere Weinstube eröffnet, „Frohnatur“. An die alteingesessene Kölsch-Kneipe, die hier einmal war, erinnert nur noch die Fassade.
Wer diesen Sommer durch die Veedel schlendert, der kann es nicht leugnen: Wein ist nach wie vor schick, aber zusätzlich schwer hip geworden, und so ist auch die zugehörige Gastronomie. Menschen, die zuvor mit Fine Dining und Weinverkostung eher privat zu tun hatten, besuchen nun nicht nur, sie eröffnen Läden, die mit dem elitären wie verstaubten Image der Wein-Szene brechen wollen. In ironischer Distanz zum weißem Tischtuch und komplizierten Vorträgen über Jahrgänge und Geschmacksnoten.
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Und damit ist ein weltweiter Trend auch in der Domstadt angekommen. „Dass sich junge, hippe Leute plötzlich so stark für Wein interessieren, das gibt es schon seit Jahren“, sagt Peter Schrettl, der zusammen mit seiner Freundin Julia „Wein im Veedel“ gegründet hat. Ihr Wissen über Wein haben sie sich in Gesprächen mit Winzern und Sommeliers selbst angeeignet, zu ihrem Kerngeschäft gehören Weine aus biodynamischem Anbau, die ohne Chemikalien oder Reinzuchthefen auskommen. „Angefangen hat das vor allem in Paris, dann ist das ganze nach Skandinavien herübergeschwappt, und inzwischen gibt es unkonventionelle Weinbars von New York bis Tokio.“
Und nicht nur das: Es gibt Wein-Podcasts wie „Terroir & Adiletten“, mit Schlappen in die Weinwelt quasi. Moderiert von dem Rapper „Curly“ und Willi Schlögl, ein vielfach ausgezeichneter Sommelier. Der eine hat kaum, der andere sehr viel Ahnung von Wein. Zusammen haben sie ein Buch veröffentlicht, es heißt „Anleitung zum Weinsaufen“. Im Zentrum der Thriller-Serie „Drops of God“ auf Apple TV steht die junge Erbin der größten Weinsammlung der Welt. Und der ebenso mit vielen Preisen bedachte Düsseldorfer Sommelier und Wein-Influencer Antonios Askitis, alias „AskTonie“, hat nicht nur über 30.000 Follower auf Instagram, sondern ist auch Skater und Hip-Hopper. Wein sollte „Bock machen“, findet er. Sein neuestes Projekt: Pommes und Wein in einer alten Düsseldorfer Imbissbude.
„Rausch mit gutem Gewissen“, so nennt die Sommelière und Master of Wine Romana Echensperger diesen Trend zum Laissez-faire im Weingeschäft. „Weinkonsum wird heute mit einer neuen Sinnebene verbunden, nachhaltige Produktion, gute Arbeitsbedingungen, echtes Handwerk. Und damit passen die Weinbars sehr gut zum Zeitgeist.“ Zudem hätten viele keine Lust mehr auf den pseudo-luxuriösen Touch, der hochpreisigen Weinen anhafte. Preise, die über die Jahre durch medial erzeugte Hypes künstlich in die Höhe getrieben wurden.
„Es gibt Champagner-Sorten, die wir früher in den Restaurants noch offen ausgeschenkt haben – die liegen inzwischen bei einem Flaschenpreis von mindestens 1500 Euro“, sagt Echensperger. Bestimmte Weine erzielen auf Auktionen Verkaufspreise bis 35.000 Dollar pro Flasche – der Wein als Sammlerstück und Anlageobjekt. Echensperger wundert es nicht, dass sich der Wein-Nachwuchs gegen diese elitären Strukturen auflehnt und alternative Räume schafft, in denen Menschen Weine ungezwungen kennenlernen können.
„Auch für uns als Sommeliers und Sommelièren war diese Entwicklung ja nicht wirklich schön.“ Heute sei ihr Beruf zwar nach wie vor beliebt – aber viele sehnten sich nach Alternativen zu einer Tätigkeit in Fine Dining und Sterneküche. „Da dreht sich oft alles nur um den Küchenchef, der vergöttert werden will. Die Skandale, die die Branche erschüttern, sprechen da für sich. Und irgendwie scheint diese überdrehte Gastronomie auch bei den Gästen nicht mehr so angesagt zu sein.“
Anders die Weinbar, in der simple leckere Kleinigkeiten wie Käse oder Schinken mit der Eleganz eines Weines kombiniert werden. „Eine ehrliche Form der Gastronomie, ein Treffpunkt der Gesellschaft“, findet Echensperger. Vielleicht, fügt sie hinzu, sei das auch der Grund für die Beliebtheit solcher Bars – gerade bei Menschen, die man früher in Köln eher nachts auf einer Party im Odonien getroffen hätte. „Die Welt ist so aufgewühlt, möglicherweise brauchen viele diesen Nervenkitzel einer wilden Partynacht gar nicht mehr.“ Sondern eher eine überschaubare Bar mit netten Menschen von nebenan.
Genau eine solche Bar möchte die „Bredouille Weinbar“, sein, erklärt Adrian Röpe. Zusammen mit seinem Freund Yngwie Erich kümmert er sich um den Barbetrieb, drei weitere Freunde sind noch im Hintergrund dabei. Röpe hat Wirtschaftspsychologie studiert und kommt aus der Start-up-Szene. Vorher hat er mit „Kerbholz“ ein Label für Holzuhren und mit „Erlich Textil“ eines für nachhaltige Unterwäsche mitgegründet. Nun also Wein, eine „Herzensangelegenheit“, sagt er, „ich mag die Komplexität des Themas.“
Röpe und seine Freunde wollten eine Bar eröffnen, in die sie selbst gerne gehen, die alle Vorteile der kölschen Eckkneipe hat, aber eben auch sehr gute Weine. „Bei uns können sich Leute gemütlich hinsetzen, Fragen stellen, ohne dass sie schief angeguckt werden.“ Auch Röpe ist Autodidakt, für die Weinauswahl arbeitet die „Bredouille“ mit Sommeliers und Winzern zusammen. Vor allem wollten die Macher eine Leerstelle zwischen Fine Dining und Weinfest füllen, mit einem Barkonzept, das an den Aperitivo angelehnt ist. Was in Ländern wie Italien zum guten Ton gehört, fehle in Deutschland oft, findet Röpe. Dabei seien kleine Snacks seien einfach eine Geste der Wertschätzung. Die Strategie ist nicht neu – warum zieht es gerade jetzt bei Leuten, die mit der „Wein-Bubble“, wie Röpe es nennt, bislang kaum Berührung hatten?
Auch der Barbetreiber glaubt, dass der Nachhaltigkeitsgedanke eine Rolle spielt, aber nicht nur. „Die Menschen interessieren sich mehr für Handwerk, und Wein ist ein sehr interessantes Handwerk. Da kann man sich so richtig reinnerden. Und sie wollen die Story hinter einem Produkt kennenlernen. Deswegen erzählen wir immer die Geschichten von den Winzern, von denen wir die Weine beziehen.“ Das interessiere alle Gäste, vom Anwalt im Anzug bis zum Studierenden im Poloshirt, sagt Röpe. Die menschliche Seite des Weins also. In Zeiten, in denen Technologie immer häufiger den direkten Kontakt ersetzt, eigentlich nicht verwunderlich. Und noch etwas beobachtet Röpe, was den Trend zur Weinbar begünstigen könnte: „Dieses hemmungslose Saufen ist einfach out“, findet er.