In einem Gastbeitrag analysiert Arbeitsrechtler Georg Thüsing die Reaktion des Erzbistums auf Vorwürfe einer ehemaligen Mitarbeiterin gegen Kardinal Rainer Woelki.
Gastbeitrag zum Erzbistum„Mir imponiert es, dass es solche Mitarbeiterinnen gibt“
Der ein oder andere wird fragend und zweifelnd, vielleicht auch zornig oder traurig, die jüngste Pressemitteilung des Erzbistums zu etwaigen Falschaussagen von Kardinal Rainer Woelki gelesen haben. Doch wer sie als Jurist liest, der muss erst einmal sagen: Juristisch perfekt gemacht. Chapeau!
Denn da steht nicht etwa, dass die Aussagen der Bistumsmitarbeiterin Hildegard Dahm zu Woelkis Kenntnisstand im Missbrauchsfall des „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz falsch seien. Sondern nur, dass die Frau nicht wissen könne, ob Woelkis eidesstattliche Versicherung wahr ist. Man wirft ihr Spekulationen „ins Blaue hinein“ vor.
Dass Woelki, wie Dahm es schildert, eine von ihr erstellte Täterliste mit dem Namen Pilz bekommen hat, wird nicht ausdrücklich bestritten. Für den Fall, dass dem Kardinal der Erhalt der Liste nachgewiesen wird, wird festgehalten, dass er ja auch gar nicht eidesstattlich versichert habe, sie nicht bekommen zu haben. Bloß nicht festlegen!
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Auch der Hinweis der Mitarbeiterin, das laut Erzbistum 2014 abgeschlossene Verfahren gegen Pilz sei im Jahr darauf eben doch noch offen gewesen, wird in der Mitteilung nicht als grundweg falsch bezeichnet, sondern nur als falsch „ausweislich der Interventionsakte“. Ob diese aber die Wahrheit spiegelt, lässt das Erzbistum offen.
Gleichzeitig wird der Vorwurf, es werde mit „uralten Geschichten“ eine Kampagne gegen den Kardinal gefahren, als persönlicher Eindruck und damit als zulässige Meinungsäußerung von Woelkis Sprecher formuliert.
Nur bei einem legt das Erzbistum sich fest: Frau Dahm habe in einer Weise gehandelt, die kein Arbeitgeber dulden könne - im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die sich „korrekt verhalten“. Soll heißen: die keine Interviews geben, die den Kardinal in Bedrängnis bringen. Letztlich ist dies der Vorwurf, diese Mitarbeiterin sei illoyal.
Aber ist sie das wirklich? Ist eine Frau, die nahezu jeden Tag in den Dom zur Messe geht, illoyal gegenüber der Kirche als ihrer Arbeitgeberin? Eine Frau, die ausdrücklich sagt, es sei ihr nie in den Sinn gekommen, auszutreten. Eine Frau, die mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit in der Tat etwas riskiert, gerade weil ihr die Kirche am Herzen liegt.
Für mich, und vielleicht auch für den ein oder anderen, der Dahms Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gelesen hat, steht fest: Zur Kirche jedenfalls ist sie loyal. Deswegen „brannte ihr Herz“, deswegen musste sie den Schritt nach draußen gehen. Mir imponiert es, dass es solche Mitarbeiterinnen gibt. Gerade für Fälle wie ihren wird aktuell das Hinweisgeberschutzgesetz geschaffen, das eigentlich – ginge es nach dem Europarecht – schon voriges Jahr in Kraft hätte treten müssen.
„Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'“, ist ein Zynismus, den das Arbeitsrecht nicht mitmacht. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen Missstände aufdecken – und sollen das auch. Und sie dürfen ihre Anhaltspunkte nennen, auch wenn es keine Gewissheiten sind, solange sie in gutem Glauben handeln. Freilich müssen sie sich zunächst intern um Klärung bemühen. Nur wenn das nicht geholfen hat oder von vornherein keine Aussicht auf Erfolg besteht, darf er oder sie an die Öffentlichkeit gehen.
War dieser Punkt bei Hildegard Dahm und ihrem Wissen zum Fall Pilz erreicht? Sie hat Woelki eine Mail geschrieben, ihr Problem benannt und um ein Gespräch gebeten. Ein Feedback habe sie nicht bekommen. Das klingt schlüssig und sollte genügen. Das Erzbistum hat erklärt, man wolle arbeitsrechtliche Schritte prüfen. Das ist immerhin eine klare Ansage.
Prüfet alles, aber behaltet eben nur das Gute, mahnt der Apostel Paulus. Wäre es tatsächlich ein gutes Signal, eine solche Mitarbeiterin arbeitsrechtlich zu belangen? Es wäre dann der dritte Prozess im Erzbistum - nach dem „Bürostuhl-Verfahren“ gegen die Justitiarin (erstinstanzlich bereits verloren) und aktuell gegen die Geschäftsführerin der „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ (KHKT).
Drei Frauen, die sich aus verschiedensten Gründen wehren. Selbst wenn die Kirche den ein oder anderen Prozess am Ende gewinnen würde, was man als Arbeitsrechtler bezweifeln kann, wären es womöglich Pyrrhus-Siege, weil sie zumindest eines deutlich machen: Wir konnten nicht friedlich miteinander.
Christus habe niemandem den Rücken zugedreht, hat Kardinal Woelki seinen Messdienern in Rom mit auf den Weg gegeben. Dafür ist er vielfach kritisiert worden, wie er auch aktuell für vieles anderes kritisiert wird – vielleicht auch in nicht wenigem zu Unrecht. Sein Wort an die Jugendlichen in Rom war ohne Zweifel unglücklich formuliert. Aber es war sicherlich gemeint als Angebot zum Gespräch, zur Klärung, zur Bitte um Verständnis und eine Aufforderung, auch die andere Seite zu hören, ohne den Dialog abzubrechen. Darum geht es.
„Die Eskalation zu suchen, wäre falsch“
Der Kölner Erzbischof ist ein kluger Mann, den ich für vieles bewundere. Er sollte nicht auf falschen Rat hören. Nun die Eskalation zu suchen, wäre falsch. Nicht alles, was erlaubt ist, ist ehrenhaft, heißt es im Rechtsbuch der Römer, dem Corpus Iuris Civilis, und ganz ähnlich schreibt es wiederum Paulus an die Korinther.
Es mag ein hilfreicher Gedanke sein: Wenn loyale Katholiken in den jüngsten Pressemitteilungen des Erzbistums blättern, werden sie triumphale Überschriften lesen wie „Erneut keine Ermittlungen gegen den Kardinal“ und jetzt eben „Das Erzbistum Köln nimmt Stellung zu neuen Vorwürfen“. Es wäre gut, wenn all das bald hinter uns läge. Es braucht einen Neuanfang, mit dem Kardinal oder ohne ihn. Es wäre Stärke, den Rücktritt nicht nur anzubieten, sondern auch zu sagen, dass man tatsächlich gehen will. Andere haben das geschafft.
Das Kirchenrecht sieht vor, dass ein Bischof des Amtes enthoben werden kann, wenn hierfür ein schwerwiegender Grund vorliegt. Aber dieser Anforderung bedarf es nicht einmal, da der Rücktritt dem Papst von Woelki ja bereits angeboten wurde. So etwas kann sich schlicht daraus ergeben, dass der Hirte sich der Herde entfremdet hat – oder die Herde dem Hirten. Wer in Köln vom Karneval ausgeladen wird, weil man Unmutsbekundungen befürchtet, der sollte nachdenken, was richtig ist. Warten wir ab. Das Motto von Woelkis Vorgänger lautete: „Unsere Hoffnung ist fest.“
Autor Georg Thüsing ist Professor für an der Universität Bonn mit der Lehrbefugnis für Arbeitsrecht und Kirchenrecht. Er war Sachverständiger des Bundestags im Gesetzgebungsverfahren zum Hinweisgeberschutzgesetz.