Ein bekannter Kölner Politiker fordert die Polizei auf, etwas gegen kriminelle Jugendliche zu tun. Das Problem begleitet das Viertel seit Jahren. Was tun?
Kriminalität im Görlinger-ZentrumEin Kölner Viertel hadert im Umgang mit seinen Jugendlichen
Zugegeben, über den Müll im Görlinger-Zentrum kann sich Eleonore Wiedenbrück wirklich aufregen. „Noch heute Morgen war die AWB hier und hat den ganzen Platz gereinigt, jetzt ist wieder alles voll“, sagt sie und blickt bei einem Rundgang durch das Viertel an einem Januarvormittag wütend auf die Hinterlassenschaften auf dem Boden. „Ich kann das nicht verstehen, wie man seinen Müll einfach so auf die Straße schmeißen kann.“ Es wird einer der wenigen negativen Sätze sein, die Wiedenbrück und ihre beiden Freundinnen Brigitte Blum und Eleonore Driewer an diesem Vormittag über das Görlinger-Zentrum sagen werden.
Seit mehr als 30 Jahren wohnen die drei hier. Mit dem notorisch schlechten Image des Viertels wollen sie sich nicht abfinden: „Wenn immer wieder gesagt wird: Das Görlinger Zentrum ist ein Problemviertel, da fühle ich mich persönlich beleidigt“, sagt Driewer. Probleme wie hier gebe es in anderen Vierteln auch. Viel lieber sprechen sie vom Seniorennetzwerk, dem Bürgerschaftshaus und dem Markt jeden Donnerstag, bei dem die Anwohner für einen Plausch zusammenkommen. „Es ist nicht alles schlecht, der Zusammenhalt im Viertel ist groß. Ich wohne seit rund 30 Jahren sehr gerne hier“, fügt Brigitte Blum hinzu. Driewer und Wiedenbrück nicken.
Kölner Politiker Jochen Ott schlägt Alarm wegen Görlinger-Zentrum
Und doch gibt es sie, die Probleme. Auch an diesem Januarvormittag sind sie sichtbar. Zwei Männer ziehen sich in einen der vielen verwinkelten Ecken des Viertels zurück, während Schnee zwischen den Häuserschluchten hinunterrieselt. Der eine drückt dem anderen eine Tüte mit weißem Pulver in die Hand, im Tausch gegen einen Geldschein, ein paar Meter entfernt von der Trinkerszene vor dem Netto-Discounter.
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Zuletzt war das Görlinger-Zentrum an Neujahr in den Schlagzeilen, als die Polizei das Viertel in der Silvesternacht räumte, weil Beamte mit Feuerwerkskörpern beschossen wurden. Und schon Ende November wandte sich Jochen Ott, SPD-Fraktionsführer im NRW-Landtag, an den neuen Polizeipräsidenten Johannes Hermanns. In einem Brief, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, schrieb der Kölner Politiker: „Seit einigen Monaten sind die Bewohnerinnen und Bewohner im Stadtteil Köln-Bocklemünd erheblichen Belästigungen ausgesetzt, verursacht von einer Gruppe Jugendlicher im Alter von zehn bis 16 Jahren.“
Laut Anwohnern sorge die Gruppe insbesondere ab 15 Uhr für Lärm, teilweise mit Schreckschusspistolen, und jagten den Menschen im Görlinger-Zentrum Angst ein. „Die Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich vom Staat im Stich gelassen“, schreibt Ott. Er bittet den neuen Polizeipräsidenten darum, sich der Gelegenheit anzunehmen. Für Anfang März. so Ott, haben sich Hermanns und er auf ein Treffen geeinigt, um über das Problem zu sprechen.
Es ist ein Problem, das seit Jahren diskutiert wird. Spricht man mit den Anwohnern im Görlinger-Zentrum darüber, gleicht das einem Drahtseilakt. Auf der einen Seite sind sie es satt, dass ihre Heimat wegen einer Handvoll Jugendlicher immer wieder als Problemviertel bezeichnet wird. Viele sind deswegen zurückhaltend im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Dieses negative Bild erschwert die Entwicklung des Viertels“, sagt Driewer und zeigt auf die vielen leer stehenden Ladenflächen. „Welcher Arzt will sich noch hier ansiedeln, wenn immer nur von der Kriminalität berichtet wird?“ Dabei handelt es sich laut Polizei beim Görlinger-Zentrum nicht um einen Kriminalitätsschwerpunkt, die Einsatzlage sei seit Jahren annähernd gleich.
Bisher kein Erfolg mit Strategie gegen Kriminalität unter Jugendlichen
Auf der anderen Seite existieren die Probleme, die Ott in seinem Brief anspricht, durchaus. „Das Phänomen delinquenter und verhaltensauffälliger Jugendgruppen am Görlinger-Zentrum ist hier bekannt“, sagt eine Sprecherin der Polizei. „Respektlosigkeit gegen Einsatzkräfte gehört ebenso zur Situation wie ungebührliches und häufig unter der Strafbarkeitsgrenze liegendes Verhalten gegenüber der Wohnbevölkerung.“ Die Polizei reagiert laut eigenen Angaben mit stärkerer Präsenz. Den gewünschten Effekt hätte dies auf Dauer nicht. Auch vermehrte soziale Angebote „zeigen bislang noch keine nachhaltige Wirkung.“ Nach wie vor würden sich die Jugendlichen auf den Plätzen im Görlinger-Zentrum versammeln und für Verunsicherungen unter den Anwohnern sorgen.
Einer dieser Plätze befindet sich vor der Pfarrkirche „Christi Geburt“. Seit Jahren versammelten sich die Jugendlichen auf dem Kirchplatz, tränken Alkohol, konsumierten Drogen und zögen mit großer Lautstärke den Unmut der Anwohner auf sich, sagt Pfarrer Piotr Piątek. Die jüngsten seien elf Jahre alt. „Und seit dem Ende der Corona-Pandemie ist es noch schlimmer geworden.“ Schreckschusspistolen habe er selbst noch nicht gesehen. Aber in den Wintermonaten nehme die Lautstärke durch Böller stark zu, so auch in diesem Winter.
Sei es durch Einbrüche oder Schmierereien an der Kirchenfassade: Immer wieder hätten es die Jugendlichen auch auf die Kirche abgesehen. „Ich habe versucht, mit ihnen zu sprechen. Aber je mehr ich das versucht habe, desto schlimmer haben sie später mit Schmierereien und Sachbeschädigungen reagiert.“ Die Polizei nimmt er als machtlos wahr: „Die Jugendlichen werden zwar ständig kontrolliert, aber das nehmen die gar nicht ernst, die lachen darüber.“ Auch Blum gibt zu: „Für die Jugendlichen hier gibt es abends kaum einen Ort, wo sie hingehen können. Und da fangen die Probleme an, vor allem mit den Drogen.“
Eine wichtige Anlaufstelle für die Jugendlichen im Viertel ist das Bürgerschaftshaus, zentral im Görlinger-Zentrum gelegen. Rund 50 Menschen arbeiten dort. „Wir kümmern uns hier um die Anwohner von der Wiege bis zur Bahre“, sagt Geschäftsführerin Stephanie Bohn. Neben einer Kindertagesstätte gibt es ein Jugendzentrum, Beratungsangebote und vieles mehr.
Feindbild Polizei unter Jugendlichen im Görlinger-Zentrum
Auch Bohn und ihrem Team ist die Sorge vor einer Stigmatisierung des Viertels anzumerken: „Es gibt viele großartige Jugendliche hier“, sagt Bohn. Das schlechte Image des Viertels könne ihnen den Weg verbauen und ein paar kriminelle würden Jugendliche ein ganzes Viertel in Sippenhaft nehmen. „Dann bewerben die sich für eine Lehrstelle und kriegen nach einem Blick auf ihren Wohnort direkt eine Absage“, sagt Monika Reisinger, Sozialraumkoordination im Bürgerschaftshaus. Die Situation sei vor drei bis vier Jahren außerdem brenzliger gewesen als jetzt.
Und doch: „Hier gibt es viele ökonomische Probleme, unter den Jugendlichen herrscht eine große Perspektivlosigkeit“, gibt Bohn zu. Die Armutsquote unter den Kindern liegt bei über 40 Prozent – das ist eine der höchsten Quoten im Stadtgebiet. Bei einigen wenigen von ihnen führe die Armut gepaart mit falschen Vorbildern zum Abrutschen in die Kriminalität. Ein Teufelskreis entsteht.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Blum, Driewer und Wiedenbrück richten ihre Hoffnungen auf die Polizei. „Wir brauchen eine Polizeiwache hier im Viertel. Wenn ich jetzt die Polizei rufe, sind die Täter längst weg, bevor die Polizisten aus der Wache in Ehrenfeld angekommen sind“, sagt Wiedenbrück.
Bohn vom Bürgerschaftshaus glaubt nicht, dass mehr Polizei allein das Problem löse. Seit der Corona-Pandemie sei die Kluft zwischen den Jugendlichen und der Polizei gewachsen. „Unter einigen Jugendlichen wird die Polizei wieder vermehrt als Feindbild wahrgenommen. Das darf nicht sein.“ Einzelne Großaktionen wie zuletzt würden diese Kluft eher vergrößern.
„Wir haben hier jahrzehntelang einen Polizisten gehabt, der nur für das Görlinger-Zentrum zuständig war, der die Jugendlichen kannte und für sie Ansprechpartner war.“ „Dorf-Sherriff“ wurde er im Viertel liebevoll genannt. Seit einigen Jahren gebe es den nicht mehr. Bohn ist überzeugt: So ein einzelner „Dorf-Sheriff“ könne die Situation eher verbessern als eine groß angelegte Aktion der Bereitschaftspolizei. Fest stehe aber: „Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Wir müssen den Jugendlichen Perspektiven aufzeigen, aber dafür braucht es einen langen Atem.“