Köln – Auf „Glaube, Gott und Currywurst“ folgt „Waffeln, Brot und Gottes Glanz“. Franz Meurer erhöht die Schlagzahl: Nur ein Jahr nach seinem Bestseller mit knackigem Titel folgt ein neues Buch voller praxisnaher Gedanken über Gott und die Welt sowie die Kirche, die sich um beides bemühen will. „Im Moment ist es wichtig, Position zu beziehen“, sagt Kölns bekanntester Pfarrer. „Es gilt, den rheinischen Katholizismus zu bewahren.“
Der ist für ihn mehr als ein paar typisch kölsche Rituale im Karneval oder zum Saisonstart des FC. Meurer geht es um eine lebendige Glaubensgemeinschaft, die nicht in Hierarchien erstarrt, sondern mit beiden Beinen fest im Alltag der Menschen verwurzelt ist. „Auferstehung heißt: Ich loss dich nit em Ress“, sagt er und fordert Solidarität im Kleinen wie im Großen, gegenseitigen Respekt und die „gleiche Würde für alle“.
Wenn der alternative Ehrenbürger erklärt, was das praktisch bedeutet, kann er unzählige Beispiele aus den Pfarrgemeinden in Vingst und Höhenberg aneinander reihen und dazu Gedanken von schlauen Vordenkern zitieren. Zur Abrundung gibt’s stets die passende Anekdote: Der verstorbene Erzbischof Joachim Meisner habe bei einer der ersten seiner Priesterratssitzungen „mehr Korpsgeist“ im Erzbistum gefordert. „Was meinen Sie, wie der Protokollant Korpsgeist geschrieben hat?“, fragt Meurer. Ein „Chor“ – das sei doch ein viel schöneres Bild für eine Glaubensgemeinschaft: bunt und vielfältig, aber doch mit einem gemeinsamen Ziel.
Am Freitag wird Franz Meurer 70 Jahre alt. An dem Tag wird er einen Vortrag in Paderborn halten. Vorher gehe er dort noch ins Museum. Ein Geburtstagsfest sei nicht seine Sache. „Dafür bin ich nicht der Typ.“ Auch für den Ruhestand nicht. Pastöre können mit 70 aufhören. „Aber was soll ich denn anderes machen? Mein Dienst ist doch mein Leben! Wenn die Leute merken, dass da einer ist, der mit uns lebt, bekommt man wahnsinnig viel zurück. Mehr Lebensglück kann ich mir nicht wünschen.“
Und weil er auch noch viel zu sagen hat, was auch außerhalb seiner Gemeinde gehört werden sollte, sei auch schon das nächste Buch in Arbeit. Seit 15 Jahren ist er als Buchautor aktiv. 2007 schrieb er als Co-Autor das Büchlein „Von wegen nix zu machen“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Werkzeugkiste für Weltverbesserer“ mit. Der trifft ganz gut, was das Wirken Meurers prägt: Ganz handfest geht es darum, Dinge in der Praxis zu bewegen – jeder so, wie er kann.
Meurer ist während seiner Zeit als Pfarrer in Vingst und Höhenberg mit zahlreichen Titeln bedacht worden: „Arbeiterpastor“, „Armenpfarrer“, „Don Camillo“ oder „kölscher Franziskus“, der „Stern“ nannte ihn „Ghetto-Prediger“ – nicht jede Bezeichnung dürfte ihm gefallen, aber mit kleinlichen Widersprüchen hält sich der umtriebige Mann nicht auf. Lieber nutzt er die Aufmerksamkeit genau wie die vielen Preise, die ihm mittlerweile zuteilwurden, um neue Projekte vor Ort in Gang zu bringen und um dafür Geld zu sammeln.
CDU-Mitglied als SPD-Wahlhelfer
Sein Ruf, seine Hartnäckigkeit und seine Erfahrungen bringen ihn nah dran an die Mächtigen in Stadt und Land, ohne dass er sich mit ihnen gemein macht. Das tief in der katholischen Soziallehre verhaftete CDU-Mitglied fährt seiner Partei schon mal gerne in die Parade, wenn die ihr soziales Gewissen vergisst. Und er ärgert sie sehr, wenn er SPD-Politiker bei Oberbürgermeisterwahlen unterstützt, wie er es zweimal tat.
Er ist mit vielen eng verbunden, die parteipolitisch ganz anders ticken – von Jürgen Becker über die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim bis zum SPD-Landtagsabgeordneten Jochen Ott. Meurer ist ein Mann ohne jede Berührungsängste. Ökumene bedeutet für ihn nicht nur die Kooperation mit anderen christlichen Gemeinschaften, sie bezieht andere Religionsgemeinschaften mit ein. „Die muslimischen Jugendlichen grüßen mich auf der Straße, weil sie wissen, dass sie immer zu mir kommen können, wenn es nicht mehr weitergeht.“
Sein Weg war nicht vorgezeichnet. In den Priesterberuf sei er eher „reingerutscht“, sagt er. „Das war keine himmlische Erleuchtung.“ Nach dem Abitur am Hölderlin-Gymnasium habe er eigentlich Rechtsanwalt werden wollen und erst nach zwei Semestern gemerkt, dass das nichts für ihn war. Und auch als er dann mit dem Theologie-Studium begann, sei keineswegs klar gewesen, dass er sich mal für ein Leben im Zölibat entscheiden würde. Der Mann, den man heute mit allerlei Revoluzzer-Attributen in Verbindung bringt, hatte mit der 68er-Bewegung wenig im Sinn. Weil er den Kriegsdienst nicht verweigerte, wurde er der so genannten Ersatzreserve der Bundeswehr zugeordnet.
Der Ort für Bewegung und Veränderung war für ihn tatsächlich die katholische Kirche, in der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil alles auf Aufbruch stand. Folglich – und aus heutiger Sicht recht überraschend – habe er sogar das Priesterseminar als Ort der Freiheit empfunden. „Wenn ich vor 44 Jahren gewusst hätte, dass es so viel Klerikalismus und so viel Missbrauch in der Kirche gibt, hätte mich der Herrgott damals wohl nicht berufen“, sagt er. Bereut habe er die Priesterweihe jedoch nie.
"Nicht jeden Quatsch mitmachen"
Nach Stationen in der Innenstadtpfarrei St. Agnes und in Pulheim in der Pfarrei St. Kosmas und Damian wurde er 1986 Kreisjugendseelsorger für den Rhein-Sieg-Kreis. Für manchen Kollegen war eine solche Station die erste Stufe auf der Karriereleiter. Doch statt anderer Aufgaben in der Kirchenhierarchie folgte 1992 die Berufung nach Vingst. Eine Karriere im Bistum sei nicht möglich gewesen – nicht nur weil er zu unbequem war. Er habe das auch selber nicht gewollt. „Ich war nicht bereit, jeden Quatsch mitzumachen.“
Mit der Arbeitsweise von oben nach unten, verbunden mit falschen Loyalitäten, kann er nichts anfangen. Er sei seit seiner Jugend von demokratischen Strukturen in der Kirche vor Ort geprägt. Dass man zu jeder Zeit die Dinge selbst in die Hand nehmen könne und so etwas verändere, sei eine „Urerfahrung“. So organisiert sich auch seine Pfarrgemeinde. „Wenn ich als Pastor etwas anordne, würde man sich kaputt lachen.“ Alles verändere sich von unten. „Es sind die Gemeinden, die die Kirche retten“, hofft er. Sicher, ob das klappt, ist er sich nicht. „Die Menschen sind per se religiös“, glaubt er. „Sie suchen nach Sinn. Die Frage ist, ob die Kirche noch dazu passt.“
„Gott will, dass wir an seiner Glückseligkeit teilhaben“, lautet die Antwort auf die Frage, wie es an der Spitze des Erzbistums weiter gehen soll, und deren Sinn sich erst mit weiteren Erläuterungen erschließt. Für ihn gehe es nicht darum, ob Kardinal Rainer Maria Woelki nach der vorordneten Auszeit zurückkehrt oder zurücktritt. „Es geht darum, dass er glücklich ist. Ich wünsche mir, dass er sich innerlich befreit und bereit ist zur Umkehr.“ Er möchte Woelki beim Wort nehmen. Der Erzbischof hatte gesagt, dass er sich darüber Gedanken machen wolle, wie man in Gemeinschaft bleibe, auch wenn man gegensätzlicher Meinung ist. „Das ist doch genial.“ Alles weitere müsse man dem Herrgott überlassen.