Kurz vor Heiligabend spielt Kasalla bei „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ im Kölner Stadion. Ein Gespräch über Weihnachtslieder, Frauenpower und Karneval.
Kasalla-Sänger Bastian Campmann„Es ist kein Geheimnis, dass der Karneval in großen Teilen ein sehr konservatives Patriarchat ist“
Herr Campmann, singen Sie zu Hause Weihnachtslieder?
Natürlich, Heiligabend auf jeden Fall. Beim Warten auf das Christkind sitzen wir im Flur und singen klassische Weihnachtslieder. „O, Tannenbaum“ oder „Ihr Kinderlein kommet“. Bis das Glöckchen bimmelt und die Tür aufgeht.
Einen Tag vor Heiligabend, bei „Loss mer Weihnachtsleeder singe“, singen Sie mit 48.000 Menschen …
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Wir durften schon zweimal dabei sein, und das ist immer sehr, sehr schön und besinnlich. Tolle Atmosphäre. Das Stadion ist voll und klingt wie der größte Chor des Rheinlands. Oder der Welt vielleicht, das wäre dem Kölner noch lieber (lacht). Weniger Rock’n’Roll, mehr Besinnung – wir freuen uns drauf.
Das ist schon Ihr dritter Auftritt im Stadion in diesem Jahr.
Stimmt. Die Besuche bei den Fantastischen Vier als Support und auch jetzt beim Weihnachtsleeder-Singen kann man leichter an sich vorbeiziehen lassen, weil man nicht in der Organisation drinhängt. Unser Wahnsinn da im Sommer, unser eigenes Konzert, das Verschobene, um das wir so gekämpft und gebangt und gerungen haben, steht da schon auf einer anderen Stufe. Wir machen jetzt bald ein Fotobuch dazu. Bei der Auswahl der Bilder war man emotional sofort wieder voll drin. Da fließen immer noch Tränen, wenn wir an diesen Tag im Juni zurückdenken. Das ist das Größte, was wir als Musiker erreichen können, zumindest von der Quantität. Und diese Emotionen, auch wegen Corona und Verschieben, davon werden wir unseren Enkeln so lange erzählen, bis sie es nicht mehr hören können.
Aktuell spielen Sie vier Abende im Gloria, an zwei davon ist Mätropolis die Vorgruppe. Warum gibt es erst jetzt eine Frauenband in der kölschen Szene, die Ihre Musik komplett selbst macht?
Es gibt ja klassisch die Funky Marys (die vier Frauen singen zu Playbacks, Anm. d. Red.) und es gab Rockemarieche, von denen zwei jetzt bei Mätropolis sind. Keine ganz neue Entwicklung, aber da ist schon noch sehr viel Luft nach oben. Es ist kein Geheimnis, dass der Karneval in großen Teilen ein sehr konservatives Patriarchat ist. Da sind noch ein paar Bretter zu bohren, wenn es um das Schließen des Gender-Gaps geht. Das gilt übrigens für das ganze Musik-Business, nicht nur für Köln. Das wird Zeit brauchen. Jede Band, jede Künstlerin, die sich traut und das gut macht, wird die Tür ein Stückchen weiter öffnen. Es braucht mutige, gute, laute Frauen, die ihren Platz einfordern, aber auch Männer, die Platz machen und zurücktreten. Wir haben Mätropolis nicht ausgesucht, weil es eine Frauenband ist, sondern weil wir cool finden, was sie machen. Schön ist das natürlich beides.
Bei allem Erfolg liegen auch schwere Zeiten hinter Kasalla. Sie haben Ihre Europatour abgesagt. Wie stellt sich das aus heutiger Sicht dar?
Es war die richtige Entscheidung. Wir stehen dazu. Die Absage ist ein kleiner Wermutstropfen in diesem Jahr, aber es läuft jetzt wieder richtig gut an. Wir haben die vier Gloria-Konzerte mit mehr als 4000 Leuten ausverkauft, für den Tanzbrunnen im Mai sind auch schon mehr als 3000 Tickets weg. Es ist immer noch eine merkwürdige Zeit, und die Absage hat sehr, sehr weh getan und tut es immer noch. Aber die Leute wollen uns immer noch sehen. Wir sind nicht so wehmütig, dass wir das noch lange mit uns rumtragen. Es ist ein bisschen Mund abputzen und weitermachen.
In knapp zwei Wochen geht die Session los. Sie starten auf der Proklamation …
Da freuen wir uns sehr drauf, weil wir etwas Besonderes machen werden. Was, darf ich aber noch nicht verraten. Der 11. 11. war schon wieder fast wie vor Corona, mit standesgemäßen elf Auftritten. Man hat Respekt, aber es war überall voll und irgendwann hat man das C vergessen. Wir sind aber noch etwas aus dem Training. Wenn man in den Kalender schaut und 230 Termine sieht, weiß man, was man vor sich hat. Das wird eine körperliche Herausforderung. Mal sehen, ob die alten Herren es noch draufhaben (lacht).
Ihre „Rudeldiere“ sind vor allem junge oder jüngere Menschen. Was sagen Sie zu den Zuständen auf der Zülpicher Straße?
Wir waren nicht dabei und haben es nur erzählt bekommen. Die Entwicklung macht uns auch Sorgen. Und es gibt keine Patentlösung, die kann sich keiner anmaßen. Ich glaube, es geht nur über stärkere Zugangskontrollen. Ob eine Entzerrung Richtung Uniwiese das Problem wirklich löst, kann ich mir nicht vorstellen. Die Art zu feiern ist halt gerade so …
... die Jugendlichen wollen gar nichts anderes …
Eben. Wenn Wirte sagen: „Wir haben Angst um unsere Gäste, das geht so nicht weiter, wir machen Karneval nicht mehr auf“, dann muss da hart reguliert werden. Das ist kein Karneval und kein Problem des Karnevals, sondern eines der Stadt und der Gesellschaft. Für ein Sicherheitskonzept den Worst Case an Besuchern berechnen und 20 Prozent drauftun, um sicher der Lage Herr zu werden.
Wie war das bei Ihnen in dem Alter?
Ich würde ja Schmuh erzählen, wenn ich behaupten würde, mir wäre es mit 18 nur um et kölsche Hätz un et Brauchtum gegangen. Mit 16 oder 18 gehst du nicht zum Schunkeln auf den Alter Markt. Da geht es klar um Feiern, aber auch um Saufen, um das Anarchische. Zu meiner Zeit waren wir halt einfach viel weniger. Jetzt die Jugendlichen zu verteufeln, bringt ja niemanden weiter. Wir müssen einen Umgang damit finden.
Was steht nach der Session an im neuen Jahr?
Urlaub. (lacht) Dann haben wir einiges vor. Wir werden einige Festivals spielen. Wir waren ja dieses Jahr auf dem Parookaville …
Ihr Auftritt musste wegen Überfüllung abgebrochen werden. Da gäbe es was nachzuholen. Sind Sie dabei?
Äääh ... (lacht) Weiß ich nicht. Es gibt Sachen, die kann man noch nicht sagen, aber es wird einiges passieren. Das nächste Highlight ist die Saisoneröffnung des Tanzbrunnens am 13. Mai.
Haben Sie einen Vorsatz fürs neue Jahr?
Ich versuche, weniger Doomscrolling (das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten im Internet, Anm. d. Red.) zu machen. Also den Twitter-Feed nach der nächsten Katastrophe upzudaten. Lieber weniger Bildschirmzeit und mal links und rechts gucken, genießen, wenn im Frühling die Bäume knospen …
Sind Sie gefährdet?
In der Zwischenzeit habe ich es besser unter Kontrolle, aber im Lockdown, beim russischen Überfall auf die Ukraine, da war ich schon ziemlich in der Bubble drin. Dieses fixiert sein auf immer neue Katastrophen, das macht dem Kopf nichts Gutes.
Zur Person
Bastian Campmann (45) ist Sänger der im Jahr 2011 gegründeten Kölschrockband Kasalla. „Pirate“, der erste Hit der Band, wurde mit einer Goldenen CD ausgezeichnet. Ihr aktuelles Album „Rudeldiere“ stieg auf Platz 10 der deutschen Albumcharts ein. Bastian Campmann ist verheiratet und hat eine Tochter.
Zum Weihnachtskonzert
„Loss mer Weihnachtsleeder singe“ findet am 23. Dezember im Rhein-Energie-Stadion statt. Das zweimal verschobene Konzert ist ausverkauft. Mit dabei vor 48.000 Mitsingenden sind neben Kasalla die Höhner, Cat Ballou, Klüngelköpp und Björn Heuser sowie der Jugendchor St. Stephan. Moderation und Gesamtleitung hat Michael Kokott.