Thomas Baumgärtel spricht über Verhaftungen, eine Nacht im Gefängnis, Morddrohungen nach seinem Erdogan-Bild – und seine Entdeckung der Banane.
Kölner Bananensprayer im Interview„Ich bin oft behandelt worden wie ein Schwerverbrecher“
Herr Baumgärtel, vor 40 Jahren haben Sie ein Objekt für sich entdeckt, das Ihr Leben entscheidend geprägt hat. Wie sind Sie auf die Banane gekommen?
Ich war damals Zivi in einem katholischen Krankenhaus in Rheinberg, wo über jedem Bett ein Kruxifiz hing. Einmal kam ich in ein Zimmer, in dem eines der Kreuze abgefallen und die Jesusfigur darauf kaputtgegangen war. Mir kam spontan die Idee, meine Frühstücks-Banane zu holen und auf die leeren Nägel zu stecken. Das habe ich dann zurück übers Bett gehängt, zur sehr großen Freude derjenigen, die krank in dem Zimmer lagen. Kunst heilt, sage ich seitdem gerne.
Es waren aber nicht alle entzückt.
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Das stimmt. Wobei es am Ende trotz großer Empörung nicht zum Rausschmiss kam, dafür mochten mich die Ordensschwestern zu gerne. Ich konnte mein Kunstwerk mit nach Hause nehmen, das Kreuz war ja eh schon entweiht. Damals habe ich den Entschluss gefasst: Ich will Künstler werden.
Sie haben das Kreuz noch. Wie viel ist von der Banane übrig?
Erstaunlich viel. Ich habe das Kreuz in der Wohnung meiner Eltern im Heizungskeller aufgehängt. Da wurde die Banane ausgetrocknet und sehr gut konserviert.
Sie haben nach dem Zivildienst freie Kunst in Köln studiert und waren fasziniert von den illegalen Sprühaktionen des Künstler Harald Naegeli.
Es hat mir schwer imponiert, dass er von Interpol weltweit gesucht wurde. Naegeli war ein Held meiner Kindheit.
1986 haben Sie Ihre erste Banane in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an einen Kunstort in Köln gesprüht. Welcher war das?
Ich habe in der Nacht einige Galerien in Köln besucht, leider weiß ich nicht mehr, welche die erste war. Meine erste Verhaftung weiß ich aber noch: Die war am Museum Ludwig.
Wie kam es dazu?
Normalerweise war ich bei meinen Sprüh-Aktionen immer allein unterwegs, aber in der Nacht hatte ich meinen besten Freund aus meinem Psychologie-Studium dabei, der unbedingt mitwollte. Das war ein Fehler, denn plötzlich waren es zwei verdächtige Subjekte, die sich am Mauerwerk zu schaffen machen. 1987 war das Ludwig ein weltweit beachtetes Museum in der deutschen Kunstmetropole, so etwas wie die heilige Kuh in Köln. Und die Polizei bekam einen Anruf vom Sicherheitsdienst, dass jemand etwas am Eingang installiert. Die dachten wohl, dass da jemand eine Bombe anbringt. Innerhalb von Minuten wurde eine Fahndung ausgerufen im Umkreis von 500 Metern um das Museum.
Haben Sie versucht zu fliehen?
Als die erste Polizei mit quietschenden Reifen angefahren kam, liefen wir gerade über den Roncalliplatz. Mein Auto stand am WDR. Als ich das Auto aufschließen wollte, kam ein Mannschaftswagen, wir wurden eingekreist, aufs Auto geschmissen und nach Waffen durchsucht. Aus dem Polizeifunk kam dann schnell die Entwarnung: aufgemalte Banane. Die Maschinengewehre wurden wieder eingepackt. Aber sie haben meine Spraydosen und meine Bananen-Schablone gefunden und uns auf die Wache mitgenommen. Mein Freund war am Boden zerstört. Er dachte, sein Leben und Studium sind jetzt ruiniert. Ich fand es auch nicht lustig. Es war klar: Diese Nacht werden wir beide nicht vergessen.
Was geschah auf der Wache?
Wir wurden verhört, unsere Daten aufgenommen. Wir hatten eine Anzeige am Hals und mussten die Reinigungskosten zahlen, 700 Mark. Das war damals viel Geld. Damit war ich dann tatsächlich vorbestraft.
Zwei Jahre später durften Sie offiziell eine Banane ans Museum Ludwig sprühen.
Ja, das habe ich gefeiert. Ein Galerist aus der Südstadt hatte mich zuvor über einen Artikel im „Kölner Stadt-Anzeiger“ kontaktiert, die Redaktion leitete den Kontakt an mich weiter. Denn ich war damals nur als „Bananensprayer“ bekannt, aber kaum einer wusste, wer ich bin. Der Galerist hat später mit mir einen Kunstführer durch Köln mit Fotos meiner Bananen an Galerien und Museen herausgegeben. Der neue Direktor des Ludwig, Siegfried Gohr, ließ jedenfalls beim Galeristen ausrichten, er würde sich über eine Banane freuen.
Wie lange waren Sie anonym unterwegs?
Die ersten fünf Jahre. Über Polizeieinträge hätte man mich herausfinden können, auch einige Journalisten kannten mich. Ein Express-Fotograf hat dann meinen Namen veröffentlicht. Damit war die Anonymität weg.
Hagelte es Anzeigen, als man wusste: Der Bananensprayer heißt Thomas Baumgärtel?
Das nicht. Aber ich bin in anderen deutschen Städten sehr häufig auf frischer Tat ertappt worden, da gab es Anzeigen und ich musste die Reinigungskosten erstatten. Als ich zum ersten Mal in New York war, habe ich die Galeristen dort vorher angerufen. Ich wusste: In die USA darfst du nie wieder einreisen, wenn sie dich dort erwischen. Die verstehen keinen Spaß.
Wie lange dauert es, eine Banane aufzusprühen?
Wenn ich ganz schnell bin, drei Minuten. Wenn es sehr kalt ist, trocknet die Farbe nicht gut, auf Glas ist es auch schwierig. Wenn ich erst auf dunkler Wand grundieren muss dauert es auch länger.
Was ist das für ein Gefühl, erwischt zu werden?
Das ist immer eine ganz üble Situation. Ich bin oft behandelt worden wie ein Schwerverbrecher. Nie vergessen werde ich die Nacht, die ich im Gefängnis in München verbracht habe. Da sitzt man lange Stunden und denkt: Jetzt bin ich ganz tief gesunken. Hätte ich doch auf meinen Vater gehört und Medizin studiert. Die Zelle war ein Kellerloch mit einem Plumpsklo. Am nächsten Tag durfte ich raus. Immerhin. Wenn ich heute in die Türkei reisen würde, säße ich vermutlich nicht 24 Stunden, sondern 24 Jahre fest.
Sie spielen auf das Bild von Ihnen aus dem Jahr 2016 an, für das Sie Morddrohungen türkischer Nationalisten bekommen haben. Es heißt „Unter der Gürtellinie“ und zeigt Erdogan mit einer Banane im Hintern. Warum haben Sie das Bild gemacht?
Ich fand Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht mutig und toll, wollte das unterstützen. Und dann habe ich mich gefragt: Was würde bildhaft so richtig unter die Gürtellinie gehen? Als das Bild fertig war, hatte ich dann Zweifel, ob ich das bringen kann. Wochenlang habe ich gehadert. Mein Atelier-Nachbar sagte: Du bist wahnsinnig, die fackeln unser Atelier ab. Auch meine ältere Schwester riet ab, ebenso wie meine damalige Lebenspartnerin, mit der ich ein Kind habe.
Trotzdem haben Sie sich dafür entschieden.
Ja. Weil ich mich immer mehr wie ein Feigling fühlte. Als dann der Putsch gegen Erdogan kam, Tausende Menschen umgebracht oder verhaftet wurden, ist mir der Kragen geplatzt. Da habe ich das Bild veröffentlicht. Sofort prasselten Morddrohungen auf mich ein. Der Staatsschutz hat mich zum Glück unterstützt und Polizeiautos vor meiner Tür abgestellt, über Monate. Da hat sich für mich das Bild von der Polizei ziemlich gedreht: von Feind auf Beschützer.
Hat der Staatsschutz Ihnen geraten, die nächsten Jahre lieber nicht in die Türkei zu reisen?
Klar. Das geht auf keinen Fall. Da wird auch ein Olaf Scholz keine Mittel haben, mich rauszuholen. Ich bin nicht lebensmüde. Russland wäre auch keine gute Idee.
Hat Jan Böhmermann sich für Ihre Solidaritätsgeste bedankt?
Nö, hat er nicht. Aber wir hatten auch noch nie Kontakt miteinander.
Wie haben Sie diese Monate der Bedrohung erlebt?
Ich bin mit einer Angst in Kontakt gekommen, die ich zuletzt nur in Kiew hatte auf meiner Ukraine-Reise vor einigen Wochen, als nachts die Bomben runterkamen. Wenn deine Familie oder deine Kinder bedroht werden, ist das schlimm. Aber es ist genau das, was Diktaturen ausmacht. Sie streuen Angst, damit alle brav die Schnauze halten. Ich habe angefangen, alle Morddrohungen anzuzeigen. Das mache ich bis heute.
Bereuen Sie die Aktion?
Nein, ganz im Gegenteil. Würde ich genauso wieder machen.
Auch viele Menschen, die keine türkischen Nationalisten sind, fanden es nicht richtig, dass man Erdogan beleidigt. Was sagen Sie Menschen, die fragen: Musste das sein? Ist das noch Kunst?
Wenn jemand Kanzler oder Präsident ist, muss man die Größe haben, damit zu leben, von Künstlern kritisiert zu werden. Ich greife ja niemanden körperlich an. Das ist eine Karikatur. Wir haben dieses Grundrecht, dass wir kritisch sein dürfen, das nehme ich mir raus.
Über keines Ihrer Werke haben Sie mehr Diskussionen geführt als über dieses, oder?
Das stimmt. Das Bild wurde auf der Art Karlsruhe dann auch abgehängt, nachdem sich der türkische Botschafter sehr heftig beschwert hat. Ich habe mich daraufhin von meinem Galeristen getrennt. Wenn man etwas macht und ausstellt, muss man auch dazu stehen und das durchziehen.
Wie stehen Sie zu den Klimaklebern, die ebenfalls gerne provozieren?
Wenn sie Kartoffelbrei oder Suppe auf Kunstwerke werfen, ist immer Glas dazwischen. Es wird nichts zerstört. Insofern bin ich solidarisch mit den Aktivisten und finde Razzien gegen sie völlig übertrieben. Ihre Forderungen sind wichtig.
Sie haben mehr als 4000 Kunstorte auf der ganzen Welt mit einer Banane besprüht. Fühlen Sie sich manchmal auf die Banane reduziert?
Viele stecken mich nur in diese Schublade. Dabei bin ich eigentlich mehr Künstler als Sprayer, arbeite mit 25 Galerien zusammen und habe in meinem Leben schon 600 Ausstellungen gemacht. Da muss ich manchmal echt lachen, wenn einer nach einer größeren Ausstellung oder einem Vortrag auf mich zukommt und sagt: Herr Baumgart, Sie sind ja ein echter Künstler. Ich dachte, Sie ziehen nur um die Häuser und sprühen Bananen. Nein, bei mir ist nicht alles Banane.
Sie sind kürzlich in die Ukraine gereist und haben dort unter anderem Ihr Motiv „Put in Prison“, einen Putin in Sträflingskleidung, an öffentlichen Orten angebracht. Wie waren die Reaktionen darauf?
Viele fanden das Motiv lustig und fühlten sich sofort unterstützt, aber es gab auch sehr heftige Reaktionen. Am Maidan-Platz haben Jugendliche das Gesicht von Putin wild mit Füßen getreten und richtig draufgespuckt. Da kam ein tiefer Hass zum Vorschein. Das Motiv hat die Attacke nicht überlebt. Ich konnte die Reaktion aber total nachvollziehen. Auch in Köln wird dieses Motiv immer wieder zerstört, allerdings von Putin-Verehrern – oder von Fans abgelöst.
Zur Person
Thomas Baumgärtel ist ein deutscher Künstler, der auch als „Bananensprayer“ bekannt ist. Er wurde 1960 in Rheinberg geboren. Von 1985 bis 1990 studierte er Freie Kunst an der Fachhochschule Köln, außerdem Psychologie an der Uni Köln. Berühmt geworden ist er durch die Bananen, die er an Eingänge von Kunstmuseen und Galerien sprüht, die er für künstlerisch hochwertig hält - mehr als 4000 Bananen sind es mittlerweile auf der ganzen Welt. Er lebt und arbeitet in Köln.