Gerade in Corona-Zeiten, in denen die Menschen ohnehin Respekt vor dem Einkaufen haben, können liebevoll gestaltete Umkleidebereiche ein Vorteil sein.
In einer repräsentativen Studie geben 40 Prozent der Konsumenten an, das Geschäft sogar ohne Kauf wieder zu verlassen, nur weil ihnen die Umkleidekabine nicht zusagt.
Ein bisschen Märchen, englischer Landhausstil, passende Pfingstrosen als Deko, Sessel für die Wartenden. Wir haben die schönsten Umkleiden der Stadt gesucht.
Köln – Es gibt einen Satz, den hört Mina Frank immer wieder sehr gern: „Darf ich hier einziehen?“ Das fragen viele Kundinnen, sobald sie das Umkleidezimmer der Modeboutique „Plus & Minas“ am Zülpicher Platz betreten haben. Abgetrennt vom Verkaufsraum geht es ein paar Stufen herunter und man steht in einem zartrosa Mädchentraum. Eine Mischung aus Boudoir, ein bisschen Schloss, ein bisschen Märchen, englischer Landhausstil, schwere Blumenvorhänge, Tapeten von Laura Ashley, passende Pfingstrosen als Deko, Sessel für die Wartenden.
„Manche fragen, ob sie hier nach dem Anprobieren noch ein bisschen Sitzen und Kaffeetrinken dürfen.“ Dürfen sie. Denn nichts motiviert so sehr zum Kaufen wie eine schöne Umkleide mit warmer Beleuchtung und viel Platz – und der Möglichkeit, sich ganz in Ruhe von allen Seiten zu betrachten, ohne dass jemand zuschaut. Also genau das Gegenteil von den in großen Ketten üblichen Holzverschlägen mit zu wenig Haken, Cellulite-Verstärkerlicht und Wollmäusen.
Respekt vor dem Einkaufen in Corona-Zeiten
Gerade in Corona-Zeiten, in denen die Menschen ohnehin Respekt vor dem Einkaufen haben, könnten liebevoll gestaltete Umkleidebereiche durchaus ein Vorteil für kleinere Geschäfte sein. Das jedenfalls hofft Modedesignerin Mina Frank, die bei der Einrichtung Hilfe von einer Bühnenbildnerin und einer Dekorateurin (neudeutsch: visual merchandiser) hatte. „Die Kundinnen sollen hier ganz in Ruhe ihre Lieblingsteile finden.“
In einer repräsentativen Studie des Forschungsinstituts Innofact bemängeln 71,7 Prozent der Konsumenten Ausstattung oder Zustand von Umkleidekabinen. Gute Beleuchtung finden 85 Prozent wichtig, gleichzeitig sind 72,7 Prozent von dem schlechten Licht genervt. Bei Frauen sind es fast 80 Prozent. Über 40 Prozent geben sogar an, das Geschäft ohne Kauf wieder zu verlassen, nur weil ihnen die Umkleidekabine nicht zusagt.
Die Umfrage wurde zwar 2017 gemacht, doch bis heute wird sich da wenig verändert haben. Warum sich Ladenbesitzer – auch unter dem Online-Konkurrenzdruck – immer noch so wenig Mühe geben, ist ein Rätsel.
Fröhlich-durchgestylte Unisex-Umkleiden gehören zur Philosophie
Bei „White Stuff“ auf der Ehrenstraße gehören die fröhlich-durchgestylten Unisex-Umkleiden dagegen zur Philosophie. Der Boden stammt aus einer historischen Sporthalle, an den Wänden sind verschiedene Vintage-Tapeten, für die Kleider gibt es individuelle Haken mit Tiermotiven. „Manche Kunden gucken erstmal in jede Kabine rein, um die schönste zu finden“, sagt Geschäftsführerin Cathleen Jäger. Besonderer Gag: In jeder Kabine gibt es eine Service-Klingel, mit der man Beratung oder auch Getränke bestellen kann. Letzteres ist in diesen Zeiten leider nicht möglich, aber üblicherweise gibt es Wasser, Tee, Kaffee und sogar Whisky – gegen eine Spende für eine wohltätigen Zweck.
„White Stuff“ ist eine englische Kette, dort gibt es 180 Filialen, in Deutschland bisher acht. Im Heimatland sind die Umkleiden oft noch britisch-spleeniger. „In Edinburgh gibt es eine, die wie eine Küche aussieht und die Nachbarkabine wie ein Schlafzimmer“, sagt Cathleen Jäger. Kunden erzählten oft, welche Varianten sie im Urlaub gesehen haben.
Delikate Momente in der Umkleide perfekt angeschirmt
Dass man auch in einem sehr kleinen Laden eine geradezu königlich-pompöse Umkleide bieten kann, zeigt Modedesignerin Demet Taha auf der Venloer Straße in der Nähe des Stadtgartens. Sie und ihr Mann verkaufen Wäsche und Bademode – ein extrem heikles Metier, stehen die Kundinnen und Kunden doch meistens fast nackt vor dem Spiegel. Hochverletzlich sozusagen.
Demet Taha hat aus schwerem Stoff und Spitze zwei Vorhänge an halbrunden Schienen genäht, die diese delikaten Momente perfekt abschirmen. „Die Vorhänge haben mir eine schlaflose Nacht bereitet“, erzählt sie. Vor zwölf Jahren, kurz vor der Eröffnung des Ladens, war alles fertig – außer den Vorhängen. „Ich habe dann immer wieder die verschiedenen Materialien über- und nebeneinander gelegt, um zu sehen, wie es wirkt. Und dann die ganze Nacht durchgenäht.“
Das Geheimnis: üppiger, hochwertiger Stoff, doppelte Lage. Den grünen Volant oben hat sie aus ihrer Zeit im Bonner Schauspielhaus mitgebracht, die Spitze unten stammt von der deutschen Oma. „Und wichtig ist, dass innen warme, goldene Farben vorherrschen. Die strahlen auf die Haut der Kunden und kaschieren jede Delle“, sagt Demet Taha. Und Tee und Toffees werden auch noch reingereicht. Was will man mehr.