AboAbonnieren

Demo am Samstag in KölnWarum der „Marsch für das Leben“ so kritisiert wird – und wer ihn unterstützt

Lesezeit 6 Minuten
Der „Marsch für das Leben“ fand bislang ausschließlich in Berlin statt. In diesem Jahr wollen die Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen zum ersten Mal in Köln demonstrieren.

Der „Marsch für das Leben“ fand bislang ausschließlich in Berlin statt. In diesem Jahr wollen die Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen zum ersten Mal in Köln demonstrieren. (Archivbild)

Die Pro-Life-Bewegung will in Köln demonstrieren. Unterstützt werden sie vom Kölner CDU-Vorsitzenden und dem Erzbischof. Trotz harscher Kritik.

Bis zu 2000 Menschen wollen am kommenden Samstag (16. September) in Köln beim „Marsch für das Leben“ demonstrieren. Bislang fand diese Demonstration nur in Berlin statt. Seit 2002 findet sie statt, Tausende nehmen teil. Sie wird vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) veranstaltet, einem Zusammenschluss mehrerer Gruppen aus der sogenannten Lebensrechts- oder Pro-Life-Bewegung.

Der BVL setzt sich laut eigener Satzung „für den Schutz der Würde und des Lebensrechts ungeborener und geborener Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod“ ein. Es wird gegen Schwangerschaftsabbrüche, Sterbehilfe sowie Pränataldiagnostik und Stammzellforschung demonstriert.

„Marsch für das Leben“ stellt sich gegen „bioethische Politik“ der Bundesregierung

Die „ ‚bioethische‘ Politik der Bundesregierung“, die „in vielen Punkten nicht der Wahrung der Menschenwürde“ entspreche, sei der Grund dafür, erstmalig auch in Köln einen „Marsch für das Leben“ zu veranstalten. Das erklärt die BVL-Vorsitzende Alexandra Linder auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Alles zum Thema Demonstration Köln

Linder bezieht sich dabei etwa auf die Abschaffung des Werbeverbotes für Schwangerschaftsabbrüche im vergangenen Sommer (§ 219a StGB) oder die Pläne der Ampel-Regierung, § 218 abzuschaffen. Laut diesem Paragrafen sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich rechtswidrig. Es sei denn, die schwangere Person hat eine gesetzlich vorgeschriebene Schwangerschaftskonfliktberatung wahrgenommen oder es gibt medizinische Risiken oder kriminologische Gründe für den Abbruch, etwa durch eine Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung.

Diese und andere von der Ampel-Regierung geplante Reformen findet die Lebensrechtsbewegung kritisch. Linder nannte es in einem Interview mit der „Catholic News Agency“ „ein verheerendes politisches Programm“.

Lebensrechtsbewegung vertritt ein „insgesamt antifeministisches und queerfeindliches Weltbild“

Für Köln haben sich gleich sechs Gegendemonstrationen für Samstag angekündigt. Der größte organisiert das „Bündnis Pro Choice“. Der „Marsch für das Leben“ sei ein „Angriff auf die körperliche Selbstbestimmung“, so das Bündnis.

Auch Pro Familia NRW bewertet den „Marsch für das Leben“ „extrem kritisch“. Der Verbund von Beratungsstellen für Familienplanung, Sexualpädagogik und -beratung rief selbst zum Gegenprotest in Köln auf und unterstützt das Bündnis.

Man müsse sich „einem drohenden Rückschritt entgegenstellen und das Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung verteidigen“. Zudem vertrete die Lebensrechtsbewegung „ein insgesamt antifeministisches und LGBTQIA*-feindliches Weltbild“.

Dokumentierter Antisemitismus beim „Marsch für das Leben“ und in der Lebensrechtsbewegung

Beide mahnen zudem an, dass am „Marsch für das Leben“ christlich-fundamentalistische und rechtspopulistische bis rechtsextreme Gruppen teilnehmen. „Die Bewegung verunglimpft den Schwangerschaftsabbruch als ‚vorgeburtliche Tötung‘ und vergleicht ihn mit NS-Euthanasie“, sagt Pro Familia dazu.

Tatsächlich kommen die Vorwürfe nicht von ungefähr: 2022 und 2021 wurde beim „Marsch für das Leben“ in Berlin beobachtet, wie jeweils ein Teilnehmender ein T-Shirt mit der Holocaust-relativierenden Aufschrift „Babycaust“ trug. Beide Fälle wurden vom bundesweit tätigen Monitoring-Netzwerks für Antisemitismus RIAS dokumentiert – wie auch weitere aus dem Umfeld der Lebensrechtsbewegung. Die „Frankfurter Rundschau“ und die „Taz“ berichteten ebenfalls.

Ein Teilnehmer vom „Marsch für das Leben“ in Berlin im Jahr 2019 hält ein Schild mit der Aufschrift „Nein zu Euthanasie und Abtreibung“.

Ein Teilnehmer vom „Marsch für das Leben“ in Berlin im Jahr 2019 hält ein Schild mit der Aufschrift „Nein zu Euthanasie und Abtreibung“. (Archivbild)

Der BVL selbst ruft dazu auf, „für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie einzutreten“. „Euthanasie“ bedeutet im griechischen Ursprung zwar „Sterbehilfe“ – in Deutschland werden damit jedoch nicht die im Juli gescheiterten Gesetzesreformen zum selbstbestimmten Sterben in Verbindung gebracht, sondern Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie bezeichneten damit die staatliche angeordnete Tötung von Menschen mit Behinderung oder schweren Erkrankungen zwischen 1933 und 1945, in ihrer Auffassung „unwertes Leben“.

Lebensrechtler protestieren zudem regelmäßig vor Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche oder Beratungsstellen, die „pro Choice“ eingestellt sind. Im November 2022 dokumentierte RIAS bei zwei solcher Versammlungen erneut Antisemitismus: Vor einem Beratungszentrum in Saarbrücken seien von einem Redner „die Opfer der Schoa mit abgetriebenen Föten“ gleichgesetzt worden. In Dortmund nutzten Teilnehmende einer Mahnwache vor einer Klinik den Begriff „Babycaust“. Ein Banner mit dem Begriff konfiszierte die Polizei – gegenüber einem Reporter der „Ruhr Nachrichten“ behauptete einer von ihnen, dass Abtreibungen schlimmer als der Holocaust seien.

Laut Pro Familia sei es in Köln bislang nicht zu regelmäßigen Protesten dieser Art gekommen. Die Ampel-Regierung will diese sogenannte „Gehsteigbelästigung“ zur Ordnungswidrigkeit machen – was wiederum den Lebensrechtlern sauer aufstößt.

Abseits von Demonstrationen sind antisemitische Vergleiche in der Lebensrechtsbewegung durchaus auch keine Seltenheit. So gibt es die einschlägige Webseite „babycaust.de“, auf der Schwangerschaftsabbrüche als die Steigerung des Holocausts bezeichnet werden. 2018 machte eine Buchhandlung in der Kölner Innenstadt mit einem dekorierten Schaufenster auf sich aufmerksam: Gezeigt wurde das KZ Auschwitz, gepaart mit der Aufschrift „Abtreiben macht frei“ sowie dem Hinweis auf die einschlägige Webseite „Kindermord.org“.

AfD unterstützt „Marsch für das Leben“ – Rückendeckung für Kölner CDU-Parteichef

Trotz dieser Kritikpunkte hat der „Marsch für das Leben“ weiterhin prominente Befürworter – auch aus Köln: Karl Mandl, Parteichef der Kölner CDU, bewarb sie als eine „Demo mit berechtigten Anliegen“. Der Politiker könne sich sogar vorstellen, selbst am Samstag in Köln mitzulaufen. Mandl wird dafür kritisiert – nicht nur von den Grünen, sondern auch aus der eigenen Partei.

Die Linke in Köln lehnt den Marsch sowie die Haltung Mandls ebenfalls entschieden ab. Man verurteile „die fehlende Distanzierung des Kölner CDU-Vorsitzenden Karl Alexander Mandl von der Veranstaltung auf das Schärfste“, heißt es in einem Schreiben. „Die Agenda des Marsches für das Leben stellt für uns einen absolut inakzeptablen Eingriff in die eh schon eingeschränkte Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper dar“, so Nadine Mai, Kreissprecherin der Linken.

Beatrix von Storch (2.v.r., AfD), AfD-Bundestagsabgeordnete, nimmt am „Marsch für das Leben“ in Berlin im Jahr 2020 teil.

Beatrix von Storch (2.v.r., AfD), AfD-Bundestagsabgeordnete, nimmt am „Marsch für das Leben“ in Berlin im Jahr 2020 teil. (Archivbild)

Rückendeckung bekommt Mandl von der AfD. Das überrascht nicht, denn in den vergangenen Jahren nahmen neben Politikerinnen und Politikern von der CDU/CSU auch von der AfD am „Marsch für das Leben“ teil – zum Beispiel Beatrix von Storch.

Die Kölner AfD begrüßt die Demonstration und „das Engagement für den Schutz des ungeborenen Lebens“. Es entspreche den „Forderungen nach einer Willkommenskultur für Babys“, so Iris Dworeck-Danielowski, frauenpolitische Sprecherin der Kölner AfD. Christer Cremer, Kölner AfD-Sprecher, schätzt zudem „die Emanzipation der Kölner CDU vom linksgrünen Zeitgeist und die Rückkehr zu einer konservativen Politik“.

Kardinal Woelki verfasst Grußwort für Pro-Life-Demo – Erzbistum Köln distanziert sich von „Parteien und radikalen Gruppierungen"

Auch Kardinal Woelki sowie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Georg Bätzing, sind dem „Marsch für das Leben“ wohlwollend eingestellt. Sie verfassten beide im vergangenen Jahr Grußworte. Beide werden es in diesem Jahr wieder tun, heißt es vom Erzbistum Köln.

„Der Schutz des menschlichen Lebens in allen Stadien ist für Christen ein hohes Gut, das nicht nur gegenwärtig einer besonderen Aufmerksamkeit und Unterstützung bedarf“, schreibt das Erzbistum auf Nachfrage zu den Kritikpunkten. „Diese starke religiöse Motivation“ könne durch „Parteien und radikale Gruppierungen, von denen sich die Kirche deutlich distanziert, vereinnahmt werden“ – was die Deutsche Bischofskonferenz und das Erzbistum aber ablehnen.

Auch die Organisatorin Alexandra Linder weist die Vorwürfe zurück: Es gebe leider einige wenige in der Lebensrechtsbewegung, deren Position man in keiner Weise teile, sie könnten sich auch unter den Teilnehmenden der Demonstration befinden. Seitens des BVL jedoch nicht. „Insofern besteht überhaupt kein Anlass, unseren Verband oder unsere Veranstaltung in dieser Hinsicht kritisch zu betrachten“, so Linder.

Nimmt man die Beteiligung von rechten oder christlich-fundamentalistischen Gruppen beiseite, bleiben jedoch diverse Behauptungen der Lebensrechtler, die durchaus kritisch zu betrachten sind. Zum Beispiel, dass ein menschliches Leben direkt mit der Zeugung beginnt und Föten bereits früh Schmerzen empfinden können. Die Wissenschaft sieht das anders: Erst im dritten Trimester sei ein ungeborenes Baby wach und könne Reize wie Schmerzen wahrnehmen, so etwa das Ergebnis einer Studienzusammenfassung aus dem Jahr 2005.

Sowohl der „Marsch für das Leben“ als auch der große Gegenprotest vom „Bündnis Pro Choice“ versammeln sich am Samstag um 13 Uhr am Heumarkt. Von dort laufen sie auf denselben Routen nacheinander durch die Innenstadt, beide sollen gegen 16 Uhr vorbei sein.