Die Kölner Staatsanwältin Anja Heimig will den Reemtsma-Entführer Thomas Drach für lange Zeit im Gefängnis sehen. Sein Verteidiger hingegen fordert Freispruch.
„Ein skrupelloser Berufsverbrecher“Kölner Staatsanwältin fordert lange Haftstrafe für Thomas Drach
Ein „skrupelloser Berufsverbrecher“, der seinen eigenen Vorteil über alles andere stellt. So charakterisierte die Kölner Staatsanwältin Anja Heimig am Mittwoch den Reemtsma-Entführer Thomas Drach, bevor sie für den 63-Jährigen eine drastische Strafe forderte. Für drei Raubüberfälle auf Geldboten soll Drach für 15 Jahre ins Gefängnis und anschließend in die Sicherungsverwahrung. Das kommt einer lebenslangen Haftstrafe, die als Höchststrafe ebenfalls möglich wäre, sehr nahe.
Staatsanwältin bewertet Schüsse auf Geldboten als versuchten Mord
Zwar gebe es keine „rauchende Kanone“, mit der Drach etwa auf frischer Tat erwischt worden sei, kein ganz klares Beweismittel, sagte Anklägerin Heimig, „sondern eher ein Puzzle mit 1000 Teilen“. Aber wenn man die Vielzahl von Indizien zusammensetze, dann ergebe sich in der Gesamtschau ein ganz rundes Bild. Zumindest in drei der vier angeklagten Fälle sei Drach klar überführt. Nur für den Überfall im hessischen Limburg an der Lahn gelte das nicht, hier beantragte Heimig einen Freispruch.
Als schweren Raub in Tateinheit mit versuchtem Mord wertete die Staatsanwältin die Raubüberfälle am Flughafen Köln/Bonn und bei IKEA in Frankfurt am Main im Jahr 2019, bei denen auf Geldboten geschossen wurde. Am Airport hatte sich das Opfer aufgrund neuer Hüftgelenke nicht schnell genug hinlegen können. „Drach interpretierte das offenbar als Widerstand, daher schoss er“, sagte Heimig. Die Kugel traf die Beine des Geldboten und zerfetzte einen Knochen. Eine Not-Operation war nötig.
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Kölner Staatsanwältin: Beinahe zwölfjährigen Jungen in Auto getroffen
In Frankfurt habe Drach ebenfalls das Bein eines Geldboten getroffen und mit einem Querschläger beinahe noch einen zwölfjährigen Jungen. Das Projektil blieb in einer Autotür hängen. „Es war purer Zufall, dass niemand getötet wurde“, sagte Heimig. Thomas Drach sei das Schicksal seiner Opfer, die bis zuletzt auch psychisch sehr unter den Folgen gelitten hätten, völlig egal gewesen. Die Männer hätten danach einen Behindertenausweis erhalten und nicht mehr in ihrem Job arbeiten können.
Eindeutige Verbindungen zu verschiedenen Fluchtwagen, eine DNA-Spur an einem geklauten Kennzeichen und vor allem die Auswertung von Überwachungsvideos ergäben laut Staatsanwältin ein stimmiges Gesamtbild. Nur Thomas Drach komme als Haupttäter in Betracht, das gelte auch für den Überfall auf einen Geldtransporter auf dem IKEA-Parkplatz in Köln-Godorf im März 2018. Drach habe eine Beute von rund 140.000 Euro gemacht. Die müsste er zumindest theoretisch zurückzahlen.
Auch „Watschelgang“ soll Thomas Drach überführen
Heimig beschrieb Drachs sogenannten „Watschelgang“ und sagte: „So wie er läuft, so läuft kein zweiter.“ Er hätte sich ja auch selbst verraten. So habe er einem Mithäftling in der JVA Köln-Ossendorf über die Überwachungsvideos gesagt: „Das sieht doch ein Blinder, dass ich das bin“. Dem Kronzeugen gegenüber habe Drach drei der angeklagten Überfälle eingeräumt. Den Zeugen, den Drach einen Junkie und Lügner nannte, bezeichnete die Staatsanwältin als absolut glaubhaft.
Heimig begründete ihren Antrag auf Sicherungsverwahrung damit, dass Thomas Drach für die Allgemeinheit gefährlich sei. Aus mehr als 25 Jahren seines Lebens im Gefängnis habe dieser nichts gelernt. „Er hat sich nicht lange mit Kleinkram aufgehalten und das Verbrechen zu seinem Beruf gemacht“, sagte die Staatsanwältin. Drach träume von einem Leben im Luxus, ein normaler Job sei für ihn nie eine Option gewesen: „Gesellschaftliche Werte übergeht er, wenn er seinen Vorteil sieht.“
Köln: Verteidiger von Thomas Drach fordert einen Freispruch
Verteidiger Andreas Kerkhof entgegnete, dass sich der Vortrag der Staatsanwältin „wie ein spannender Krimi“ anhöre, der mit der Realität aber nichts zu tun habe. Die vorhandenen Indizien seien nicht für eine Verurteilung zu gebrauchen. Die Gutachter hätten sich auf den „Watschelgang“ seines Mandanten eingeschossen, dabei liefen in ganz Europa wahrscheinlich 60 Millionen Menschen mit solchen X-Beinen herum. Man wisse doch nicht mal, ob die Täter männlich oder weiblich waren.
Überspitzt sagte Kerkhof, dass hier womöglich die Komikerin Cindy aus Marzahn auf der Anklagebank gesessen hätte, wenn der Täter rosa Kleidung getragen hätte. Der Verteidiger beantragte einen Freispruch. Kerkhof hielt sein Plädoyer mit Inbrunst, obwohl Thomas Drach ihm jüngst das Vertrauen entzogen und ihn beschimpft hatte. Drach wollte den Verteidiger loswerden – einen entsprechenden Antrag hatte der Vorsitzende Richter Jörg Bern aber kurz vor den Schlussvorträgen zurückgewiesen.
Am 4. Januar wird der Prozess mit dem sogenannten letzten Wort des Angeklagten Drach fortgesetzt – dann ist der 100. Verhandlungstag erreicht und das Urteil kann fallen. Es wäre das von Justiz-Mitarbeitern und Anwohnern lang ersehnte Ende des Mammut-Prozesses, der mit viel Polizei jedes Mal für Straßensperrungen und Verzögerungen sorgt. In kleinem Rahmen wird dann noch gegen Drachs mutmaßlichen Komplizen verhandelt. Den sieht die Staatsanwältin ebenfalls als überführt an.