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Kölner Feuerwehrmann berichtet„Diese Aggressivität war schon schockierend“

Lesezeit 7 Minuten
Jörg Nießen

Hauptbrandmeister Jörg Nießen

  1. In unserer Serie „Helfer in Bedrängnis“ berichten Einsatzkräfte von ihren Erlebnissen. Heute: Hauptbrandmeister Jörg Nießen, der seit fast 25 Jahren bei der Kölner Feuerwehr beschäftigt ist, sowohl im Rettungsdienst, als auch im Brandschutz.
  2. Er spricht unter anderem darüber, wie er mit einem Revolver bedroht wurde und warum er heute anders in Einsätze geht als vor 30 Jahren.

KölnHerr Nießen, bei der Feuerwehr brauchte man schon immer ein dickes Fell, nicht erst seit Corona und nicht erst, seitdem Sie und Ihre Kollegen mit Übergriffen zu tun haben. Sind Sie mit einem dicken Fell auf die Welt gekommen?

Jörg Nießen: Zumindest hatte ich es spätestens, als ich Feuerwehrmann wurde. Zwar gibt es Kollegen, die erst bei uns einen Reifeprozess durchmachen, aber zu denen habe ich nicht gehört. Das war auch besser so, denn wir backen ja keine Plätzchen im Rettungsdienst. Es gibt Einsätze, bei denen wir schon vorher wissen, dass der Ton rau sein wird. Da darf man nicht völlig dünnhäutig in die Situation reingehen, nicht in der heutigen Zeit.

Woran denken Sie da?

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Nehmen wir eine Wochenendprügelei auf den Ringen. Alkohol, enthemmte Jugendliche, der Klassiker. Da war früher ausgeschlossen, dass man als Sanitäter selbst in die Schlägerei verwickelt oder Teil des Ärgers wird. Heute kann uns genau das passieren. Sowohl körperlich, als auch verbal. Gewalt ist vielfältig. Deshalb müssen wir den Eigenschutz mehr im Fokus haben als früher.

Was heißt das konkret?

Dass wir versuchen, Abstand zu halten, das Eintreffen der Polizei abzuwarten, wenn nötig. Wenn ein Verletzter vor mir liegt, entspricht das aber nicht meinem Naturell als Sanitäter. Ich will der Person ja helfen, statt zu warten.

Dass Sie anders in Einsätze gehen als früher, hat also mit Erfahrungen von Gewalt gegen Einsatzkräfte zu tun, die es so früher nicht gab. Was hat sich für Sie geändert?

Ich muss heute einfach mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als früher davon ausgehen, bepöbelt oder bespuckt zu werden. Als ich vor 23 Jahren bei der Feuerwehr angefangen habe, konnte ich mich noch darauf verlassen, mit einer roten Hose grundsätzlich zu den Guten zu gehören, nicht Teil des Ärgers zu werden. Wenn ich heute mit einer solchen – inzwischen ja rot-gelben – Hose in eine kritische Einsatzlage hineinkomme, kann ich mich darauf eben nicht mehr verlassen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass vor 30 Jahren Übergriffe gegen Einsatzkräfte kein Thema in der Öffentlichkeit waren. Seitdem man mit einem wacheren Auge draufschaut, stellen wir diese Tendenz fest. Ich fahre nach wie vor nicht mit Angst zum Dienst. Aber es ist jetzt Teil meines Berufs, mich damit auseinanderzusetzen. Im Moment gelingt mir das ganz gut.

Wie gelingt Ihnen das?

Das fängt mit einem gesunden sozialen Umfeld an, mit Kollegen und einer Hierarchie, die hinter einem stehen. Dann hat man nicht das Gefühl, mit solchen Situationen alleine gelassen zu werden. Als ich angefangen habe, wurden solche Vorfälle noch bagatellisiert. Heute haben wir Meldewege, über die ich Angriffe anzeigen kann, es gibt psychosoziale Unterstützung für diejenigen, die es ohne nicht mehr schaffen. Nicht nur in Bezug auf Gewalt, sondern auch in Bezug auf traumatische Einsätze mit Schwerverletzten oder Toten.

Es gibt aber bestimmt auch Kollegen, bei denen das anders ist und sich auch nicht mehr ändert. Die kein dickes Fell haben und die irgendwann sagen müssen, dass die Feuerwehr nicht der richtige Ort für sie ist.

Ohne Frage, aber Rettungsdienst und Feuerwehr haben sich auch verändert in den letzten Jahren. Wir stellen heute erheblich jüngere Menschen ein als früher. Ein Teil dieser Menschen ist womöglich mit einer anderen Erwartungshaltung in den Beruf eingestiegen als wir damals. Unser Alltag ist eben nicht, dass wir jeden Tag einen Menschen retten oder mit Säugling im Arm aus einem brennenden Haus laufen. Das ist eine romantisierte Vorstellung. Wenn dann auch noch das Umfeld belastend auf die Kollegen einwirkt, zum Beispiel durch Respektlosigkeiten oder Übergriffe, kann das eigene Fass schon mal volllaufen. Dann zweifelt man an seinem Beruf. Deshalb muss man dafür sorgen, dass aus diesem Fass immer wieder etwas rausgeschöpft wird, damit es nicht nach zehn Jahren überläuft. Ich nenne das „psychische Hygiene“. Man kann nicht 30 Jahre bei der Feuerwehr arbeiten, ohne sich um sich selbst zu kümmern.

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Wenn Sie ein Jugendlicher nachts auf den Ringen beleidigt, tut er das wahrscheinlich nicht, weil er Sie als Person nicht mag. Der kennt Sie ja gar nicht. Vermutlich meint er Sie als Sanitäter, vielleicht als Amtsträger oder Autoritätsperson. Gelingt Ihnen die Transferleistung, das voneinander zu trennen und nicht an sich heranzulassen?

Das ist ein Lernprozess. Aber die Transferleistung ist eher folgende: Wenn mich ein psychisch Erkrankter aufgrund seiner Erkrankung beleidigt oder womöglich angreift, dann muss ich professionell damit umgehen. Wenn ich es mit Leuten zu tun habe, die betrunken oder einfach nur dreist, unverschämt und arrogant sind, ist das etwas anderes. Die kennen mich natürlich nicht, aber haben dennoch nicht das Recht, mich zu beleidigen und anzuspucken. Wenn ich mit dem Rettungswagen eine enge Straße zuparke, weil ich keine andere Möglichkeit habe, die Einsatzstelle zeitnah zu erreichen, und dann bedrängt und bedroht werde, fehlt mir jedes Verständnis.

Was ist da genau passiert?

Das war Anfang der 2000er, in der uns ein Autofahrer, der sich als Rechtsanwalt zu erkennen gab, aufs Übelste angegangen hat, weil wir mit dem Rettungswagen eine Straße blockiert haben, die dann gesperrt wurde. 200 Meter weiter haben wir gerade einen Schwerverletzten aus seinem Auto geholt. Dass wir auf Schadensersatz verklagt werden, rief der Anwalt uns zu und ob wir denn wüssten, wie hoch sein Stundenlohn sei und so weiter. Dem Mann konnte ich auch nicht helfen. Die Aggressivität, mit der er uns seinen Unmut mitgeteilt hat, war schon schockierend. Und wenn genau die Person zwei Tage später in der gleichen Situation wäre und mit einem Herzinfarkt im Sessel sitzt, würde er von seinem Umfeld höchstwahrscheinlich einfordern, dass alle mal zwei Minuten Geduld haben. Da wird die Transferleistung, von der wir eben sprachen, eben nicht erbracht.

Ist Ihnen damals zum ersten Mal aufgefallen, dass sich etwas verändert hat?

Schon, aber bestimmt genauso einschneidend war ein Einsatz, bei dem ich mit einer Waffe bedroht wurde. Die stellte sich zwar hinterher als Schreckschusspistole heraus, war aber in der Dämmerung nicht als solche von einer scharfen Waffe zu unterscheiden. Das war in Ehrenfeld, eine Frau wurde von ihrem Ehemann angegriffen. Wir kamen noch vor der Polizei an und auf der Straße spielten sich tumultartige Szenen ab. Wir wollten die Frau in unserem Rettungswagen in Obhut und aus der Schusslinie nehmen. Der Lebensgefährte schätzte die Situation aber anders ein und wollte nicht, dass seine Frau in eine sichere Umgebung kommt. Dann zog der Mann seinen Revolver und fuchtelte damit vor mir rum. Ich habe versucht, hinter dem Rettungswagen in Deckung zu gehen, wobei ich nicht wusste, ob er die Schüsse im Zweifelsfall wirklich wird abhalten können. Dann kam zum Glück die Polizei und löste die Situation auf.

Haben Sie für sich eine Erklärung dafür gefunden, warum sich die Gesellschaft so entwickelt hat?

Ich bin kein Psychologe, aber es gibt sicher seit einigen Jahren eine gesellschaftliche Verrohung, eine breite Ablehnung gegen die Obrigkeit und alles, was mit empfundener staatlicher Autorität zu tun hat. Da reicht es eben manchmal, wenn man Uniform trägt, auch wenn ich mich nicht als Teil der Exekutive empfinde, bloß weil ich Sanitäter bin. Man muss aber auch sagen, dass früher schon mangels technischer Ausrüstung niemand auf die Idee kommen konnte, an einer Unfallstelle ein Video von schwer verletzten oder sterbenden Menschen zu machen und auf Youtube zu posten. Das hat erst in den vergangenen Jahren eingesetzt.

Merken Sie dennoch im Zuge der Pandemie größere Wertschätzung Ihrem Beruf gegenüber?

In gewissen Kreisen ja. Ich freue mich über Leute, die für Mitarbeiter im medizinischen Bereich geklatscht haben und ich denke nicht, dass das ein Strohfeuer war. Aber ich glaube, auch wenn die Feuerwehr in der Pandemie einiges geleistet hat, gilt die Solidarität insbesondere den Pflegeberufen. Das muss sich aber auch bald mal in höheren Löhnen äußern. Die Pflegerin hat ja recht, wenn sie sagt, dass vom Klatschen ihr Kühlschrank nicht voll wird. Und die zahlt mit ihren 1200 Euro netto in Köln den gleichen Mietspiegel wie der hochbezahlte Anwalt, der uns im Einsatz bepöbelt. Das ist absurd.