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FFF-Demo in KölnGeneration Greta erobert die Welt

Lesezeit 9 Minuten
200919FridayforFuture15

Tausende Menschen demonstrierten in Köln für das Klima.

  1. Eine bunte Menschenmasse demonstrierten in Köln am Freitag fürs Klima.
  2. Selbstbespiegelung, Desinteresse, Narzissmus – Jugendliche mussten sich jahrzehntelang anhören, mit ihnen sei nichts los. Nun demonstrierten 70.000 Menschen – mit Vätern und Müttern.
  3. Können sie die Erde retten?

Köln – Wie immer an großen Demo-Tagen hat sich Fabio de Gennaro ein rotes Band um seinen Kopf gebunden. Mit Funkgerät am Gürtel und Knopf im Ohr steht er am Freitagvormittag vor dem DGB-Haus am Hans-Böckler-Platz. Auf seinem Pullover pappt ein selbst geschriebener Zettel mit dem Wort „Presse“. Der 15 Jahre alte Aktivist der Kölner Ortsgruppe von „Fridays for Future“ (FFF) ist heute Ansprechpartner für die Medienvertreter. „Ich bin unfassbar überwältigt“, sagt er. „So viele Menschen hätte ich niemals erwartet.“

Vor ihm, auf der Venloer Straße, breitet sich eine bunte Menschenmasse aus, die sich in die Nebenstraßen drückt und auch weit hinein in den Grüngürtel. Schüler, Lehrer, Eltern mit Kleinkindern, Senioren – alle sind da. Der Zug ist in Blöcke aufgeteilt: FFF, Anti-Rassismus, Anti-Militarismus, Anti-Kapitalismus, Klimagerechtigkeit, Feminismus, Gewerkschaften und – ganz am Schluss – die Parteien. Die Politiker sollen erst gar nicht in Versuchung kommen, ihre Fahnen in der Aktivisten-Schar zu schwenken. „Wir sind überparteilich, und so soll es auch bleiben“, sagt Fabio.

Aus den Boxen des Lautsprecherwagens dröhnt eine der Hymnen zum Klimaprotest: „The Final Countdown“ von Europe. Ein paar Meter weiter haben sich in Kostümen die „Pappnasen Schwarz-Rot“ aufgestellt, eine Gruppe gealterter Attac-Veteranen und Aktivisten aus der Friedensbewegung.

Fabio erhält erste Rückmeldungen von den FFF-Demos von Münster bis Sydney. Rasant rollt der globale Demozug. „In der ganzen Welt geht der Punk ab.“Allein in Köln sollen laut FFF 70.000 Menschen auf der Straße sein, in Berlin sollen es sogar 270 000 sein. Für die junge Klimabewegung ist der 20. September 2019 ein weiterer Tag für die Geschichtsbücher. Vielleicht sind die Schüler am Freitag der Rettung der Welt einen Schritt näher gekommen.

Nächtelange Diskussionen

Am 15. März hat Fabio das erste Mal demonstriert, seitdem hat er fast sein ganzes Leben dem Dienst am Weltklima untergeordnet. Nächtelang sitze er an Rechner und Handy, schreibe Nachrichten in die WhatsApp-Gruppen. Immer sonntags diskutieren die Delegierten der mittlerweile 500 Ortsgruppen in einer Telefonkonferenz die nächsten Aktionen. „Da wir konsensorientiert und basisdemokratisch arbeiten, erfordert das höchste Disziplin“, sagt Fabio. Zum Sport kommt er nicht mehr, das Trompetespielen ruht.

Fast jeden Freitag bestreikt er die Schule und setzt sich auf den Alter Markt. Die FFF-Agenda kann er runterbeten wie gepaukte Vokabeln, die mittlerweile richtig gut sitzen: Auf der einen Seite Industrieländer, die für ihr Wirtschaftswachstum Unmengen CO2 in die Luft blasen. Auf der anderen Seite Kontinente wie Afrika, die als Erste unter den Emissionen zu leiden haben. Das Ziel: Eine Begrenzung der globalen Klimaerwärmung auf 1,5 Grad, so wie 2015 im Pariser Abkommen beschlossen. Sollte das nicht gelingen, droht der Erde der Klimakollaps – Dürren, Brände, Hochwasser, Kriege um Wasser und Nahrung, Millionen Menschen auf der Flucht.

Teenager sind zu den Anführern einer globalen Mission geworden, die kompromisslos ein moralisch scheinbar unanfechtbares Ziel verfolgt: Die Rettung der Erde. Ist hier eine Generation aufgewacht, die das Potenzial hat, die gesamte westliche Lebensweise umzukrempeln?

Wer Greta Thunberg, die Vorreiterin der Bewegung, bei einer ihrer Reden beobachtet, kann sich ihrer Überzeugungskraft schwer entziehen. Erhaben wirkt sie, ernsthaft, manchen gar heilig. Die Haare zu Zöpfen geflochten, der Blick kindlich, aber auch spöttisch. Ihrem zierlichen Körper scheint fast schon radikaler Idealismus innezuwohnen.

Am 20. August 2018 setzte sie sich allein vor das Parlament in Stockholm. In ihren Händen hielt sie ein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift: „Schulstreik für das Klima“.

Ein Jahr später ist Greta Thunberg längst eine Jeanne d’Arc der Klimabewegung geworden. Die 16-Jährige eilt von einer Konferenz zur nächsten, sie fliegt nicht, sie fährt mit dem Zug oder segelt – wie kürzlich – über den Atlantik nach New York. Bald soll sie beim UN-Klimagipfel sprechen, in der Zwischenzeit hat sie vor dem Weißen Haus demonstriert, die Obamas getroffen, und den Menschrechtspreis von Amnesty International entgegengenommen. In ihrem Buch schreibt die Mutter, Greta könne das unsichtbare CO2 sehen. Das Mädchen sagt in einem Interview mit Anne Will, es sei auch der bei ihr diagnostizierte Asperger-Autismus, der sie befähige, sich ohne Kompromisse für diese eine Sache einzusetzen.

„I want you to panic“, sagte Thunberg einmal, es ist einer ihrer berühmtesten Sätze. Sie will nicht, dass länger diskutiert wird, sondern dass die Entscheider, angesichts einer drohenden Klimaapokalypse, in Panik geraten und handeln.

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Tausende Menschen demonstrierten in Köln für das Klima.

Seit dem ersten Erscheinen Gretas in der Öffentlichkeit entwickelte sich FFF wie ein Schneeballsystem. Tausende Schüler belagern seither freitags während der Unterrichtszeit die Innenstädte. Am Anfang spotteten viele: Es sind doch nur Kinder.

Schafft die Bengel wieder in die Klassenzimmer, lernen sollen sie. Nicht selbst denken und die Ordnung durcheinanderbringen. Überhaupt: Nicht Teenager sollten sich um die Klimarettung kümmern, sondern Profis, sagte FDP-Chef Christian Lindner, der seine Aussage nach Protesten inzwischen leicht korrigiert hat. Und dann legt ein Youtube-Video kurz vor der Europawahl im Mai plötzlich die Hilflosigkeit des Berliner Politikbetriebes im Umgang mit der Protestbewegung offen: Eine Stunde lang referierte der Wuppertaler Rezo die Erkenntnisse der Wissenschaft, welche die FFF-Aktivisten wie eine Bibel aufschlagen und zu jeder Frage die Antwort liefern.

Ganz nebenbei zerlegte er die CDU. Die Union reagierte mit einem blutleeren Papier, in dem sie Rezo Propaganda unterstellte. Ein PR-Desaster. Und gleichzeitig kommt sie dann doch auf, die Panik, die Thunberg forderte, wenn auch aus anderen Gründen: Die Wucht, mit der die Protestbewegung das Parteiensystem durcheinanderwirbelt, begeistert die einen und erschreckt die anderen.

Die Smombies stehen auf

Wer die Protestbilder sieht, kommt nicht umhin, sich an die Rebellion der 68er zu erinnern. Wütende Studenten, die sich wehrten gegen ihre Naziväter, gegen autoritäre Strukturen und den Kleingeist. Seither mussten Generationen über Generationen von Jugendlichen die Klage über sich ergehen lassen, mit ihnen sei nun wirklich nichts mehr los. Selbstbespiegelung, Narzissmus, Desinteresse statt Revolte und politisches Engagement. Millennials, Generation Z, iGen – alles ambitionslose Schlafmützen.

Smombies. Viel zu sehr beschäftigt mit virtuellen Smartphone-Welten als sich um sowas Analoges wie die Natur zu scheren. Und jetzt plötzlich: Die Jugend steht auf. Sie hat Träume, Ängste, Forderungen. Und sie hat schon viel erreicht. Sie hat zum Beispiel ihre Eltern überzeugt. Und das, obwohl die Generation Greta ihnen nicht weniger als Totalversagen vorwirft: Ihr habt unsere Zukunft auf dem Gewissen.

In Köln ist Kim Rabe zum Streik gekommen. Ihr Baby hat sie sich um den Bauch gebunden, es trägt Ohrenschützer: „Ich finde es wichtig, dass aus dem Streik eine breite gesellschaftliche Bewegung wird.“ Parents for Future melden darum beginnend ab dem 4.10. eine zusätzliche Demo freitagabends an. Auf der Straße sind aber auch Grandparents, Scientists, Entrepreneurs, Lawyers for Future. Die Vereinigung aus 15 Kölner Anwälten hat Strafanzeige gegen Mitarbeiter von RWE gestellt.

Die Anschuldigungen wiegen schwer. „Die Beschuldigten sind verdächtig, zahllose Menschen getötet und zukünftige Tötungen in die Wege geleitet zu haben“, heißt es in der Anzeige. Einer der Initiatoren sagt: „Wir denken, dass die Emission gigantischer Mengen von klimaschädlichem CO2 ein Menschheitsverbrechen darstellt.“

IPhone für Umweltschützer

Und auch die Wirtschaft zieht in Teilen nach. Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich glaubt, dass einige Firmen erkannt hätten, dass das Thema Nachhaltigkeit neue Märkte eröffnen könne. „Bei vielen Menschen hat ein Umdenken eingesetzt.“ Kultmarken wie Apple hätten die Möglichkeit, neue Wege zu gehen. „Ein iPhone bekommt nicht mehr derjenige, der es sich leisten kann, sondern derjenige, der sich beispielsweise 100 Stunden für die Umwelt eingesetzt hat.“

Das wäre ganz im Sinne der Bewegung, der es längst nicht mehr nur um schmelzende Polkappen geht. „Wir stellen die Systemfrage“, sagt Fabio. Der Mensch müsse immer Vorrang haben vor Profit und Geld.

Trotz der Lautstärke, mit der FFF für eine gerechtere Welt kämpft, werden die Klimaretter längst nicht von allen gern gehört. Da gibt es die finanziell schlechter Gestellten, die fürchten, dass ihnen bald der Billigflug nach Mallorca weggenommen werden könnte.

Auch Dieter Rucht vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin warnt vor einer Verklärung. „Es wäre verfehlt zu sagen, dass da eine ganze Generation auf der Straße ist“, sagt der Soziologe. Rucht hat eine Umfrage unter Aktivisten durchgeführt. Das Ergebnis: FFF-Anhänger sind bildungsnah, haben überwiegend ein akademisches Umfeld und zählen sich zu mehr als 60 Prozent zur oberen Mittelschicht. Bernhard Heinzlmaier, Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, kommt in einer noch unveröffentlichten Studie zur FFF-Bewegung in Österreich zu einem ähnlichen Ergebnis.

Befragt hat er Personen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren. Demnach wüsste die Hälfte der Teilnehmer aus der mittleren und niederen Bildungsschicht nicht einmal, dass es FFF gibt. Auch in Köln scheint es ein soziales FFF-Gefälle zu geben. Während viele Gymnasien und Gesamtschulen Ausflüge zur Demo organisiert haben, nehmen von fünf Hauptschulen, bei denen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nachgefragt hat, fünf nicht teil.

Heinzlmaier macht dafür auch den Alarmismus verantwortlich. „Mit Panikmache erreicht man die Menschen nicht“, sagt er. „In solchen Fällen setzt ein Verdrängungsmechanismus ein, die Leute lassen das nicht an sich ran.“ Er kommt zu einem fast schon vernichtenden Urteil: Die Aktivisten seien Menschen, die in Ermangelung echter Probleme zu „idealistischem Handeln, zu utopischen Weltentwürfen und Weltrettungsfantasien neigen. Ein typisches Merkmal der Pubertätskrise."

Auch Soziologe Rucht zweifelt daran, dass FFF sein hohes Mobilisierungsniveau halten kann: „Die schiere Wiederkehr der immer selben Protestform wird Medien und Publikum ermüden.“ Dann aber beginne die Arbeit. „Es wird sich zeigen, wie viele Aktivisten nach dem Abebben ihr Engagement in Organisationen wie Greenpeace oder dem BUND weiterführen. Dort nämlich wird die alltägliche politische Arbeit verrichtet und das ist hartes Brot.“

Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich warnt gar vor einer Negativwirkung, die der moralische Eifer der Bewegung auslösen könnte. Sollten die Aktivisten zu selbstgerecht und moralisch überlegen auftreten, könne das zu einer Trotzreaktion, einem „Rebound-Effekt“ führen. „Dann kauft sich etwa jemand nur deshalb einen SUV, weil er sich nicht bevormunden lassen will.“

So etwas könne das gesellschaftliche Klima vergiften und zu Machtkämpfen zwischen den Milieus führen. Vielleicht ist der ja sogar schon eingetreten: Die Zahl der Neuzulassungen von SUVs hat 2018 mit einem Plus von 20 Prozent eine Rekordmarke erreicht, die Deutschen fliegen so viel wie nie zuvor, die Kreuzfahrtbranche boomt.

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Vor einigen Tagen hat der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Frantzen im Magazin „New Yorker“ einen Essay veröffentlicht. Die Menschheit müsse sich eingestehen, dass es zu spät sei, die Klima-Apokalypse noch abzuwenden. Das Geld müsse genutzt werden, um sich auf die Folgen vorzubereiten.

Diesem Fatalismus will sich Fabio nicht hingeben. „Es ist noch nicht zu spät“, sagt er. Fabio di Gennaro zweifelt nicht: „Wir werden solange weitermachen, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.“