Köln – Worte der Reue fallen gleich zu Beginn des Revisionsprozesses gegen die Raser vom Auenweg: Er entschuldige sich "vielmals" bei den Eltern der getöteten Miriam Scheidel für das, was er ihnen angetan habe, liest der Angeklagte Erkan F. (25) von einem Blatt ab. Er spricht leise, etwas undeutlich. Er habe die Beherrschung über seinen Wagen verloren, damals im April 2015 auf dem Auenweg in Deutz, als sein BMW in einer Kurve bei hoher Geschwindigkeit ins Schleudern geraten und gegen die Radfahrerin Miriam Scheidel (19) geprallt war. Er, bekennt Erkan F., sei verantwortlich für ihren Tod.Auch der zweite Angeklagte, Firat M. (24), der in einem Mercedes direkt hinter F.s BMW her gerast war, liest eine Erklärung vor: Es tue ihm "unendlich leid", er würde "alles tun", um den Scheidels ihre Tochter zurückgeben zu können, ihr Tod sei "überflüssig" und "sinnlos" gewesen. Seine schriftliche Erklärung ist fehlerfrei verfasst, die Wortwahl will nicht so ganz zu seinem gesprochenen Deutsch passen. Ob er, Firat M., den Text selbst geschrieben habe, will der Vorsitzende Richter wissen. "Ja", antwortet der Angeklagte.
BGH hatte Kölner Urteil aufgehoben
Fragen des Staatsanwalts und des Nebenklage-Vertreters wollen beide Angeklagten nicht beantworten. Das ist ihr Recht. In der ersten Auflage der Verhandlung im Dezember, die wegen eines möglicherweise befangenen Schöffen nach dem ersten Verhandlungstag abgebrochen worden war, hatte zumindest Firat M. sich noch den Fragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gestellt. Diesmal antworten beide allein dem Richter.
In den drei anberaumten Verhandlungstagen steht ihre Bewährung auf dem Spiel, zu der sie das Landgericht Köln im April 2016 verurteilt hatte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob diesen Aspekt des Urteils auf, nun müssen beide damit rechnen, ihre Strafen von zwei Jahren (Erkan F.) beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten (Firat M.) womöglich doch noch im Gefängnis zu verbringen.
Vieles wird davon abhängen, wie die Angeklagten ihre Zeit nach der ersten Verurteilung im April 2016 genutzt haben. Ist ihre Begeisterung für schnelle Autos erloschen? Sind sie in festen Arbeitsverhältnissen? Haben sie einen stabilen Freundeskreis? Aber auch: Welche Auswirkungen hätte eine Bewährungsstrafe auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung?
Firat M. geriet als Beifahrer in Polizeikontrolle – Auto stillgelegt
Kontakt zu den alten Freunden habe er nicht mehr, betont Firat M. Er wisse jetzt, was man mit einem Auto anrichten könne, er sei ein "unerträglicher Beifahrer", bekomme Panik, wenn jemand zu schnell fahre. Er habe Fehler gemacht, sei aber inzwischen erwachsen geworden. Über den Richter will der Nebenklage-Vertreter, Strafverteidiger Nikolaos Gazeas, die Frage stellen lassen, ob Firat M. seit dem Unfall noch einmal in schnelle, getunte Autos eingestiegen sei. Der 24-Jährige will nicht darauf antworten.
Nach Recherchen des "Kölner Stadt-Anzeiger" hat er dies mindestens ein Mal getan - wenn auch nicht als Fahrer, sondern als Mitfahrer, was ihm nicht verboten war. Im August 2016, vier Monate nach der ersten Verurteilung und 16 Monate nach dem Unfall, geriet Firat M. am Neumarkt in eine Schwerpunktkontrolle der Polizei, die in jener Nacht explizit Temposündern galt. M. soll als Mitfahrer auf der Rückbank eines Mercedes gesessen haben, den die Beamten kurz darauf stilllegten - angeblich weil der Schalldämpfer manipuliert war.
Firat M. bei Facebook-Video verlinkt
Ob und wie ernsthaft Firat M. sich bis heute von seinem alten Umfeld und von sportlichen Autos distanziert hat, wird das Gericht bewerten müssen. Ein Video auf Facebook aus der Zeit nach dem tödlichen Unfall, über dem sein Name verlinkt ist und auf dem zwei hochwertige Sportwagen nachts durch die Stadt fahren, sei ihm bekannt, sagt Firat M. Er habe sich aber nicht in einem der Autos befunden. Zu erkennen ist Firat M. auf dem Clip tatsächlich nicht, es sind Stimmen zu hören, aber nicht seine, beteuert der 24-Jährige. Denjenigen, der das Video unter einem Decknamen gepostet und den Link erstellt hat, einen Bekannten, will er tags darauf erbost zur Rede gestellt haben.
Firat M. ist bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, montiert bei Ford die Sitze für den Fiesta zusammen, könne sich aber auch vorstellen, eine Ausbildung zum Lagerlogistiker zu machen. Ein erstes Bewerbungsgespräch habe es kürzlich gegeben - das Ergebnis wisse er noch nicht. Von den Medien als "Kölns Rowdy Nummer eins" abgestempelt worden zu sein, habe ihn "kaputt gemacht", sagt er. "Jeder hasst mich." Er traue sich nicht mal mehr, Menschen ins Gesicht zu sehen, benötige seit Jahren Tabletten, um einschlafen zu können.
Angeklagter suchte Psychologen auf
Hatte Firat M. im Dezember noch abgelehnt, einen Psychologen aufzusuchen, um nicht als "bekloppt" zu gelten, scheint ein Sinneswandel stattgefunden zu haben: Vor drei Wochen sei er erstmals zu einem Therapeuten gegangen - wohl auch auf Zureden seiner Mutter, die am Montag als Zeugin aussagte. Der Unfall habe die gesamte Familie psychisch stark belastet, schilderte die 50-Jährige. Als "Strafe" habe sie ihrem Sohn nach dem Unfall aufgetragen, sich in einem Flüchtlingsheim zu engagieren, um anderen zu helfen - was er auch zwei Jahre getan habe.
Vor allem in der ersten Zeit nach dem Unfall sei ihr Sohn häufig zu Hause gewesen. Sie habe zwischenzeitlich Angst gehabt, dass er sich etwas antue, erzählte die Mutter. Er hätte damals alles tun wollen, um das Geschehen "in Ordnung" zu bringen. Aus diesem Grund habe er sich auch entschlossen, einem Freund eine Niere zu spenden. "Ich wollte etwas Gutes tun, einen Menschen retten", sagte Firat M. vor Gericht. Aus Angst um ihren Sohn habe sie die Niere aber letztlich selbst gespendet, schilderte die Mutter. Nebenklage-Vertreter Gazeas kritisierte diese Einlassung als "vermeintlichen Akt der Barmherzigkeit". Die wahren Opfer des Unfalls, so Gazeas, säßen nicht im Zeugenstand oder auf der Anklagebank, sondern neben ihm - Mutter, Vater und Bruder von Miriam Scheidel.
FIrat M. soll Unfall als „nicht so schlimm“ bezeichnet haben
Ein ehemaliger Mitarbeiter des Ausländeramtes erinnerte sich als Zeuge, wie Firat M. ihn im Juli 2016 nach seinen Chancen für einen zweiten Einbürgerungsantrag gefragt habe; der erste war abgelehnt worden. Mit Verweis auf das Strafverfahren und die Verurteilung stünden die Chancen schlecht, habe er M. geantwortet, sagte der Beamte aus. "Das war doch nur ein Verkehrsunfall", soll Firat M. ihm entgegnet haben, "das war doch nicht so schlimm." Vor Gericht bestritt der 24-Jährige diese Aussage.
Erkan F. ist an einer Fachhochschule im fünften Semester für Maschinenbau eingeschrieben, sei aber wegen der psychischen Belastung durch den Unfall bislang nicht in der Lage gewesen, regelmäßig Vorlesungen zu besuchen oder Prüfungen abzulegen, schilderte er. Er leide bis heute unter Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten, habe 2016 eine Therapie gemacht. Viel Zeit habe er zu Hause verbracht, vor allem in den ersten Monaten nach dem Unfall. Erkan F. wohnt mit seiner Mutter und zwei älteren Schwestern zusammen. Seit einigen Monaten arbeitet er in der Bäckerei seiner Schwester. Er hoffe, dass er sein Studium ab April fortführen kann, sagte er. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.