- Der US-Amerikaner Kirk W. Junker (61), geboren in Pittsburgh, leitet den Lehrstuhl für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln.
- Wir haben anlässlich der US-Präsidentschaftswahl mit ihm gesprochen.
- Junker geht nicht davon aus, dass wir vor Freitag ein Endergebnis der Wahl haben — auch wenn Donald Trump bereits seinen Sieg verkündet hat.
Köln – Herr Junker, die Auszählung der Stimmen dauert auch am Mittwoch noch an. Wann ist Ihrer Meinung nach mit einem finalen Ergebnis zu rechnen? Kirk Junker: Das ist noch offen. In Pennsylvania wird es finale Ergebnisse nicht vor Freitag geben, in Georgia vielleicht am Donnerstag. Ich würde sagen: Vor Freitag haben wir kein Endergebnis der Wahl.
Werden denn die Kandidaten so lange abwarten? Donald Trump hat sich ja bereits am Mittwochmorgen faktisch zum Sieger erklärt.
Ich denke, dass es wieder so kommen wird wie nach den Wahlen von 2000. Es wird Klagen vor den Gerichten geben, um die noch offenen Auszählungen zu verhindern. Wie die Richter dann entscheiden, ist nicht sicher. Aber es gab allein in den letzten zwei Wochen mindestens zwei Fälle vor dem Supreme Court, in denen die Richter gerade nicht Trump-freundliche Entscheidungen getroffen haben. Man mag ja gerade nach der Ernennung von Amy Coney Barrett vor einer Woche glauben, dass alle Bundesrichter nur noch Marionetten von Donald Trump sind. Aber genau diese Richter haben, wie gesagt, zuletzt zwei Mal gegen ihn entschieden. Und ich habe die Hoffnung, dass die Gerichte die Rechtsstaatlichkeit doch ernster nehmen als etwa der Senat.
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Wenn aber nun erneut Wahlergebnisse von Gerichten überprüft werden müssen – ist das unabwendbar oder müsste das Wahlsystem nicht reformiert werden?
Hier sind Reformen wirklich notwendig. Es gibt den schönen Satz: „In der Demokratie sind die Wahlregeln bekannt, die Ergebnisse nicht. In der Diktatur gilt das Gegenteil.“ Und dass die Amerikaner jetzt schon wochenlang über die Wahlregeln gesprochen haben, dass sie die Regeln selbst nicht verstehen, das alles spricht für eine Reform des Wahlsystems.
Wie schwierig wäre eine Wahlrechtsreform, wie hoch sind die Hürden?
Ich glaube, dass das Wahlrecht reformiert werden könnte, ohne die Verfassung zu ändern. Ich denke, das ist möglich.
Als Europäer hat man das Gefühl, dass das System der „Checks and Balances“, der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten, nicht mehr so gut funktioniert in den letzten Jahren. Täuscht dieses Gefühl?
Ich denke, dass vor allem die Gerichte noch gut funktionieren. Natürlich kann der Präsident Bundesrichter ernennen, die ihm passen – so wie wir es bei Amy Coney Barrett gesehen haben. Aber nach der Ernennung endet seine Macht über die Richter. Der Senat muss die Richter genehmigen. Aber auch er kann sie nach der Ernennung nicht mehr kontrollieren. Trump hat bereits drei Verfassungsrichter ernannt. Aber dennoch hat der Supreme Court, wie ich bereits sagte, zuletzt mehrfach gegen sein Interesse entschieden. Die Unabhängigkeit der Justiz funktioniert also meiner Meinung nach immer noch so, wie sie funktionieren soll.
Warum sind die Auszählungen so kompliziert geworden, warum dauern sie so lange?
Die Amerikaner haben bisher stets die „Transition“, den Übergang von einem Präsidenten zum nächsten, friedlich vollzogen. Dabei lagen auch früher die finalen Wahlergebnisse oft erst nach ein paar Tagen vor. Die Abstände zwischen den Kandidaten waren natürlich meist nicht so eng. Im Zeitalter der sozialen Medien muss aber ja alles viel schneller gehen, auch die Bekanntgabe von Ergebnissen. Aber die sind eben noch nicht final, sondern nur eine Einschätzung auf der Basis von Umfragen und ersten Auszählungen. Der Wahltag selbst ist eigentlich nur der Tag, an dem die Stimme abgegeben werden kann. Die Auszählungen dauern deutlich länger.
Aber auch die aktuellen Zahlen spiegeln doch deutlich die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in zwei Lager wieder. Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Spaltung?
In allen Gesellschaften gibt es Gruppen, die andere Meinungen haben. Die Aufgabe einer Regierung ist es, allen Seiten eine Stimme zu geben und zu friedlichen Lösungen gelangen, die von der Mehrheit akzeptiert werden. In den letzten vier Jahren hat die amerikanische Regierung genau das Gegenteil getan. Mit einer besseren Führung kann diese Spaltung durchaus überwunden werden.