Frau Schock-Werner, Sie verbringen viel Zeit auf Melaten. Auch in Ihrer Kolumne „Auf den Punkt“ war der berühmteste Kölner Friedhof schon häufig Thema. Jetzt folgt von Ihnen ein ganzes Buch. Haben Sie einen Hang zum Morbiden?
Barbara Schock-Werner: Im Gegenteil. Der Auftrag für einen Melaten-Führer war für mich gefühlt ein Lebensretter in der Corona-Zeit. Ich kam vor die Tür, konnte auf Melaten alleine herumlaufen und zuhause dann auch alleine schreiben. Auf dem Höhepunkt der Pandemie stellten gute Freunde fest, dass ich so erstaunlich munter sei. „Ja“, sagte ich, „weil ich ein Buch über einen Friedhof mache“.
Weil mich ihre Geschichten fasziniert haben. Bei den Recherchen hatte ich aber auch viel Kontakt zu den Lebenden, bei denen ich mich nach ihren Vorfahren erkundigt habe.
Sie haben für Ihren Führer 170 Grabmäler ausgewählt. Manche sehr berühmten – wie der Sensenmann – sind nicht dabei. Wie kommt das?
Ich habe absichtlich nicht alle Promi-Gräber auf der „Millionen-Allee“ berücksichtigt, sondern mich stattdessen auch auf den etwas entlegeneren Arealen des Friedhofs umgesehen und dann Grabstätten ausgewählt, die mir wegen ihrer Gestaltung besonders interessant vorkamen oder eben wegen der Lebensgeschichte der dort Bestatteten. Nicht alle Toten auf der Mittelachse sind interessant, und es sollte auch kein Prominentenbuch werden. Gute Geschichten findet man auf dem ganzen Friedhof.
Was macht Melaten so besonders?
Dass es ein großer, alter Friedhof ist, auf dem tatsächlich auch Jahrhunderte alte Grabmäler erhalten sind. Man kann daran sehen, wie sich die das Verhältnis der Menschen zu ihrem Bestattungsort verändert hat. Ausgesprochen spannend ist auch die Vielfalt verschiedener Grabkulturen, die sich der nationalen und religiösen Pluralität der Kölner Bevölkerung verdankt. Zudem ist Melaten ein wunderbares Parkgelände mit mächtigen, alten Bäumen, aber auch mit Hecken und Blumenrabatten.
Zurzeit wird der historische Parkcharakter wieder deutlicher herausgearbeitet, nachdem man in den 1980er Jahren eher dem Wildwuchs gefrönt hatte. Andererseits passt man sich auch dem Lauf der Zeit an – etwa mit einer Art Friedwald oder der Umgestaltung der alten Trauerhalle zu einem „Kolumbarium“ mit Urnennischen.
In Wien auf dem Zentralfriedhof oder in Paris auf dem „Cimetière du Père-Lachaise“ gehören Besuche von Prominenten-Gräbern zum touristischen Programm. Bei wem muss man auf Melaten gewesen sein?
Mit Tendenz zum Lokalkolorit würde ich sagen: Marie-Luise Nikuta, an deren Grab man die „Queen des Motto-Lieds“ über einen QR-Code auf dem Handy singen lassen kann. Dirk Bachs Grab mit Kunstrasen und rosa Sitzbank empfehle ich als besonders skurril. Und alle wollen zu Willy Millowitsch, obwohl das Familiengrab der Millowitschs nicht viel hermacht.
Ihr eigenes Grab kann man auch schon besichtigen – und darüber lesen.
Ich dachte, wenn ich nun schon selber ein Grabmal auf Melaten habe, dann muss es auch in mein Buch über Melaten. Es ist ein Patenschaftsgrab, um das jeder und jede Interessierte sich bei der Stadt bewerben kann. Meines sollte neugotisch sein und irgendetwas mit dem Dom zu tun haben. Das war ich mir als ehemaliger Dombaumeisterin dann doch schuldig. Übrigens hat auch das Domkapitel die Domherrengruft auf Melaten als Patenschaftsgrab.
Das gehört zu den vielen skurrilen Geschichten, die ich in meinem Buch mit besonderem Spaß erzähle. Eigentlich waren die Grabstätten, insbesondere die Prunkgräber auf Melaten, für die Ewigkeit – also unbefristet – verkauft. Dann aber hat die Stadt beschlossen, dass die Ewigkeit vorbei sei, und hat die Gräber kassiert. Das führte vielfach zum Verfall gerade der großen Gräber, weil die bisherigen Besitzer auf einmal nicht mehr zuständig waren. Im Fall des Domkapitel-Grabmals wäre der Rückkauf viel zu teuer gewesen. Darum die Übernahme in Patenschaft.
Ihr Lieblingsgrab auf Melaten?
Ein eigentlich unscheinbares in klassizistischem Stil: das von Maria Catharina Urbach, die 1819 mit nur 25 Jahren gestorben war. Der Witwer Caspar Josef Urbach hat ihr auf weißem Marmor eine lange Liebeserklärung gewidmet, die mich jedes Mal aufs Neue rührt.
Hintergrund: frank&frei mit Barbara Schock-Werner
Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner präsentiert ihr neues Buch „Mein Melaten“ bei „frank&frei“, der Talkreihe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Karl-Rahner-Akademie. Im Gespräch mit Chefkorrespondent Joachim Frank erzählt sie die Geschichte des berühmtesten Kölner Friedhofs und stellt ausgewählte Grabmäler vor. Die Buchhandlung Blücherstraße hält Exemplare des neuen Buchs zum Kauf und Signieren vor.
Montag, 20. Juni, 19 Uhr. Karl-Rahner-Akademie, Jabachstr. 4-8, 50676 Köln. Eintritt: 10 Euro, ermäßigt und mit KStA-ABOCARD 5 Euro.
Karten über die Karl-Rahner-Akademie, Telefon 0221/801078-0, E-Mail info@karl-rahner-akademie.de.
Eine Lesung mit Barbara Schock-Werner findet auch am Donnerstag, 23. Juni, um 18 Uhr auf dem Friedhof Melaten in der Aussegnungshalle statt.
Barbara Schock-Werner: Mein Melaten. Mit Fotografien von Nina Gschlößl, 448 Seiten und detaillierter Lageplan aller 170 vorgestellten Gräber auf der Rückseite des Buchumschlags, Greven Verlag, 32 Euro. (jf)