Das Landgericht sieht das Erzbistum Köln nicht in der Haftung für Verbrechen des Missbrauchsserientäters und Ex-Priesters Hans Ue. Opfervertreter sprechen von Kumpanei.
„Wem glauben Sie?“Schmerzensgeldklage gegen Erzbistum Köln vor dem Scheitern
Für die Pflegetochter des Missbrauchsserientäters und ehemaligen Priesters Hans Ue. zeichnet sich in einer Schmerzensgeldklage vor dem Landgericht Köln eine juristische Niederlage ab. Die heute 57 Jahre alte Melanie F. das Erzbistum Köln als Dienstherrn des Geistlichen auf insgesamt 850.000 Euro verklagt. Ue. hatte F. mit Genehmigung des damaligen Kölner Erzbischofs, Kardinal Joseph Höffner, als Kind zu sich genommen und sie dann in den Jahren von 1979 bis 1985 aufs Schwerste missbraucht. Wegen seiner Verbrechen an anderen Kindern und Jugendlichen wurde Ue. 2022 zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt.
In der mündlichen Verhandlung stellte sich die fünfte Zivilkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Jörg-Michael Bern auf den Standpunkt, der an F. begangene Missbrauch bis hin zur vollendeten Vergewaltigung und das ihr zugefügte Leid seien unstrittig und schrecklich. Doch treffe die Verantwortung im juristischen Sinne ausschließlich den Täter. Die Kirche als Institution sei dafür nicht haftbar.
Er habe aus der Presse und aus Gesprächen ein „wahnsinniges Störgefühl“ vieler Menschen wahrgenommen, wenn unter dem Dach der Kirche Missbrauch begangen wurde, sagte Bern. Es könne dann doch nicht sein, dass die Kirche „nicht bezahlen muss und da einfach so rauskommt“.
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Das aber seien moralische Überlegungen, so Bern, bis vor kurzem noch Strafrichter, unter anderem im Prozess gegen den Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Wenn die Kirche jedoch juristisch als Körperschaft in Anspruch genommen werde, dann hätten allein die Grundsätze des bürgerlichen Rechts zu gelten. Anders gesagt: Es komme letztlich darauf an, ob der Missbrauch „in Ausübung eines öffentlichen Amtes passiert“ sei. Und genau das verneinte das Gericht.
Nun hätten die Anwälte der Klägerin vorgetragen, ein Priester sei nach katholischem Verständnis doch immer im Dienst. Da sei das Gericht „ein bisschen anderer Auffassung“. Kirchliches Recht determiniere nicht staatliches Recht. Maßgeblich für die Bestimmung und die Reichweite der Amtsausübung seien mithin einzig die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Auch er selbst, führte Bern exemplarisch aus, sei „24/7 Richter“ – also jeden Tag, rund um die Uhr. „Aber es gibt Handlungen außerhalb meiner richterlichen Tätigkeit und meiner richterlichen Pflichten.“
Sorgerecht vom Jugendamt Bonn übertragen
Ein von Melanie F.s Anwälten beauftragtes kirchenrechtliches Gutachten hebt demgegenüber darauf ab, dass ein Priester nach dem Amtsverständnis der katholischen Kirche immer im Dienst ist. Darüber könne ein staatliches Gericht nicht einfach hinweggehen. Im konkreten Fall sei speziell die Übernahme einer Vormundschaft im Interesse des Kindeswohls als Ausformung der priesterlichen Pflicht zur Nächstenliebe zu verstehen.
Das Sorgerecht für F. sei dem Priester Ue. seinerzeit vom Bonner Jugendamt übertragen worden, nicht von der Kirche, argumentierte Bern. Höffners Zustimmung sei vergleichbar mit der Billigung einer Nebentätigkeit von Beamten. Wie sich diese dann im Rahmen ihrer genehmigten Nebentätigkeit verhielten, sei nicht Sache des Dienstvorgesetzten. Diesen müsse nur interessieren, dass die Ausübung des Hauptberufs durch die Nebentätigkeit nicht beeinträchtigt ist.
Kölner Gericht sieht noch eine „rote Flagge“
Eine „Red Flag“, eine rote Fahne als Hinweis auf ein Fehlverhalten der Kirchenoberen, das am Ende doch zu einer Haftung führen könnte, sah das Gericht allenfalls in der Frage wehen, ob die Verantwortlichen im Erzbistum oder gar Kardinal Höffner selbst Kenntnis davon hatten, dass Melanie F. und ihr zwei Jahre älterer Pflegebruder schon bei dem damaligen Priesteramtskandidaten Ue. im Kölner Priesterseminar übernachtet hatten und sich das Mädchen dort mit Ue. ein Bett geteilt hatte.
Das Erzbistum bestreitet schon das Geschehen als solches. „Wir haben mit Zeitzeugen gesprochen“, führte Bistumsanwalt Jörn Quadflieg aus. „Das hat niemand bestätigt. Niemand weiß etwas davon.“
„Aber es war so“, beharrten nach der Verhandlung sowohl Melanie F. als auch ihr Pflegebruder Erwin G. im Gespräch auf ihrer Version. „Ich kann mich genau erinnern“, sagte G. Es sei „traurig, dass wir hier als unglaubwürdig hingestellt werden“, fügte F. hinzu.
Unterlagen längst vernichtet
Das Gericht gab den Anwälten der Klägerin bis Ende August Zeit, hierzu noch Beweise vorzulegen. F.s Anwalt Eberhard Luetjohann echauffierte sich merklich über das Ansinnen. „Wem glauben Sie?“, fragte er an den Vorsitzenden Richter gewandft. „Dem Opfer, das dort war, es erlebt hat und sich an alles erinnert?“ Oder der Institution, die Missbrauch jahrzehntelang vertuscht habe. Es habe im Seminar Ein- und Ausgangskontrollen mit Besucherlisten gegeben. Aber die seien längst vernichtet. „Natürlich haben es alle gewusst“, sagte Luetjohann. Ein möglicher Zeuge ist der heutige Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, der zur selben Zeit wie Ue. im Priesterseminar war.
Im Anschluss an die Verhandlung zeigte sich der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, der als Zuschauer im Gerichtssaal saß, fassungslos über die Position des Gerichts. Diese deckt sich im Übrigen weitgehend mit der Argumentation des Erzbistums, dessen Vertreter beantragten, die Klage abzuweisen.
Kirchenrechtler: Völlig schräger Ansatz des Kölner Gerichts
Lüdecke sagte, die Institution Kirche wolle sich aus der Verantwortung stehlen, und das Gericht sei dabei, ihr dafür die Lizenz auszustellen, indem es entscheidende Gesichtspunkte ignoriere. Das theologische Verständnis des priesterlichen Amts sei umfassender als die Begriffsdefinition im weltlichen Bereich. Deshalb könne staatliches Recht nicht einfach auf die kirchlichen Verhältnisse angewandt werden. „Als Kleriker übernimmt der Priester die rechtliche Verpflichtung, sein Leben auf eine bestimmte Weise zu führen“, so Lüdecke. Sexueller Missbrauch sei fraglos ein Verstoß gegen die priesterlichen Pflichten. Zur Amtspflicht eines Bischofs wiederum gehöre es, die Lebensführung seiner Priester zu überwachen und auf die Einhaltung ihrer Pflichten zu achten.
Lüdeckes Tübinger Kollege Bernhard Sven Anuth, ebenfalls als sachverständiger Zeuge im Saal, sprach von einem „völlig schrägen“ Ansatz“ des Gerichts. „Wenn der Richter meint, als Vertreter des Staates über das kirchliche Amtsverständnis urteilen zu können, ist das ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates.“
Der Sprecher der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, gab seiner „blanken Empörung“ Ausdruck. Das Gericht sei mit einer vorgefertigten Meinung in die Verhandlung gegangen, ohne sich zum kirchlichen Amtsverständnis kundig zu machen. „Mal heben sie die Autonomie der Kirche und ihres Amtsverständnisses hervor, dann aber gehört es nicht zum Amt und zur Amtsausübung, wenn der Täter seinem Opfer nach dem Missbrauch noch selbst die Beichte abnimmt. Das ist absurd.“ Katsch sprach von einer „fortdauernden Kumpanei“ zwischen Staat und Kirche. „Die entschuldigen sich gegenseitig, und die Opfer fallen in die Rille.“
Seine Entscheidung will das Gericht am 17. September bekannt geben.