MissbrauchsvorwürfeKölner Bistumsleitung informierte Rom nicht – Darum geht's
- Im Umgang der Kölner Bistumsleitung mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der Amtszeit von Kardinal Meisner rückt auch die Rolle seines Nachfolgers Rainer Woelki ins Zentrum.
- Gegen einen Pfarrer aus Wuppertal wurden 2010 schwere Vorwürfe laut. Seine beiden Nichten werfen ihm vor, sexuell gewalttätig geworden zu sein.
- Wann und was genau das Kölner Bistum über den Fall informiert war, ist noch nicht endgültig geklärt.
Köln – Seit der Hamburger Erzbischof Stefan Heße sich im September gegen Vorwürfe zur Wehr setzte, er habe sich in seiner Zeit als Personalchef des Erzbistums Köln (2006 bis 2012) im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker falsch verhalten, kommen immer neue Einzelheiten zum Vorgehen der Bistumsleitung ans Licht. Wir erklären, worum es geht.
Der Hintergrund
Im Jahr 2018 beauftragte Kardinal Rainer Woelki die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl mit der systematischen Durchforstung aller Kölner Akten zum Umgang der Bistumsleitung mit Fällen sexuellen Missbrauchs. Woelki versprach, am Ende nicht nur mögliches Verschulden zu benennen, sondern auch die Schuldigen. Damit wollte er sich im Missbrauchsskandal bundesweit an die Spitze der Aufklärung setzen.
Im März 2019 verhinderten Einsprüche verschiedener ehemaliger und aktiver Kölner Kirchenfunktionäre die Vorlage des Berichts. Bis zur Klärung persönlichkeitsrechtlicher Fragen durch eigens beauftragte Anwälte bleibt der Bericht unter Verschluss. Kardinal Woelki wollte ihn noch in diesem Jahr veröffentlichen. Wie aus gut informierter Quelle verlautet, ist diese Vorgabe inzwischen mehr als fraglich. Teile des Berichts sowie einzelne darin genannte Fälle sickerten aber inzwischen durch.
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Der konkrete Fall
Im Juni 2010 wurde ein zuletzt in Wuppertal tätiger Pfarrer von zwei seiner Nichten beschuldigt, sie in den 1990er-Jahren sexuell missbraucht zu haben. Nach Anhörung des Geistlichen wurde er von Kardinal Joachim Meisner im Oktober 2010 beurlaubt. Über die Aussagen des Pfarrers und das weitere Vorgehen liegen verschiedene Notizen vor, unter anderem zu einem vermeintlichen Geständnis. Ein eigener Vermerk nach einem Telefonat von Bistumsjustiziarin Daniela Schrader betrifft die Entscheidung, diese Notiz nicht zu protokollieren, so dass sie notfalls – etwa bei Nachforschungen der Staatsanwaltschaft – vernichtet werden könnte.
Der Vermerk trägt ein handschriftliches Kürzel Heßes, die sogenannte Paraphe. Heße bestreitet aber, einer beabsichtigten Vertuschung zugestimmt zu haben. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, geht aus der ursprünglichen Gesprächsnotiz kein Geständnis hervor. Gegenüber der Staatsanwaltschaft gab Heße im Dezember 2010 an, der Verdächtigte habe die Vorwürfe bestritten.
2011 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Pfarrer ein (siehe Interview). Meisner hob dessen Beurlaubung auf und zahlte ihm 3000 Euro Anwaltskosten. Ein eigenes kirchliches Verfahren unterblieb. Die Akten wurden an verschiedenen Stellen archiviert.
Im Zuge von Untersuchungen aller Bistumsakten ab 2016 ergab sich, dass der Fall 2010 nicht der zuständigen Glaubenskongregation in Rom gemeldet worden war. Heße sagt dazu, er habe sich „auf die eindeutige rechtliche Einschätzung der Experten“ verlassen müssen. Das ist an erster Stelle Offizial Günter Assenmacher. Der Chef des Kölner Kirchengerichts ist regelmäßig mit diesen Fragen betraut.
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2019 wurde der Wuppertaler Fall zunächst kirchenintern erneut aufgerollt. Nach einer Anhörung des Pfarrers, der wiederum alle Vorwürfe bestritt, beurlaubte Woelki ihn dennoch und untersagte ihm die Ausübung des Priesteramts. Die Nichten teilten dem Erzbistums mit, dass sie ihre ursprünglichen Vorwürfe jetzt wiederholen würden. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen neu auf und erhob im Juli Anklage.
Die offenen Fragen
Neben den genannten Akteuren könnten weitere Verantwortliche mit dem Wuppertaler Fall 2010 befasst gewesen sein. „Hier ist zunächst an den damaligen Weihbischof Woelki zu denken, der als Regionalbischof für den Nordteil des Erzbistums zuständig war“, sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller, „und natürlich an das »Alter Ego« des Erzbischofs, den damaligen Generalvikar und heutigen Weihbischof Dominikus Schwaderlapp“. Dieser sei qua Amt für alle klerikerrechtlichen Entscheidungen zuständig gewesen.
Außerdem müsse untersucht werden, ob die Bistumsleitung in diesem und anderen Fällen eingehend die Vorgeschichte beschuldigter Kleriker durchleuchtet habe. Die Akten lieferten in solchen Fällen oft Hinweise auf ein nicht adäquates Verhalten. „Damit erfahren aktuelle Vorwürfe dann eine gewisse Plausibilisierung, insbesondere wenn sie sich auf länger zurück liegende Taten beziehen.“