Köln – Die Hitze war groß, die bergige Strecke strapaziös. Am schwierigsten war es, im Dunklen den Sangas-Pass mit seiner langen Steigung zu bewältigen. Alfons Everz hielt durch. Als er nach den 246 Kilometern des Ultramarathons im Süden der Halbinsel Peleponnes in Sparta ins Ziel kam, warf er sein Hütchen in die Luft, sprang hoch, umarmte die Statue des Königs Leonidas und stellte sich in Triumph-Pose. Er war der einzige Deutsche unter den 48 Läufern, die 1983 an den Start des ersten Spartathlon gegangen waren.
Nur 16 von ihnen schafften es bis zum Ziel. Everz, der 28 Stunden und 39 Minuten brauchte, kam auf den vierten Platz – ein herausragender Erfolg in der langen Lauf-Karriere des Kölners. Sie endete, als gesundheitliche Probleme ihn dazu zwangen. In diesem Februar starb er mit 73 Jahren. Seine Frau Dorothea fand ihn tot im gemeinsamen Haus in Esch. Das Herz hatte plötzlich aufgehört zu schlagen.
Kölner begann erst mit 27 Jahren zu laufen
Schon als Kind habe er sich für den Laufsport begeistert, sagte Everz 2017 dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Doch erst mit 27 Jahren begann er, selber zu laufen. Dazu gebracht habe ihn seine Frau, mit der er damals frisch verheiratet war. Sie habe ihm gesagt, er sei zu dick und solle Sport treiben. Everz schloss sich einem Lauftreff an, wurde Mitglied der Turn- und Fechtgemeinde (TFG) Nippes. Seinen ersten Marathon lief er 1977 in Essen. Als er dazu überging, jedes Wochenende 100 Kilometer zu laufen, habe seine Frau mit Scheidung gedroht, erzählte er. Sie arrangierten sich.
Laufen bedeute für ihn, „von Alltagsproblemen abzuschalten“, notierte Everz bei einer Gelegenheit, „die Leistung kommt erst an zweiter Stelle.“ Sein Sohn Daniel sagt, für den Vater sei der „meditative Aspekt“ des Laufens wichtig gewesen. Der Kopf wurde frei, Ängste schwanden, das Selbstbewusstsein nahm zu. „Ich bin dadurch jemand geworden, der öffentlich den Mund aufmacht, wenn ihm etwas nicht passt“, sagte Everz. Bevor er in Griechenland an den Start ging, hatte er unter anderem an der Westdeutschen Marathon-Meisterschaft und den 100-Kilometer-Läufen in Unna teilgenommen. Später lief er unter anderem in Wien, im englischen Humberside und im niederländischen Winschoten.
Fünfter Platz bei dem Spartathlon in Athen
Der Spartathlon geht darauf zurück, dass der Überlieferung zufolge der griechische Botenläufer Pheidippes während der Perserkriege aus Athen losgeschickt wurde, um in Sparta um Hilfe in der Schlacht bei Marathon zu bitten. Pheidippes war 36 Stunden unterwegs. Der britische Langstreckenläufer John Foden überprüfte die historische Darstellung an der Realität, indem er im Oktober 1982 mit zwei Kumpanen die 246 Kilometer von Athen nach Sparta lief. Sie brauchten ungefähr so viel Zeit wie der antike Bote. Seitdem wird jährlich der Spartathlon veranstaltet. Zehn Tage, bevor im September 1983 der erste Lauf dieser Art beginnen sollte, wurde Everz von seinem Trainer bei der TFG Nippes gefragt, ob er mit nach Athen fliegen wolle; ein Vereinskamerad war ausgefallen. Everz sagte zu. Einige Monate zuvor war sein Sohn geboren worden. Deshalb gab seine Frau ihre Zustimmung zur Teilnahme am Spartathlon nur unter der Bedingung, dass er sein Testament machte. So geschah es. Nach seinem Erfolg nahm er 1985 noch einmal am Spartathlon teil und wurde immerhin Fünfter.
Geboren wurde Alfons Everz 1947 in Nippes. Ein „Trümmerkind“ nennt ihn sein Sohn. Everz’ Vater war Konditormeister. In Mauenheim ging der Junge zur Schule, wurde Messdiener. In dieser Zeit lernte er den gleichaltrigen Helmut Gillessen kennen; sie spielten in derselben Fußballmannschaft, doch erst als sie 18 Jahre alt waren, wurden sie enge Freunde. Nach der Lehre zum Elektriker arbeitete Everz in einer Firma von Hans „Jean“ Löring, der als Fußballer und Präsident des FC Fortuna Köln bekannt wurde. In seiner Freizeit tanzte Everz in der Karnevalstanzgruppe „De Höppemötzjer“ mit. Als er Urlaub in Bayern machte, lernte er seine zukünftige Frau kennen, die aus dem Sauerland stammt.
1975 heiratete das Paar, fünf Jahre später bezog es das Reihenhaus in Esch. Alfons Everz, der sich zum Elektrotechniker fortgebildet hatte, arbeitete nun in Düsseldorf in einem Unternehmen für Elektrotechnik und Automation; dort gehörte er jahrzehntelang dem Betriebsrat an. Bis zur Rente mit 60 blieb er Berufspendler. Dorothea Everz, Damenschneider-Meisterin mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung, war 37 Jahre lang für den Kölner Caritasverband im Gut Frohnhof in Ossendorf tätig.
Für die CDU sitzt sie in der Bezirksvertretung Chorweiler. Die Parteizugehörigkeit teilte sie mit ihrem Mann: Alfons Everz, der sich im CDU-Ortsverband Esch/Pesch/Auweiler engagierte, wäre in diesem Jahr für 50-jährige Mitgliedschaft geehrt worden. 1985 wechselte er von der TFG Nippes zur LLG 80 Nordpark Köln.
Anfang 1989 nahm der das intensive Training wieder auf. Es war das Jahr des Mauerfalls. Nachdem er Freunde in Leipzig besucht hatte, entschloss sich Everz nach seinen Worten, „mit einem Lauf in und durch die DDR meine Solidarität auszudrücken“. Mit Langstreckenläufer Erich Tomzig startete er im März 1990 zum „grenzenlosen Lauf von der BRD in die DDR“. Von Düsseldorf ging es über Köln, Leipzig und Berlin zum Kap Arkona auf Rügen.
Wenn Everz in Köln am Ford-Marathon teilnahm, dann gerne kostümiert. So ging er 2002 mit Sternenbanner-Faltenrock, den er zu Ehren eines amerikanischen Freundes trug, FC-T-Shirt und blauer Perücke an den Start. Dem 1. FC Köln fühlte er sich seit jeher eng verbunden. Dass er glühender Fan des Fußballvereins war, fiel unvermeidlich auf: Bei jeder Gelegenheit trug er einen Schal des Clubs. „Der musste immer mit“, so Heijio Fetten, Vorsitzender der LLG 80 Nordpark Köln. Bewusst habe Everz, der einige Aktien besaß, den Schal auch dann getragen, wenn er an Hauptversammlungen teilnahm. Dort habe sich, wenn er es für angebracht hielt, nicht gescheut, kritische Worte an den Vorstand zu richten. „Er hatte keinen Respekt vor hohen Tieren“, sagt Gillessen.
Sportler musste das Laufen wegen Operation aufgeben
Nach einer Darmkrebsoperation war Everz körperlich so eingeschränkt, dass er den extremen Laufsport aufgab. Er verlegte sich aufs Walken, fuhr viel Rad. Andere wären an den körperlichen Einschränkungen „kaputtgegangen“, sagt Gillessen, Everz hingegen sei „unkaputtbar“ gewesen, und niemals habe er geklagt. In der LLG 80 Köln Nordpark blieb er aktiv. Überhaupt sei sein Freund hilfsbereit gewesen, sagt Gillessen. „Er war in seiner Pfarrkirche St. Martinus freiwilliger Beerdigungsbegleiter, bei Pfarrfesten und dem Weihnachtsmarkt in Esch hat er immer mit auf- und abgebaut, und im CDU-Ortsverband hat er beim politischen Frühstück oder Karneval Bier ausgeschenkt.“
Singen als Hobby entdeckt
Unterdessen hatte er die Kölner Mundart und Kultur als Hobby für sich entdeckt. 1997 machte er an der Akademie för uns kölsche Sproch das sogenannte Kölsch-Examen. 2014 wurde er Mitglied im Verein „Fründe vun der Akademie för uns kölsche Sproch“. Bis die Pandemie dem ein Ende setzte, sang er im Chor der „Fründe“ mit. „Er sprach gut und gerne Kölsch, hat fast nie bei den Proben gefehlt und war sehr engagiert“, sagt dessen Pressesprecherin Ulrike Rohr. Nebenher spielte Everz eine Zeitlang im „Theater Schmölzche“ mit; sein Vorbild war Willy Millowitsch. Zweimal wurde er zum Kassenprüfer des Vereins gewählt. Dessen Vorsitzende Josephine Feldmann nennt ihn „gerecht“: Habe es im Vereinsleben „Unstimmigkeiten“ gegeben, habe er sich „für Schwächere eingesetzt“.
Ulrike Rohr hebt hervor, „Vereinsmeierei“ sei ihm gegen den Strich gegangen: „Er hat nicht allem zugestimmt und offen seine Meinung gesagt, das habe ich an ihm geschätzt.“ Sein Sohn Daniel bringt es so auf den Punkt: „Er hatte seinen eigenen Kopf.“
Seine letzte Ruhestätte hat Alfons Everz im Bestattungsgarten des Escher Friedhofs gefunden.