Wie er es bis zum Zoodirektor brachte, lesen Sie hier.
Riehl – Ein Lieblingstier? „Das habe ich nicht“, sagt Theo Pagel. „Ich mag viele Tiere.“ Und schon eilt der Direktor des Kölner Zoos los. Vorbei an den Erdmännchen und den Flamingos. Grüßt nach links und nach rechts. Erzählt vom Kleinen Panda, den er eben auf der Hängebrücke über dem Besucherweg gesichtet hat. Legt am Affenfelsen einen kurzen Stopp ein: „Hier ist immer was los. Sex and Crime.“ Und schiebt schnell noch ein paar Informationen über den legendären Affenwohnsitz nach. Zehn Meter hoch, Überbleibsel einer gigantischen Felslandschaft, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Bewohnt von rund 50 putzmunteren Mantelpavianen. Dieser Felsen, sagt Pagel, sei für ihn das Herz des Zoos. „Doch jetzt gehen wir erst einmal Reibekuchen essen.“
Die Stammheimer, das Herz von Köln-Riehl
Wir schlüpfen durch den Nebeneingang hinaus auf das „Riehler Plätzchen“. Der baumbestandene Halbkreis dient als Parkplatz. Weiße Streifen markieren die Stellplätze, der Boden ist übersät mit den geflügelten Samen eines wuchtigen Ahornbaums. Der Wochenmarkt auf dem Riehler Gürtel ist unser Ziel, denn hier, sagt Pagel, gebe es den besten Reibekuchen weit und breit. Jeden Mittwoch gegen 13 Uhr findet sich der Zoo-Chef mit einem Kollegen vor dem orangefarbenen Verkaufswagen ein, aus dem es so wunderbar duftet, und lässt sich drei der knusprig-braunen Küchlein einpacken. Dazu gibt es einen Klecks Apfelmus.
Doch zunächst wandern ein Stück über die Stammheimer Straße Richtung Boltensternstraße: Zwei Apotheken, zwei Banken, die Buchhandlung BuchKultur, Optiker, Yogastudio, Thaimassage, ein Änderungsatelier, die Bäckerei Merzenich und daneben der Rewe Markt. Dort hängen großformatige Schwarz-Weiß-Fotos aus dem alten Köln an den Wänden: Die Gebirgsbahn im Vergnügungspark 1910, die Kaserne Boltensternstraße Offizierskasino 1910 und natürlich der Kölner Zoo. Der Haupteingang im Jahr 1914 und das altehrwürdige Elefantenhaus, das ein wenig aussieht wie ein Maharadscha-Tempel und heute unter Denkmalschutz steht.„Die Stammheimer Straße ist das Herzstück von Riehl. Hier bekommen Sie einfach alles“, fasst Pagel das Angebot seiner Lieblingsstraße zusammen. Vor der Gaststätte Körner’s sind die Tische verwaist, die Stühle hochkant gestellt, doch das ist der Tageszeit geschuldet.
Die beliebte Kölsch-Kneipe mit dem geschwungenen neonblauen Schriftzug über dem Eingang öffnet erst um 16 Uhr. Im Inneren hängen Fotos des 1989 verstorbenen Schauspielers und Entertainers Peter René Körner, dem Vater von Besitzer Jörg Peter Körner. Über der Gaststätte lebe der Fotograf Rolf Schlosser, weiß Pagel zu berichten. Seit 40 Jahren schieße Schlosser die Fotos für den Kölner Zoo. Außerdem „begärtnere“ er die beiden Bäume vor dem Körner’s. Pagel nickt hinüber zu zwei Quadratmeter Grün hinter einer eher symbolischen Eisenabsperrung – ein kleiner Dschungel mitten im Asphalt. Um den Fuß der Bäume rankt sich Efeu, Rosmarin ist ins Kraut geschossen.
2016 ist Pagel mit Ehefrau Iris und Dackel Karl wehen Herzens fortgezogen aus Riehl. Jetzt lebt er in Overath und pendelt jeden Tag zwischen Kleinstadt und Großstadt. Beruflich sei er jedoch nach wie vor Riehler, betont der Zoodirektor. Früher sei er oft mit dem Hund hinunter zum Rhein und durch die Flora gegangen. „Die Seele baumeln lassen.“ Das vermisse er ein wenig.Neun Jahre hat Pagel mit der Familie in einem wuchtigen, 160 Jahre alten Zehn-Zimmer-Haus auf dem Zoogelände gelebt. Für die Kölner Zoodirektoren habe 156 Jahre lang Residenzpflicht an ihrem Arbeitsplatz bestanden, erzählt er, während wir langsam weiterschlendern Richtung Wochenmarkt. Die Reibekuchen warten. Pagel war der Erste, der mit der 156 Jahre alten Tradition brach. Eine Vertragsänderung machte es möglich. „Unsere beiden Töchter waren erwachsen, die meisten Zimmer standen leer, der Garten war zu groß für uns.“ Also Overath.
Südamerika-Haus wird saniert
Seitdem steht das denkmalgeschützte Direktorenhaus leer und wird umgebaut zu einem Eventbereich mit Gastronomie und Terrasse. Auch das benachbarte Südamerikahaus, 1899 als Vogelhaus eröffnet und „vor 40 Jahren von den Affen übernommen“, wird momentan saniert. Die Fassade soll wieder in ihren Ursprungszustand versetzt werden, erläutert Pagel das millionenschwere Projekt, das Teil des Masterplans 2030 ist. Und schwärmt von Bäumen, die „bis unters Dach wachsen“, und von Affen, „die direkt um Sie herumspringen“.
Pagel weist über die Straße auf ein handtuchschmales weißes Haus. Schuhmacherei steht an der Fassade. Auf dem Firmenschild hocken zwei Raben, aus dem Fenster darüber schaut eine Gans aus weißem Plastik hinaus auf die Stammheimer Straße. Eine kleine Plakette verrät, dass das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Dort, bei Jürgen Fenske, lasse er nach wie vor seine Schuhe reparieren. Seine Blumen kaufe er im Blumenmädchen. Vor dem Eingang des kleinen Geschäfts stehen Kübel mit Oleander und Zierapfelbäumchen. Allein auf seinen gewohnten Besuch im Friseursalon Der Schnitt in der Hittorfstraße wird Pagel demnächst verzichten müssen. „Der bekommt von mir Finderlohn für jedes Haar“, witzelt der 59-Jährige über seine schwindende Haarpracht. Doch Ursula Mattern hat aufgegeben. „Leider muss ich den Salon aus persönlichen Gründen schließen“, teilt sie auf einem Zettel in der Tür mit.
Pagel ist seit 1991 beim Kölner Zoo
Seit 1991 arbeitet Pagel für die AG Zoologischer Garten, zunächst als Kurator für Vögel, Nage-, Huf- und Raubtiere. 2007 wurde er Nachfolger des damaligen Zoodirektors Gunther Nogge. Auch international machte sich der Wahlkölner einen Namen. Pagel ist Mitglied im Verband „European Association of Zoos and Aquaria“, Honorarprofessor an der Universität zu Köln, Mitglied im Tierschutzbeirat NRW und seit 2019 Präsident der „World Association of Zoos and Aquariums“.
Ein Leben ohne Tiere – undenkbar für einen, der schon als Kind Stinktiere züchtete und seiner zukünftigen Frau als erstes Date einen Besuch im Kölner Zoo vorschlug. „Als ich meine Frau kennenlernte, besaß ich einige hundert Tiere. Fische, Frösche, Vögel. Ich habe ihr damals gesagt, dass sich daran wohl auch nichts ändern wird. Dass es einmal 10.000 Tiere sein werden, hat sie allerdings nicht erwartet.“ Auch der Vater, Metzger von Beruf, sei „in Tiere vernarrt gewesen“ und habe ihn am Wochenende regelmäßig mitgenommen in den Zoo, erzählt Pagel. Bereits mit vier Jahren habe er gewusst, was er einmal werden wolle: Zoodirektor. Dennoch schlug er zunächst einen anderen Weg ein: Pagel studierte in Duisburg und Düsseldorf Biologie, Geografie und Pädagogik, um Lehrer zu werden. Und um sich ein „Hintertürchen“ offenzuhalten, falls es mit dem Job als Zoodirektor nicht klappen sollte. „Ich wusste schließlich, wie viele Zoos es in Deutschland gibt und wie rar gesät diese Stellen sind.“
Die Aufgaben der Zoos hätten sich im Laufe der Zeit enorm verändert, sagt Pagel. „Früher ging es darum, den Menschen die Tiere überhaupt einmal zu zeigen. Wer wusste schon, wie eine Giraffe aussieht?“ Heute seien wissenschaftlich geführte Zoos Bildungszentrum, außerschulischer Lernort, Schutz- und Forschungseinrichtung in einem. „Wir wollen die Menschen für Tiere begeistern und ihnen Themen wie Natur- und Klimaschutz nahebringen. Wir leben in einer globalisierten Welt, und wenn in Brasilien der Regenwald brennt, dann geht auch uns das etwas an.“ Spaß sollen die Zoobesucher außerdem haben. „Wir hoffen, dass sie fröhlicher hinausgehen als sie hereingekommen sind.“
Wir biegen ab auf den Riehler Gürtel. Der Riehler Wochenmarkt ist eine Institution seit 90 Jahren und über die Grenzen des Viertels hinaus bekannt. Am Stand der „Rossschlächterei Rolf Nußbaum“ könne man Pferdefleisch kaufen. „Das ist gesünder als Rind.“ Auch Kleidung, Obst und Gemüse, Wild und Geflügel sind im Angebot. Und knusprig-braune Reibekuchen. „Zwei Portionen“, sagt Pagel. „Und bitte mit Apfelmus.“