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Fridays for Future„Die Wahrheit ist, dass wir nicht gut dastehen"

Lesezeit 5 Minuten
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Kölnerin Pauline Brünger ist Sprecherin von Fridays for Future Deutschland

  1. Die Kölnerin Pauline Brünger ist die Sprecherin von Fridays for Future Deutschland.
  2. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt sie, warum sie über den NRW-Koalitionsvertrags schockiert ist.
  3. Sie erläutert, wie Fridays for Future wieder in die Offensive kommen will und wieso sich die Landesregierung in Lützerath „auf etwas gefasst machen kann“.

Der nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag ist unter Dach und Fach. NRW soll erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden und der Kohlausstieg wird auf 2030 vorgezogen. Wie schauen Sie auf das, was da verhandelt wurde?

Brünger: Ich muss sagen, mit ambivalentem Blick. Als Klimaaktivistin habe ich mich sehr gefreut, dass der Kohleausstieg 2030 drinsteht und die Abstandsregeln für Windräder abgeschafft werden. Das sind riesige Erfolge für die Klimabewegung, für die wir lange gekämpft haben. Aber gleichzeitig bin ich schockiert über die Unverbindlichkeit, die er an entscheidenden Stellen enthält.

Zum Beispiel?

Für das Erreichen der Klimaneutralität gibt es kein festgelegtes Datum. Um einen gerechten Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen zu leisten, muss NRW eigentlich schon 2035 klimaneutral sein. In den Verhandlungen konnte man sich jetzt anscheinend noch nicht mal auf die von den Grünen vorgeschlagenen 2040 einigen. So rückt das Einhalten des 1,5 Grad-Ziels in weite Ferne. Auch sonst bleiben viele gute Maßnahmen vage. Da steht dann was von „Vorbereitung“ oder „Prüfstand“. Es gibt zum Beispiel keinen wirklichen Baustopp für Landesstraßen.

Fridays for Future hat den Erhalt von Lützerath zum Kernanliegen gemacht. Nun soll Lützerath – vom Symbolwert mit dem Hambacher Forst vergleichbar – laut Koalitionsvereinbarung abgebaggert werden. Wie wird die Klimaschutzbewegung darauf reagieren?

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Pauline Brünger, Sprecherin von Fridays for Future Deutschland

Klar ist, dass die Menge an Kohle, die wir noch verbrennen dürfen, eingeschränkt ist. Laut den aktuellen wissenschaftlichen Berechnungen darf Lützerath nicht abgebaggert werden, wenn man dieses Budget einhalten will. Deswegen werden wir uns mit dieser Entscheidung der Koalition nicht abfinden. Schon jetzt haben tausende Menschen zugesichert, im Fall einer Räumung vor Ort zu sein und sich der Zerstörung in den Weg zu stellen. Da darf sich die Landesregierung auf etwas gefasst machen.

Wie steht Fridays for Future dazu, dass angesichts des Ukrainekrieges und der Drosselung von russischem Gas die Kohle wieder hoch gefahren wird?

Klar freue ich mich nicht darüber, dass wir das tun müssen. Aber es ist in der aktuellen Situation das kleinere Übel, die schon bestehende Infrastruktur kurzfristig nochmal zu nutzen, anstatt jetzt neue klimazerstörerische fossile Langzeitprojekte aufzulegen. Was ich im Moment sehe, ist eben nicht nur kurzfristige Krisenintervention, sondern langfristige Bemühungen: Klimaminister Habeck will Langzeit-Lieferverträge mit Katar abschließen, Kanzler Scholz setzt sich für neue Gasfelder im Senegal ein - alles Projekte an die wir dann für die nächsten Jahrzehnte gebunden wären. Nochmal: Aus einer internationalen Klimagerechtigkeitsperspektive müssen wir schon in 13 Jahren klimaneutral sein. Selbst ein Kind kann ausrechnen, dass das nicht zusammenpasst.

Das Problem ist doch, dass jetzt zwar alle erkannt haben, dass 100 Prozent erneuerbare Energie der Königsweg ist, um Klimaschutz und Unabhängigkeit von Russland zu verbinden. Aber das ist ja eben nicht innerhalb von ein paar Jahren umsetzbar…

Doch, das geht. Ganz kurzfristig sind wir gerade natürlich in einer wirklich schwierigen Lage. Die letzten CDU-geführten Bundesregierungen haben nicht nur die Abhängigkeit vom russischen Gas verstärkt, sondern auch die Branche der erneuerbaren Energien systematisch kaputt gewirtschaftet. Fehler aus der Vergangenheit dürfen jetzt aber nicht der Grund sein, die gleichen Fehler für die Zukunft in Panik zu wiederholen. Energieexperten und -expertinnen sind sich sicher, dass eine 100-prozentige erneuerbare Energieversorgung bis 2035 möglich ist. Man müsste nur entschiedener vorgehen. Etwa in ganz Deutschland die Abstandsregeln für Windkraft abschaffen, Bürokratiehürden abbauen und die Unterstützung von Kohle, Öl und Gas beenden.

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Durch die Pandemie und jetzt durch den Krieg ist die mediale Präsenz von Fridays for Future eingebrochen. Wie wollt Ihr dem als Bewegung begegnen?

Ich glaube inhaltlich ist allen klar, dass es den Druck der Klimabewegung auf ein sofortiges Ende der fossilen Energie weiter braucht. Gerade brennen in Brandenburg und Sachsen die Wälder. In Indien erleben wir unvorstellbare Hitzewellen und auch hier in Deutschland sind die hohen Temperaturen für alte Menschen eine echte Gefahr. Gleichzeitig verweigert sich die FDP aus ideologischen Gründen so leicht umsetzbaren Maßnahmen wie dem Tempolimit oder stellt das europäische Verbrenneraus in Frage. Währenddessen setzt sich Kanzler Scholz auf dem G7-Gipfel für eine Untergrabung der Beschlüsse der letzten Klimakonferenz ein. Bei allen schönen Worten scheint diese Regierung immer noch zu den größten Irrationalitäten bereit zu sein. Wir haben Glück, dass die Klimabewegung inzwischen so riesig ist. Wir werden uns fossiler Planung vor Ort energisch in den Weg stellen. Sei es in Lützerath oder dort, wo Klimaminister Habeck die neuen LNG-Terminals bauen lässt. Und auch der nächste globale Klimastreik wird kommen.

Mit dem Krieg ist Energiepolitik hoch relevant geworden. Das könnte ja für Fridays for Future auch die Chance sein, ergänzend zur Kritik an der Politik auch mehr Ideen zur Debatte um geringen Rohstoffverbrauch und Energiesparen einzubringen …

Klar wollen wir auch mit dafür sorgen, das Einsparen von Energie zu einem Gemeinschaftsprojekt dieses Landes zu machen. Aber ich fände es total falsch, den Ansatz beim eigenen Verhalten in den Mittelpunkt unserer politischen Arbeit zu stellen. Unsere heutigen Probleme – sei es die Klimakrise oder die Gasknappheit – wurden durch wirtschaftliche Profitgier verursacht. Deswegen sehe ich auch die energieintensiven Konzerne in der Pflicht, sich hier als erstes einzuschränken.

Wie geht es Ihnen nach drei Jahren intensiver Arbeit im Klimaschutz? Ist es nicht frustrierend, immer wieder wie ein Rufer in der Wüste mehr politische Entschiedenheit einzufordern?

Ich glaube, es gibt nicht das eine Gefühl, was meine Stimmung perfekt zusammenfasst. An manchen Tagen bin ich unfassbar genervt und wütend, an anderen freue ich mich, wenn wir etwas zum Positiven bewegen konnten. Insgesamt schaue ich aber sorgenvoll in die Zukunft. Die Wahrheit ist, dass wir im Kampf gegen die Klimakrise weiterhin nicht gut dastehen. Es bleibt viel zu tun und es bleibt nicht viel Zeit.