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„Zwölf Stunden Anspannung“Wie ein Polizist den Einsatz in Lützerath erlebte

Lesezeit 5 Minuten
Polizisten rücken in den von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath vor.

Bereitschaftspolizisten räumen den Braunkohelort Lützerath.

Tagelanger Einsatz im Matsch, Angriffe von Aktivisten – ein Beamter einer NRW-Hundertschaft berichtet von seinem Einsatz in Lützerath.

Nach den Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten in Lützerath werfen sich beide Seiten vor, Situationen durch Gewalt und Provokationen angeheizt zu haben. Vieles ist noch unklar. Die Polizei Aachen spricht von mehr als 70 verletzten Beamtinnen und Beamten, die Aktivisten ihrerseits von teils massiv erlebter Gewalt. Hier schildert der Beamte einer NRW-Hundertschaft den tagelangen Einsatz in Lützerath aus seiner persönlichen Sicht.

Ich war an vier Tagen in Lützerath im Einsatz, jeweils zwölf Stunden plus zwei Stunden An- und Abfahrt. Ich bin schon lange dabei, ich kenne das, aber anstrengend war es trotzdem. Wir haben in Köln in einem Hotel übernachtet, und wenn du abends dorthin zurückgekommen bist, warst du einfach platt. Dann hieß es nur noch: Autos parken, Stiefel saubermachen, damit man nicht das ganze Hotel versaut, essen, duschen und sofort ins Bett. Du willst einfach nur noch deine Ruhe haben und hoffst, dass du sieben Stunden Schlaf bekommst, weil es am nächsten Morgen weitergeht.

Während des Einsatzes stehst du zwölf Stunden lang unter einer gewissen Anspannung. Es regnet, es stürmt, du bewegst dich den ganzen Tag im Schlamm, und das in voller Körperschutzausstattung. Die wiegt locker 20 Kilo. Aber nochmal: Das ist unser Job, da beschwert sich keiner.

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Was ich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, wie sich ein Teil der Aktivisten da aufführt. Und das ist kein kleiner Teil, ich schätze, es waren ein paar tausend. Die überrennen Polizeiketten, greifen Polizeikräfte an, schießen Silvesterraketen auf uns, schmeißen Steine und Molotowcocktails – aber werfen der Polizei später vor, wir hätten die Lage eskalieren lassen. Es gibt ja Fotos und Filme davon, auf denen man sieht, wie Steine auf Bereitschaftspolizisten eingeprasselt sind. Wie Einsatzfahrzeuge beschädigt worden sind. Abgetretene Außenspiegel, zerstochene Reifen, mit Dreck beschmiert.

Ich finde es gut, für Klimaschutz zu demonstrieren und Zeichen zu setzen, Forderungen an die Politik zu stellen. Aber das muss im Rahmen bleiben

Du kriegst Spott und Häme ab, wirst beschimpft mit Parolen wie „Ihr seid der Schlägertrupp von RWE“ oder „Ihr gewissenloses Pack“. Und das in einer Art und Weise – das kam mir manchmal vor wie besessen, wie blind vor Eifer. Ich frage mich: Was geht in solchen Menschen vor? Das hat für mich nichts mehr mit Klimaschutz und friedlichem Protest zu tun.

Ich finde es gut, für Klimaschutz zu demonstrieren und Zeichen zu setzen, Forderungen an die Politik zu stellen. Aber das muss im Rahmen bleiben. Eine Bühne aufzubauen und zu demonstrieren, ist doch völlig in Ordnung. Aber sobald ich Polizeikräfte überlaufe, in Bereiche eindringe, die gesperrt sind oder Steine werfe, ist eine Grenze erreicht. Das ist dann Fanatismus, der zu nichts führt. Ziviler Ungehorsam rechtfertigt nicht alles. Auf der Bühne wurde gesagt: „Macht, was ihr für richtig haltet. Geht, so weit ihr gehen müsst.“ Warum sagt man nicht: „Verhaltet euch friedlich, geht nicht an die Abbruchkante, ihr begebt euch in Lebensgefahr.“

An der Abbruchkante fotografiert

Es gab Leute, die haben sich einen Meter vor der Abbruchkante aufgestellt und sich fotografiert, die fanden das lustig. In Wahrheit schwebten die in akuter Lebensgefahr. Wenn diese Kante abbricht, aufgeweicht vom Regen, dann sind alle verschüttet, dann kann es Todesopfer geben. Diese Leute, die da standen, haben nichts fürs Klima getan, die haben an dem Tag ihren zweiten Geburtstag gefeiert.

Und wir standen unten und haben versucht, die Leute aufzuhalten. Aber du kannst diesen Bereich nicht komplett schützen. Menschenmengen in Bewegung sind wie Wasser, die finden immer eine Lücke. Ich habe gehofft, dass nichts passiert. Und dass wir keine Überlebenden rausziehen müssen.

Menschenmengen in Bewegung sind wie Wasser, die finden immer eine Lücke

Es gab Leute, die haben sich einfach von uns wegtragen lassen. Das war soweit in Ordnung. Es hat uns ja nicht jeder durchbeleidigt.

Aber es gab eben auch die, die zu hunderten vermummt auf uns losgestürmt sind und versucht haben, unsere Ketten zu durchbrechen. Zum Teil ist ihnen das gelungen. Unser Auftrag war es, sie aufzuhalten, und das geht ab einem bestimmten Punkt nur noch mit körperlicher Gewalt. Als jemand, der auf Polizisten losgeht, darf ich mich dann aber nicht beschweren, wenn ich auch mal eine Beule abkriege.

Aktivisten sprachen allerdings von einer dreistelligen Anzahl von Verletzten, schwer und lebensgefährlich Verletzten. Von einem Rettungseinsatz mit Hubschrauber. Aber auch, wenn die Polizei das offiziell dementiert hat – diese Behauptungen setzen sich natürlich erstmal in den Köpfen vieler Leute als Tatsache fest.

Manche behaupteten, die Polizei habe alles niedergeknüppelt, was sich ihr in den Weg gestellt hat. Dass wir Menschenleben in Gefahr gebracht hätten. Die einzigen, die sich in Gefahr gebracht haben, waren jene Aktivisten selber, die vor der Abbruchkante posiert haben oder auf Baumhäuser geklettert sind. Die wurden von uns mit Höhenrettern und großer Sorgfalt da runtergeholt.

Ein weiterer Vorwurf war, die Polizei habe die Pressefreiheit eingeschränkt. Sehe ich ganz anders. Ja, manchmal mussten wir Medienvertreter bitten, ein paar Schritte zur Seite zu gehen, weil wir zum Beispiel eine Arbeitsbühne aufbauen mussten. Aber sonst konnten sich Pressevertreter vor Ort sehr frei bewegen.

Von den immensen Kosten, die ein solcher Einsatz produziert, will ich gar nicht erst sprechen. Das ist Geld, das wir alle bezahlen. Ich weiß nicht, ob das allen auch immer so klar ist.