Eine Aktivistin aus dem Sauerland hat die Zusammenstöße zwischen Polizei und Klimaschützern hautnah miterlebt. Sie macht der Polizei schwere Vorwürfe.
„Ich war voller Adrenalin“Wie eine junge Aktivistin die Großdemo in Lützerath erlebt hat
Nahe der Abbruchkante beim inzwischen vollständig geräumten Dorf Lützerath ist es am Wochenende zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Aktivisten gekommen. Im Regen und auf sehr matschigem Boden versuchten die Aktivisten, erneut in das Dorf hineinzugelangen. Polizisten stellten sich ihnen mit Hundertschaften entgegen. Die Polizei teilte mit, dass die Abbruchkante wegen des Regens einsturzgefährdet und ein Betreten lebensgefährlich gewesen sei.
Shit-Brigade macht die Toiletten sauber
Lena Kohlmann aus Wenden im Sauerland (Nordrhein-Westfalen) war am Freitag nach Lützerath gereist und blieb bis Sonntagnachmittag dort. Seit einem Jahr war sie immer wieder für einige Tage nach Lützerath gefahren und hatte in den Dorfstrukturen gelebt, die Aktivisten sich dort aufgebaut hatten. Das letzte Mal war sie die ersten sechs Tage des Jahres 2023 dort. Sie berichtet, dass die Aktivisten in Lützerath ihr Zusammenleben gut geplant hätten.
„Es gab eine Shit-Brigade, die dafür da war, die Toiletten zu reinigen. Diejenigen durften dann drei Tage nicht kochen, damit die Hygiene eingehalten wird. Das Essen haben wir gemeinschaftlich in der Küfa, die Küche für alle, gekocht. Es war ein Zusammenleben ohne Druck und Hierarchien. Alle haben sehr friedlich miteinander gelebt, es kam nie zu Gewalt.“
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Die Fingerkuppen eingeritzt und Glitzer hineingestreut
Bis die Polizei kam, sagt Kohlmann: „Wenn Polizisten mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagestöcken ankommen, ist klar, von wem die Gewalt ausgeht.“ Die Küfa wurde schnell geräumt und nach nur drei Tagen hatte die Polizei das Dorf schon vor der angekündigten Großdemonstration am Wochenende weitestgehend geräumt. Viele Aktivisten hatten Lützerath friedlich verlassen.
„Was viele gewundert hat, ist, dass sie nicht sieben Tage lang in der Gefangenensammelstelle festgehalten wurden. Sie wurden stattdessen außerhalb des Dorfes freigelassen“, erzählt Kohlmann. Viele Aktivisten hätten sich in Erwartung der Festnahmen die Fingerkuppen eingeritzt und Glitzer hineingestreut, um zu verhindern, dass ihre Identität festgestellt werde. Kohlmann sagt, sie sei traurig und wütend, dass das Zusammenleben in Lützerath nun vorbei sei.
Absurde Situationen im Matsch
Bei der Großdemonstration am Samstag hätten sich schnell Gruppen abgesondert, die der Polizei an der Abbruchkante entgegen stürmten. Auch Kohlmann schloss sich einer dieser Gruppen an. „Mein Ziel war es nicht, in das Dorf zu gelangen, weil mir das mit den ganzen Polizeiketten zu stressig gewesen wäre. Ich wollte die Polizisten beschäftigen und gucken, wie weit ich nach vorne komme, so dass andere Menschen ins Dorf kommen“, sagt Kohlmann.
Der Boden sei so matschig gewesen, dass dies zu absurden Situationen geführt habe. „Ständig sind Menschen steckengeblieben und umgefallen“, erzählt sie. Kohlmann durchbrach eine Polizeikette. „Ich war voller Adrenalin“, sagt sie. Vor ihr habe nun ein Feld und weitere Polizeiketten gelegen. „Am Anfang waren wir nur wenige, aber das hatte einen großen Nachahmeffekt und schnell waren es 5000 Menschen“, schätzt sie. Die Aktivisten formten Menschenketten.
Die Polizisten hätten Gewalt angedroht. „Einzelne Polizisten kamen mit Schlagstöcken und Pfefferspray auf uns zu gerannt.“ Kohlmann entwischte nach eigenen Angaben knapp einem Hieb und atmete „einen Hauch Pfefferspray ein.“ Das Pfefferspray wie die Wasserwerfer hätten die Polizisten bei dem Wind nicht zielgerichtet einsetzen können. Kohlmann ging zur Seite über einen Wall. „Da stand plötzlich eine Reiterstaffel vor uns.“ Das sei der Moment gewesen, an dem sie entschieden habe, den Rückzug anzutreten.
Die Polizei Aachen spricht von 1000 größtenteils vermummten „Störern“, die Polizeiketten durchbrochen und im strömenden Regen zur Abbruchkante des Tagebaus gelaufen seien. Auch habe es gewalttätige Aktionen aus dem Lager der Kohlegegner gegeben. Diese hätten rund 30 Polizeifahrzeuge durch Steinwürfe und Schmierereien beschädigt und 32 Reifen zerstochen. Die Polizei habe zwölf Menschen festgenommen.
Kohlmann sagt dagegen, dass das „Non-Plus-Ultra der Gewalt“ auf Seiten der Aktivisten Schlammwerfen gewesen sei. Sie fordert ein Moratorium für Lützerath. Gutachten zeigten, dass die Braunkohle unter dem Dorf nicht gebraucht werde.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Räumung weitgehend so gelaufen wie erwartet. Allerdings hätten die Wetterbedingungen mit Dauerregen und tiefem Morast den Einsatz erschwert, sagte Andreas Roßkopf, bei der GdP zuständig für die Bundespolizei.