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Analyse zum KohlekompromissSchweres Versäumnis der Grünen in Lützerath

Lesezeit 4 Minuten
Polizeiautos und Polizisten stehen vor der Ortschaft Lützerath.

Polizeiautos und Polizisten stehen vor der Ortschaft Lützerath.

Statt für den Kohlekompromiss zu werben, hat die Parteispitze der Grünen ein Deutungsvakuum gelassen. Eine Analyse.

Die Räumung von Lützerath ist abgeschlossen, fünf Tage nach ihrem Beginn. Der massive Polizeieinsatz am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler, so viel steht fest, hat tiefe Spuren hinterlassen. Bei Polizisten und Klimaaktivisten, die dann doch noch gewaltsam aneinandergerieten. Von Verletzten berichteten beide Seiten nach der Eskalation am Wochenende.

Tiefe Wunden haben auf der politischen Ebene auch die Grünen davongetragen. Ausgerechnet NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), nicht unbedingt als dickster Kumpel des grünen Koalitionspartners bekannt, würdigte es ausdrücklich, dass die Grünen sich in Lützerath „nicht weggeduckt“ und positiven Einfluss auf die Klimaschützer genommen hätten. Ein leicht vergiftetes Lob, bei dem viele Grünen-Anhänger in NRW, vielleicht auch die stellvertretende Ministerpräsidentin und grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur selbst, die Faust in der Tasche geballt haben dürften.

Greta Thunberg nennt Verhalten der Grünen bei Verhandlungen „heuchlerisch“

Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums handelten sich die Grünen schwere Vorwürfe der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ein, die das Verhalten der Partei in den Verhandlungen mit dem Energiekonzern RWE „heuchlerisch“ nannte. Grüne Wirtschaftsminister im Bund und in NRW hatten maßgeblichen Anteil an dem Kompromiss, der den auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier vorsieht – aber eben auch den Abriss von Lützerath.

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Genau hier, im Kampf um Lützerath, liegt ein schweres Versäumnis der Grünen. Weder ihrem Wirtschaftsminister Robert Habeck oder seinem NRW-Pendant Neubaur noch den Parteispitzen in Berlin und Düsseldorf ist es in den vergangenen Monaten hinreichend gelungen, Lützerath in der öffentlichen Rezeption als das zu verankern, wofür es eigentlich stehen sollte: als Symbol für einen mit anderen Parteien, dem Energiekonzern RWE und den Arbeitnehmer-Vertretern erzielten Kompromiss, der eine acht Jahre frühere Beendigung der Braunkohleförderung und -verstromung 2030 vorsieht. Faktisch hätte man ein solches Ergebnis in der politischen Verantwortung einer CDU-geführten Regierung noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten.

Die Grünen haben die Situation in Lützerath unterschätzt

Die Grünen haben es versäumt, Lützerath mit den Argumenten eines breiten, von Politik, Gesellschaft und Industrie getragenen Kompromisses aufzuladen. Stattdessen haben sie die Situation unterschätzt und die Macht der Bilder den zum Teil radikalen Aktivisten überlassen, die den längst verlassenen Weiler in Besitz von RWE jenseits aller Logik und Vernunft zum Schauplatz einer Klima-Entscheidungsschlacht mit der Polizei als Vertretung der Staatsmacht stilisierten, zu einem neuen Sinnbild für das Versagen von Politik und Wirtschaft im Kampf gegen den Klimawandel.

Dass diese Umdeutung weithin gelang, haben die Grünen mit ihrem Deutungsvakuum mit zu verantworten. Argumentativ haben sie bis zum Schluss die Flanke offen gelassen, ob RWE die 115 Millionen Tonnen Braunkohle unter Lützerath benötigt, um die Energieversorgung der Bevölkerung sicherzustellen – oder ob der Konzern nicht einseitig, ungerechtfertigt und ohne wirkliche Not der große Gewinner ist, der seine Interessen am Ende von Hundertschaften der Polizei durchsetzen lässt.

Lützerath wird für die Grünen zur Zerreißprobe

Eigenen Fehlern haben die Grünen eine Zerreißprobe sondergleichen zu verdanken. Ganz offensichtlich zahlen sie jetzt auch in NRW jenen Preis der Macht, den sie in gut einem Jahr Ampelkoalition in Berlin schon mehrfach entrichten mussten. Verantwortliches Regierungshandeln ist nicht immer konfliktfrei mit der eigenen Parteibasis zu haben. Das haben in der Geschichte auch schon die Volksparteien CDU/CSU und SPD mehrfach schmerzhaft erfahren.

Doch gerade weil sich die Partei als alleiniges politisches Kompetenzzentrum und Sachwalterin für den Klimaschutz versteht, rumort es an der Basis jetzt umso gewaltiger. Die Grüne Jugend demonstrierte in Lützerath gegen die Position der eigenen Parteiführung. Viele Grünen-Unterstützerinnen und -Unterstützer sind verärgert und sympathisieren wieder stärker mit der außerparlamentarischen Klima-Aktivistenszene.

Aus der jüngeren Grünen-Geschichte wird neben Lützerath Habecks Diener in Katar auf der Suche des Ministers nach neuen Gasquellen in Erinnerung bleiben. Doch es gibt einen Unterschied zwischen den Bildern aus der Golfregion und dem Rheinischen Revier: Während Habeck aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf unbekanntem Terrain und in einer energiepolitischen Notlage handeln musste, geriet der Fall Lützerath von einem eigentlich gesellschaftlich akzeptierten Kompromiss zum eskalierenden Konflikt. Hieran haben die Grünen als NRW-Regierungspartei einen maßgeblichen, selbstverschuldeten Anteil.