Köln – Kurz vor 17 Uhr joggt er die Treppe hoch, der „Stargast“, wie ihn Lisa-Marie Friede, einer der Kölner Bundestagskandidatinnen, ankündigte. Das Hemd genau so sauber gebügelt und hochgekrempelt, dass ein paar Falten übrig bleiben. In Köln, sagt Robert Habeck, „fühlt man sich nach zwei Minuten nicht mehr alleine.“ Er komme nicht hierher, um Leute zu überzeugen, sondern um die Energiereserven aufzutanken. Sein Flirt mit den hunderten Kölnern, die sich eine halbe Stunde später mindestens verdoppelt haben, beruht auf Gegenseitigkeit.
„Es geht hier nicht darum, dass einzelne Parteien oder Politiker scheitern, es geht um das Vertrauen gegenüber dem Wähler. Wir brauchen jemanden, der klar sagt, was Sache ist. Ist das nicht der Fall, wird das politische Vertrauen zerstört", sagt er und markiert hier, was die Grünen aus seiner Sicht von den Mitbewerbern unterscheidet: Radikale Ehrlichkeit. Ja, es werde Zumutungen geben, um der Klimakrise angemessen zu begegnen. Aber diese Zumutungen „müssen fair und gerecht“ verteilt werden, sagt Habeck.
Eine Handvoll Leute brüllt ihm schon nach wenigen Sekunden wirr und laut die eigene Wut entgegen. Viel mehr Widerspruch sollte es an diesem Nachmittag nicht geben.
Auftritt in Köln: Habeck heiser und müde, aber mühelos
Habeck, der politische Herleiter, ist heiser und müde. Das Stadium des Wahlkampfes lässt sich an seinen Augenringen ablesen: Viel geht nicht mehr. Und dennoch springt er mühelos und routiniert zwischen Klimapolitik und Kabul, zwischen der Corona-Pandemie und seiner persönlichen Dankbarkeit für Angela Merkel umher. Letztere begründet er damit, dass Merkel „nicht wie andere Konservative versucht hat, über Populismus billige Erfolge zu erzielen.“ Diese Dankbarkeit sei aber nicht zu verwechseln mit politischer Dankbarkeit, im Gegenteil.
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Die große Koalition „lässt die Radikalität der Wirklichkeit nicht zu, um nicht gezwungen zu sein, Antworten zu geben.“ Diese Antwortlosigkeit führe in eine Verantwortungslosigkeit, die das Vertrauen in die liberale Demokratie, in die eigene Stimme bei der Wahl, verspiele, sagt Habeck. Lautstarker Applaus ist über die rund 70 Minuten, die er dort oben steht, mehr Regel als Ausnahme.
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Er stimme dem Verfassungsgericht voll und ganz zu, wenn es sage: „Bundesregierung ihr Waschlappen, ändert die Klimaschutzgesetze!“ Gemeint ist die festgestellte Verfassungswidrigkeit des Klimagesetztes.
Robert Habeck sammelt Lacher in Köln
Habeck verlässt den ihm eigenen Modus aus lockerem Intellekt und tiefer Ernsthaftigkeit auch an diesem Mittwoch nie. Köln, das weiß er, ist ein dankbares Pflaster, er sammelt Lacher ein, als er ein laut brummendes Auto kommentiert: „Genauso nicht, Sportsfreund“. Und Jeff Bezos, dem ersten Milliardär im Weltall, der sich neuerdings als hochgradig klimabewusst darstellt: „Dann flieg nicht in den Weltraum, du Knallkopf.“
Ein paar Sätze später dann ein kleines Eingeständnis: In Deutschland „kämpfen wir darum, so stark in eine Regierung zu kommen, dass die Bereitschaft, Antworten zu geben, groß genug ist." Am Heumarkt hat das grüne Milieu zugehört und er hat es als solches adressiert. Den Führungsanspruch für dieses Land? Habeck formuliert ihn nicht mehr so, wie er es im Sommer mal tat. Der Wahlkampf hat Spuren hinterlassen, bei ihm und seiner Partei.