Köln – Eigentlich ging es um Landespolitik. Dazu saßen bei der schulpolitischen Diskussion, zu der die Kölner Stadtschulpflegschaft anlässlich der bevorstehenden Landtagswahl eingeladen hatte, Kölner Landtagskandidaten aller fünf Parteien auf dem Podium. Allesamt mit geballter schulpolitischer Expertise. Aber auf den Nägeln brannte den Eltern vor allem ein Thema: Die fehlenden Schulplätze in der Stadt und das chaotische Verfahren mit Mehrfachanmeldungen. „Wir wollen, dass Schluss ist mit dem Hin und Her der Zuständigkeiten zwischen Land und Stadt. Dass der nur eine mit dem Finger auf den anderen zeigt“, forderte die Vorsitzende Nathalie Binz.
Dass das Verfahren nie mehr so wie in diesem Jahr laufen darf, darüber waren sich die Vertreter aller Parteien einig. „Mehrfachanmeldungen sind unbrauchbar. Es darf sie künftig nicht mehr geben“, konstatierte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Dafür ist das Land am Zug: Das Schulgesetz müsse so verändert werden, dass dies künftig rechtlich nicht mehr möglich sei. Und zwar landeseinheitlich für alle. Auch der schulpolitische Sprecher der SPD, Jochen Ott, bekannte sich dazu, dass das Schulgesetz dementsprechend geändert wird und das Land damit einen Beitrag leisten müsse. Das Gebot, dass es keine Mehrfachanmeldung gibt, müsse für alle gelten. „Es kann nicht sein, dass das, was überall normal ist, in Köln nicht gilt.“
Kölner Eltern fordern Ende des willkürlichen Losverfahrens
Auch das willkürlichen Losverfahren, das Kinder von einem Ende der Stadt in das andere schickt, muss nach Ansicht der Eltern unterbunden werden. Die Stadtschulpflegschaft forderte ein voll digitalisiertes, transparentes Anmeldeverfahren, eine Priorisierung des Schulwunsches und auch die Möglichkeit der Auswahl eines bestimmten Schulprofils. „Eltern müssen wieder die Möglichkeit haben, ein ganz bestimmtes Schulprofil zu wählen. Sie haben meine volle Zustimmung“, sagte Bernd Petelkau (CDU). Die CDU wolle auch wieder eine Priorisierung beim Schulwunsch.
Es müsse endlich wieder ein Bildungsangebot geben, das sich am Kind orientiert, forderte Eileen Woestmann (Grüne). „Losen führt dazu, dass Kriterien wie Begabungen und Wohnortnähe irrelevant werden. Es muss für Schulen möglich sein, rechtssicher und ohne Klagerisiko solche Kriterien anzulegen.“ David Steimel (Volt) sah für die „Kölner Vollkatastrophe“ alle in der Verantwortung: „Alle Ebenen arbeiten nicht zusammen. Wir brauchen ein neues Vergabeverfahren.“ Carolin Butterwegge (Linke) forderte ebenfalls ein Ende des „desaströsen Schwarzer-Peter-Spiels“.
Schulministerin Gebauer sagte, ein digitales Anmeldeverfahren sei „dringend notwendig“ und müsse nun vorbereitet werden. Sie verwies erneut darauf, dass der Ursprung der Misere aber darin liege, dass die Stadt nicht für ausreichend Schulplätze sorge. Die Situation jetzt sei nur ein Vorbote einer weiteren Zuspitzung, die spätestens 2026 droht, wenn der erste G9-Jahrgang ein Jahr länger in der Schule bleibt und gleichzeitig die neuen 5er kommen. Dann brauche es allein in dem Jahr in Köln 4300 neue Plätze.
Um das zu schaffen, forderte Gebauer die Stadt dazu auf, „über alles nachzudenken“ von provisorischen Containerbauten bis zu Aufstockungen vorhandener Gebäude. Auch die Beschulung in Nachbarkommunen müsse in verbindliche Vereinbarungen gegossen werden. So hätten Gymnasien etwa in Dormagen und Hürth in diesem Jahr zahlreiche Kölner Kinder aufgenommen. Dafür müssten diese Schulen dann auch entschädigt werden und dürften etwa nicht auf den Fahrtkosten für die Kölner Schüler sitzen bleiben.
Neben der Digitalisierung stand der Mangel an Ressourcen und Personal in den Schulen im Mittelpunkt der Debatte. Der Physiklehrer eines Kölner Gymnasiums verdeutlichte, wie weit der Mangel geht: Eigentlich sehe der Lehrplan im Leistungskurs Physik 25 Versuche als Pflicht vor. Aber es fehlten in den Kölner Schulen die Mittel, um diese durchzuführen. „Wir kriegen das Geld nicht für vernünftigen Physikunterricht“, konstatierte er. Mit dem Ergebnis, dass diese Versuche jetzt per Videofilm oder Frontalunterricht präsentiert würden.
Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Hauptproblem sind die fehlenden Lehrkräfte: 81.000 Lehrkräfte werden bis 2030 laut einer Untersuchung der Universität Duisburg-Essen bundesweit fehlen. Mathestellen könnten vielerorts schon jetzt nicht besetzt werden und selbst bei einer Aufstockung der Studienplätze wären diese Lehrkräfte ja erst in frühestens sechs Jahren da, konstatierte Steimel (Volt), der selber Lehrer ist. Um die Lage zu verbessern, müsse man den Lehrkräften ermöglichen, sich auch wirklich mit ihrer ganzen Zeit dem Unterricht zu widmen. Es brauche zur Entlastung multiprofessionelle Teams von Sozialarbeitern, Sonderpädagogen bis zu Systemadministratoren und Verwaltungsangestellten.
Mehr Lehrer müssen her, da waren sich alle einig. „Die CDU wird dafür sorgen, dass es in den nächsten fünf Jahren 10.000 neue Lehrer gibt“, versprach Petelkau. Wo die herkommen sollen, blieb offen. „Die gibt es schlicht nicht. Wollen Sie die aus dem Schrank holen?“, erwiderte Woestmann (Grüne). „Wir müssen mehr Menschen motivieren Lehrer zu werden und mehr informieren, was das für ein toller Beruf ist“, sagte Gebauer. Das sei er aber eben bei den Bedingungen nicht, erwiderte die Runde. Bereits 2017 habe Gebauer zugesagt, alle Lehrer unabhängig von der Schulform mit A13 zu besolden. Geschehen sei das immer noch nicht. „Wir brauchen endlich A13 für alle. Das ist ein Beleg von Respekt“, sagte Ott.
Kritik an Yvonne Gebauer: Zusage zur A13-Besoldung noch nicht eingelöst
Aber es sei eben nicht nur das Geld, meinte Steimel. Die Arbeitsbedingungen seien aufgrund fehlender Ressourcen, enormer Arbeitsbelastung und fehlender Wertschätzung einfach nicht attraktiv. Nordrhein-Westfalen ist – trotz steigender Tendenz - unter allen Bundesländern Schlusslicht bei den Bildungsausgaben. „Es fehlt an der Bereitschaft an der Spitze“, sagte Ott. Dabei hätten doch Corona und auch der Ukraine-Krieg gezeigt, was man an Ressourcen frei machen könne, wenn man wolle. „Warum gibt es eigentlich kein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Bildung, so wie für die Bundeswehr?“, fragte Woestmann.