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Gurlitt-Ankäufe während der NS-ZeitKölner Wallraf-Richartz-Museum kaufte Raubkunst

Lesezeit 5 Minuten

Karteikarten mit den Recherechergebnissen zur Zeichnung "Blick über die Dächer von Schandau (1886)" von Adolph Menzel stehen im Wallraf-Richartz-Museum in Köln

Köln – Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum hat während der NS-Zeit dem umstrittenen Kunsthändler Hildebrand Gurlitt zwei Zeichnungen abgekauft. Zumindest eines der Werke, eine Zeichnung von Adolph Menzel, ist nach Angaben des Museums wahrscheinlich als Raubkunst einzustufen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts konnte die Herkunft des Werks rekonstruiert werden: Demnach gehörte es einer jüdischen Familie, die die Zeichnung kurz vor ihrer Flucht in die USA an Gurlitt veräußert hatte. Das Museum werde nun mit der Familie Kontakt aufnehmen, sagte Direktor Marcus Dekiert am Donnerstag.

Das Museum hatte zwischen 1933 und 1945 insgesamt 2500 Meisterzeichnungen und Druckgrafiken erworben, die nun auf ihre Provenienz untersucht werden. Die Herkunft von mehr als 350 Arbeiten habe inzwischen zweifelsfrei geklärt werden können.

Auf welchem Weg gelangte Adolph Menzels Bleistiftzeichnung „Blick über die Dächer von Schandau“ in die Sammlung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums? Mit kriminalistischem Spürsinn folgte Jasmin Hartmann den Spuren des Blattes, das Menzel, einer der erfolgreichsten deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts, während einer Sommerreise 1886 gezeichnet hatte. Seit zwei Jahren betreut Hartmann per Werkvertrag ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanziertes Projekt, mit dem das Wallraf rund 2500 seiner zwischen 1933 und 1945 erworbenen Papierarbeiten „kritisch auf einen möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzug prüft“.

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Dabei machte sie eine beunruhigende Entdeckung: Die Menzel-Arbeit wurde 1939 vom Kunsthändler Hildebrand Gurlitt angekauft. 2013 hatte dessen Sammlung, die in der Münchner Wohnung von Gurlitts Sohn Cornelius entdeckt wurde, eine heftige Debatte um Nazi-Raubkunst ausgelöst.

Das verdächtige Blatt präsentiert das Wallraf jetzt in einer außergewöhnlichen Schau seines Graphischen Kabinetts: „Provenienz Macht Geschichte – Ankäufe deutscher Zeichnungen des 19. Jahrhunderts im Nationalsozialismus“. Untersucht wird unter anderem, ob der Verkauf freiwillig erfolgte, ob das Werk angemessen bezahlt wurde und der Verkäufer frei über die Summe verfügen konnte. „Wir sind dadurch in der Lage“, erklärt Thomas Ketelsen, der Leiter der Graphischen Sammlung, „aktiv an die möglichen Erben heranzutreten“.

Im Fall des Menzel-Blattes ist das bereits geschehen. Die vom Museum kontaktierten Nachfahren zeigten sich überrascht. Hartmanns Recherchen werden in der Ausstellung anhand eines Registerkastens dokumentiert, wodurch der Weg der Zeichnung aus der Sammlung des jüdischen Hamburger Kunstsammlers Albert Martin Wolffson nach Köln nachvollziehbar wird. Nach Wolffsons Tod 1913 gingen Teile der Kollektion an seine Kinder.

Tochter Elsa Helene Cohen floh später mit der Familie ihres einzigen Sohnes vor den Nationalsozialisten in die USA. „Wenige Monate vor ihrer Ausreise veräußert die Familie am 31. Dezember 1938 14 Menzel-Zeichnungen an den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt“, teilt das WRM mit. Das gehe aus dessen vor einigen Monaten entdeckten Geschäftsbüchern hervor, die in der „Lost Art“-Internet-Datenbank einsehbar sind. Gurlitt zahlte dafür insgesamt 3200 Reichsmark, „das ist klar unter Wert“, sagt dazu Jasmin Hartmann“. In dem Konvolut findet sich auch eine Zeichnung mit dem Titel „Dächer“.

Dieses Werk taucht im April 1939 anlässlich einer Menzel-Ausstellung in der Chemnitzer Kunsthandlung Gerstenberger auf, wo das Wallraf die Zeichnung unter dem Titel „Blick auf Schandau“ für die recht hohe Summe von 1400 Reichsmark ankaufte. Gurlitt hatte dafür bloß 300 Reichsmark gezahlt.

Wie funktioniert das Ampelsystem für Raubkunst?

Hartmann hat für ihre Schau ein vierstufiges Ampelsystem entwickelt, das den Verdachtsgrad anzeigt – von Grün für unbedenklich bis Rot für Raubkunst. Die Schandau-Zeichnung ist mit Orangerot (also höchst verdächtig) gekennzeichnet. Nun werden die Eigentumsübergänge überprüft: Wer hat was unter welchen Umständen vom wem erworben? Sollte es sich um Raubkunst handeln, wird das Blatt den Erben zurückgegeben.

Auch Johan Christian Dahls Bleistiftzeichnung „Mitternachtssonne“ wurde bei Gurlitt angekauft. Der hatte die Zeichnung am 13. November 1937 erworben – für 900 Reichsmark von einer noch nicht identifizierte Person namens Spitzner. Am selben Tag verkaufte Gurlitt sie weiter ans WRM für 1200 Reichsmark. Im Inventarbuch des Museums ist das Blatt sogar mit einer kleinen Zeichnung des Inventarverwalters aufgeführt. Hartmann sagt: „Wir werden weiter im Gurlitt-Nachlass forschen“.

Ein grüner Punkt klebt neben Philipp Otto Runges Bleistiftzeichnung „Die Genien auf der Lichtlilie“ (1809). Aus einem Auktionskatalog geht hervor, dass das damals auf 4000 Reichsmark geschätzte gemäldegleiche Blatt vom Düsseldorfer Kunsthändler Hans Bamann im Auftrag des WRM für die seinerzeit abenteuerlich hohe Summe von 10 200 Reichsmark in der Leipziger Kunsthandlung C.G. Boerner ersteigert wurde. Hartmann: „Die Arbeit stammte aus dem Besitz des Runge-Sohnes Otto Siegmund.“ Als Gründungsmitglied des Hamburger Kunstvereins hatte er das Blatt dem Verein überlassen, der es bei Boerner einlieferte.

Für die Ausstellung wählte Hartmann 13 deutsche Zeichnungen des 19. Jahrhunderts aus – von Carl Spitzweg über Anselm Feuerbach bis Julius Schnorr von Carolsfeld. Einen engen Kölnbezug charakterisiert Edward von Steinles Kreidekarton „Die Einbringung der Reliquien der heiligen drei Könige“, die Vorstudie zu einem Freskenzyklus, der 1943 bei der Zerstörung des alten WRM-Gebäudes an der Rechtschule ein Raub der Flammen wurde.

Später gelangte der Karton ins Kölnische Stadtmuseum, das ihn bis 2000 dem Historischen Rathaus auslieh. Jetzt erhielt das Wallraf die Arbeit zurück. Jasmin Hartmann wird noch ein weiteres Jahr forschen und dabei die Ankaufpolitik des Museums rekonstruieren. (mit dpa)

Daten zur Ausstellung:

Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten. Geöffnet bis 31.1.2016, Di.-So. 9-18 Uhr.

Kuratorenführung mit Jasmin Hartmann am 15.11. und 3.12., jeweils um 16 Uhr.

Katalog in der Reihe „Der un/gewisse Blick“: 10 Euro.

Mit einer Ausstellung unter dem Titel „Provenienz Macht Geschichte“ (bis 31. Januar 2016) gibt das Museum einen Einblick in das Forschungsprojekt, das vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste finanziert wird. Für die Ausstellung hat Projektleiterin Jasmin Hartmann exemplarisch 13 Zeichnungen des 19. Jahrhunderts ausgewählt, darunter auch das fragliche Menzel-Werk „Blick über die Dächer von Schandau“. Sie werden mit den dazugehörenden historischen Dokumenten präsentiert, um die Herkunft der Werke und die Recherchearbeit nachvollziehbar zu machen. (dpa)