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„Daumiers Menschen im Museum“Selbst schuld, wer dafür ins Wallraf geht (aber es lohnt sich)

Lesezeit 5 Minuten
Ein Junge zeigt seinem Vater im Museum den Süßigkeitenstand.

Honoré Daumiers Karikatur „Papa, komm, schau doch, was dort Schönes ausgestellt ist!“

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum macht sich mit klassischen Karikaturen von Honoré Daumier über sein Publikum lustig.

Vermutlich waren Herrscherbildnisse schon immer Karikaturen, jedenfalls in dem Sinne, dass sie bestimmte Eigenschaften des Amtsträgers untertänigst übertrieben. Heinrich VIII. und Anna von Kleve heirateten, nachdem sie nichts als schmeichelhafte Porträts voneinander gesehen hatten; die Ehe hielt sechs Monate. In der politischen Karikatur schlug dieses Darstellungsprinzip in sein bis heute gültiges Gegenteil um. Wenn Honoré Daumier (1808-1879) den französischen „Bürgerkönig“ Louis-Philippe als birnenköpfigen Riesen porträtierte, der auf einem Toilettensitz thront, Geldsäcke verschlingt und Adelstitel scheißt, war es mit der Ähnlichkeit ebenfalls nicht weit her.

In seinen Karikaturen nahm sich Daumier den zum Souverän aufgestiegenen Bürger vor

Für Daumier lag die vornehmste Aufgabe der Karikatur darin, das eitle Selbstbild der Herrschenden zur Kenntlichkeit zu entstellen. Neben Königen und Ministern nahm er sich dabei mit Vorliebe den in der Französischen Republik zum Souverän aufgestiegenen Bürger vor. Diesem lauerte er in den großen Kunstausstellungen auf, vor allem der Pariser Salon dürfte Daumier als ein einziges großes Schaulaufen sämtlicher „Typen“ der bürgerlichen Gesellschaft erschienen sein. So begab sich der Karikaturist auf die Höhe seiner Zeit und musste von dieser Sorte kleiner Bürgerkönige nicht einmal Klagen wegen Majestätsbeleidigung befürchten.

Einige Daumier-Karikaturen des Pariser Kunstpublikums sind bereits seit einigen Wochen in der großen Kölner Schau zur Geschichte der modernen Ausstellung zu sehen: „Museum der Museen“. Jetzt legt das Wallraf-Richartz-Museum mit einer Schau im Graphischen Kabinett nach, die ausschließlich „Daumiers Menschen im Museum“ gewidmet ist. Anders als gewohnt, schöpft das Wallraf für dieses kleine Format nicht (vorwiegend) aus eigenen Beständen. Das Defilee der kunstbeflissenen oder von der Kunst erschlagenen Bürger stammt aus einer privaten Sammlung.

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Mehrere Männer starren ehrfürchtig an die Decke über ihnen.

„Besichtigung des neuen Deckengemäldes von Delacroix im Louvre“ (1852) von Honoré Daumier

Bei Honoré Daumier streiten sich die Gelehrten, ob er als Karikaturist bedeutender war oder als Maler und Zeichner, der mit seinem flüchtigen, das Groteske streifenden Strich die Expressionisten beeinflusste und das Werk James Ensors vorbereitete. Den Pariser Salon, einer bereits 1667 gegründeten, aber erst im 19. Jahrhundert zu epochaler Bedeutung gelangten Leistungsschau, kannte er jedenfalls nicht nur aus der Besucherperspektive. Immer wieder reichte er dort erfolgreich Gemälde und Aquarelle ein, sein spöttischer Blick wanderte in alle Richtungen. Er traf Philister und Kenner, Künstler und Kritiker, Juroren und brave Bürger, die einander vor allem während Daumiers aktiver Zeit in Massen durch die bis unter die Decke behängten Ausstellungssäle schoben.

An den Beginn ihrer Schau hat die Kuratorin Ricarda Hüpel die unwichtigste Figur im Trubel des Salons gestellt: den „einflussreichen Kritiker“. Bei Daumier teilt er wie Moses das Meer der hungerleidenden Künstler, die ihre Hüte zum Gruß schwenken oder ihm den Zylinder für eine lobende Erwähnung hinhalten. Der Umschwärmte nimmt die Gunstbezeugungen kaum wahr, sein Blick gilt allein Stift und Papier, die er gleich einer Monstranz vor sich trägt. Während Daumier den Künstlern die Würde von Bittstellern bei Hofe verleiht, ist der Kritiker, als kleiner König ohne Reich, eine lächerliche Gestalt.

Daumiers Kunstwelt ist erstaunlich modern, geradezu alterslos

Auch sonst ist Daumiers Kunstwelt erstaunlich modern, ja alterslos, sieht man von der Mode zur Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Es treten auf: der Angeber, der Klugschwätzer, der Philister, der in jeder neuen Kunstrichtung den Untergang des Abendlands heraufziehen sieht. Man sieht Künstler, deren Ambitionen ihr Talent um Längen schlagen, Bildungsbürger, die ratlos in Ausstellungsheften blättern, und schlichte Gemüter, die vor dem Überangebot an Kunst in die Museumsgastronomie geflüchtet sind. Es geht um Reizüberflutung (die Bilder hingen dicht an dicht), um die Kommerzialisierung des Ausstellungsbesuchs, um die (enttäuschte) Eitelkeit von Porträtierten, unrealistische Schönheitsideale und um die Ausstellung als Bühne weniger der Kunst als der Besucher.

„Der Salon hatte sich in die Pariser Sitten eingeschlichen, wie die Zeitschriften und die Rennen“, schrieb 1875 der Schriftsteller und Kunstkritiker Émile Zola. Die Kunst war im Paris der bürgerlichen Gesellschaft also ein wesentlicher Bestandteil dessen, was man heute Strukturwandel der Öffentlichkeit nennen würde. Diente die Kunst im höfischen Zeitalter vor allem der adligen Selbstdarstellung, wurde sie vom Bürgertum erfolgreich demokratisiert: In guten Jahrgängen drängelten sich beinahe eine Million Bürger um die neuste Kunst – gleich mehrfach zeigt Daumier Salonbesucher, die nach Atem ringen oder „dem Erfinder der frischen Luft“ am liebsten den Hauptpreis verleihen würden. Und doch diente die Kunst weiterhin dazu, sich von anderen Gesellschaftsschichten abzugrenzen.

Ging es bei diesem Sehen und Gesehen-Werden überhaupt um die gezeigte Kunst? Daumier bejaht dies, wenngleich mit einem Augenzwinkern. Eine Frau fragt sich, wie sie mit all den Göttinnen an den Wänden mithalten solle, einige Verfechter des alten Stils gefrieren vor Schreck beim Anblick des medusenhaften Neuen und ein wohlhabender Bürger sorgt sich, ob ihm sein Porträt ohne Kragen und Zylinder überhaupt ähnlich sähe. Jede Prätention wird bei Daumier entweder verlacht oder auf den Alltagsgebrauch zurechtgestutzt.

Die Sympathien des Karikaturisten gehörten vor allem denjenigen, die sich von der Kunst (und ihrer gesellschaftlichen Rolle) nicht einschüchtern lassen, sich über eine freie Sitzbank freuen, den bebrillten Papa zur Kuchenauslage abschleppen wollen oder sich im Restaurant ihr Urteil bilden: „In diesem Jahr bin ich mit dem Salon nicht so ganz zufrieden. Der Schinken lässt schon etwas zu wünschen übrig. Besonders, was die Farbe angeht.“ Besser hätten es auch Zola nicht sagen können.


„Zwischen Nackenstarre und Kunstgenuss: Daumiers Menschen im Museum“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obernmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 23. März 2025. Zur Ausstellung erscheint eine „Daumier-Zeitung“ (5 Euro).

Eröffnung: Donnerstag, 28. November, 18 Uhr. Eintritt frei.