Köln – Patrick Bauer war bis November Sprecher des von Woelki eingesetzten Betroffenenbeirats des Erzbistums. Er trat im Streit über ein von Woelki unter Verschluss genommenes Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl im November zurück. Im Interview spricht er nun über die Vorwürfe gegen den Kölner Kardinal.Herr Bauer, glauben Sie noch an Kardinal Woelkis Zusage, den Missbrauchsskandal im Erzbistum von Grund auf aufzuklären?Patrick Bauer: Es fällt mir zunehmend schwer. Ich verstehe Kardinal Woelki nicht. Ich halte ihn für keinen so guten Schauspieler, als dass er mich mit dem erklärten Willen zur Aufklärung die ganze Zeit hinters Licht geführt haben könnte. Aber wenn ich jetzt die Vertuschungsvorwürfe gegen ihn und seine Reaktion lese, erinnert mich das an die Kokain-Affäre um Christoph Daum, der seinerzeit alles abgestritten hat, bis es ihm nachgewiesen wurde.
Sie meinen, es handelt sich um einen Verdrängungsmechanismus?
Genau das ist mein Gefühl. Alle Kirchenleute in führenden Positionen basteln sich ihre persönliche Erklärung, warum sie etwas getan oder unterlassen haben. Damit ist dann für sie alles in schönster Ordnung. Im Fall O., über den der „Kölner Stadt-Anzeiger“ jetzt berichtet hat, sagt Kardinal Woelki jetzt, der Täter war so krank, da konnte ich nichts mehr ermitteln und nach Rom senden. Im Kirchenrecht steht aber etwas anderes.
Für Sie als Betroffener und ehemaliger Sprecher des Betroffenenbeirats nimmt sich die Entwicklung vermutlich noch einmal anders aus als für andere.Als Betroffener bin ich von den Geschehnissen in Köln maßlos enttäuscht. Sie zeigt mir: Die katholische Kirche insgesamt ist nicht mal mehr ansatzweise in der Lage, adäquat mit dem Missbrauchsskandal umzugehen. Die Bischöfe sind nicht in der Lage zur Aufarbeitung, zu einem angemessenen Umgang mit den Betroffenen. Ob sie es wollen oder nicht, haben sie zuallererst das Interesse, sich selbst zu schützen und die Kirche – zumindest wie sie Kirche verstehen. Das tickt immer im Hinterkopf - bei allem, was sie sagen und das vielleicht sogar ernst meinen.
Und das wundert Sie?
Was jetzt alles ans Licht kommt, macht mich unglaublich wütend. Da liegt beim Erzbistum Köln seit 2019 ein Gutachten zum Fall des Kölner Mehrfach-Täters Nikolaus A. unter Verschluss. Als damaligem Sprecher des Betroffenenbeirats ist mir das nie gesagt worden, und gelesen habe ich das Gutachten dann erst bei Ihnen auf ksta.de.
Was folgt für Sie daraus?
Hätte Kardinal Woelki im März den Schneid gehabt, das fertig gestellte Münchner Missbrauchsgutachten zu veröffentlichen, wäre alles gut gewesen. Dann hätte man sich ein Bild machen und darüber reden können. Und juristische Streitigkeiten mit Beschuldigten aus der Bistumsleitung hätte man eben austragen müssen. Stattdessen kommt jetzt alles stückchenweise ans Licht – und es wird offenbar, dass das System Kirche nur darauf aus war, sich selbst zu schützen.
Es steht ja der Vorschlag einer „Wahrheitskommission“ im Raum, die zum Beispiel in Irland sehr viel Gutes bewirkt hat. Ich glaube nicht mehr, dass es irgendjemanden in dieser Kirche gibt, der das schaffen kann.
Wie sehen Sie persönliche Konsequenzen für den Kardinal?
Ich rufe nicht nach dem Rücktritt des Erzbischofs. Das ist seine Sache. Jeder soll die Konsequenzen ziehen, der er vor seinem Gewissen für erforderlich hält. Angesichts verspielten Vertrauens und verlorener Glaubwürdigkeit muss er sich selbst fragen, was das heißt. Margot Käßmann ist zurückgetreten, weil sie sich nach einer Autofahrt mit zu viel Alkohol als Bischöfin für nicht mehr glaubwürdig hielt. Daran müssen sich Bischöfe messen lassen. Und nicht nur sie. Das Desaster in Köln haben auch andere mit zu verantworten, an erster Stelle Generalvikar Markus Hofmann.