- Christian Boros ist Kunstsammler und Inhaber einer Kommunikationsagentur. Er wuchs in Köln auf und lebt in Berlin.
- Seine Ausstellung „Studio Berlin“ ist zurzeit im Berliner Club Berghain zu sehen.
- Im Gespräch erzählt Boros, wie die Kunst auf die Krise reagiert und warum Köln aus ihr gewinnen kann.
Berlin – Herr Boros, Sie zeigen im legendären, derzeit wegen Corona geschlossenen Berliner Technoclub Berghain eine Ausstellung mit 117 Berliner Künstlern, darunter Stars wie Rosemarie Trockel, Wofgang Tillmans und Olafur Eliasson. Wie kam es zu der Verbindung?
Meine Familie und ich hatten uns in der Uckermark verschanzt, als Ende März ein Anruf des Berghain kam, ob wir uns vorstellen könnten, etwas gemeinsam zu machen. Wir waren fassungslos. Im Berghain etwas für die Öffentlichkeit zu machen, das war eigentlich undenkbar. Aber in dieser Zeit muss man eben völlig neu denken. Uns war klar, man muss diesen Moment, diese Zeit in irgendeiner Form sichtbar werden lassen. Und das geht am besten, wenn man zeigt, wie Künstler gerade arbeiten. Wir brauchen diese Vergegenständlichung kreativer Gedanken und wir brauchen Ideen, wie das Morgen aussehen kann.
Wie wird die Coronakrise denn in der Ausstellung sichtbar?
Keiner der 177 Künstler illustriert unsere Zeit einfach, etwa mit Coronamodellen, das wäre naiv. Sie haben vielmehr viele Monate Zeit gehabt, intensiv über unsere Gesellschaft nachzudenken. Alle derzeit relevanten Themen sind zu sehen, ob Polizeigewalt in den USA, konservative Regime oder die Geschlechterfrage. Aber natürlich auch unsere Isolation, der Wunsch, sich mit Menschen zu treffen und miteinander zu kommunizieren.
War es schwierig, die vielen Künstler unter einen Hut zu bringen?
Normalerweise gleicht eine derartige Ausstellung einem Sack Flöhe. Man fragt einen Künstler an, und dann kommt erst einmal zurück: Wer ist noch dabei, wer macht die Architektur, wie groß ist das Budget? Hier war es so, dass alle Künstler sofort und bedingungslos zugesagt haben.
Die Krise schweißt zusammen.
Es ist mehr als die Krise. Es ist die Gewissheit, dass Egomanie und all jene Verzicktheiten, die ja nicht nur Künstler kennen, nicht in die Zeit passen.
Mythos Berghain
Das Berghain steht für den Mythos Berlin, zu dem auch die Kunstszene maßgeblich beigetragen hat. Wie viel bleibt von diesem Mythos in Coronazeiten?
Der Club ist ja nicht nur deswegen ein Mythos, weil er die härteste Tür der Welt hat. Es ist einer der wenigen Orte wirklicher Freiheit. Solche Orte, in denen sich jeder ausleben kann, sind rar geworden. Das ist einfach der beste Kontext, um Kunst zu zeigen.
Trotzdem gab es zuletzt viele schlechte Nachrichten für die Berliner Kunstwelt. Die Mieten steigen, Galerien mussten schließen, einige prominente Sammler ziehen weg. Macht Corona zeigt nur sichtbar, was ohnehin schon im Argen lag?
Dass eine wirtschaftliche Krise auch den Kunstmarkt erreicht, ist ja verständlich. Und natürlich entwickelt sich eine Stadt wie Berlin immer weiter. Aber ich habe den Eindruck, wir erleben eher eine Krise des Kunstmarkts als eine der Kunst. Es gibt in Berlin weiterhin ein immenses kreatives Potenzial.
Berlin hat Künstler, heißt es oft, und Köln die Sammler. Wie schaut man in Berlin auf die Kunstmarktstadt Köln?
Mit großer Wertschätzung. Auch die Künstler schätzen das bürgerschaftliche Engagement im Rheinland für die Kunst. In eine Galerie zu gehen, ist in Köln und Düsseldorf ja geradezu eine Bürgerpflicht. Und dann wird nicht nur geguckt, sondern auch gekauft.
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Dann müssen all die Kölner Galeristen, die in den 90er Jahren nach Berlin zogen, ja schön blöd gewesen sein.
Die Galeristen wurden von den Künstlern getrieben, weil die in der Hauptstadt ausstellen wollten. Verkauft haben sie aber weiterhin im Rheinland.
Das klingt so, als hätten Sie das Ticket für die Art Cologne im November schon gebucht?
Selbstverständlich. Ich bin mir sicher, dass die Art Cologne ein „Sehnsuchtsort“ sein wird. Die Kunstwelt ist schlichtweg ausgehungert. Das höre ich überall. Der ICE von Berlin nach Köln wird gut gefüllt sein…
Werden Sie auch die zeitgleich stattfindende Cologne Fine Art & Design besuchen?
Ich habe die Cologne Fine Art immer sehr geschätzt. Was ich dort zu sehen bekomme, ist nur mit einem Wort zu beschreiben: Augenfutter. Und die Art Cologne ist, wie Joseph Beuys sagte, Gedankenfutter. Es gibt im November gleich zwei Mal Futter, für die Sinne und für den Kopf.
Berlin ist eine Schlangengrube
Lange hat Köln neidisch nach Berlin geschaut. Wenn man Sie hört, fragt man sich warum?
Es gibt für Köln keinen Grund, neidisch nach Berlin zu blicken, denn zum Glück leben wir in einem föderalen Staat mit einer pluralistischen Kulturszene. Ich schätze die Kölner Galerien ungemein, die ganze Stadt zieht mich weiter magisch an. Ich mag das Positive an Köln, hier sind die Menschen nett, und nette Menschen schaffen etwas. Berlin ist eher eine Schlangengrube.
Oje. Wie halten Sie es dort bloß aus?
Ich bin ja zum Glück oft hier. Und man muss viel reisen und unterwegs sein. Das vermisse ich am meisten. Es ist sehr mühselig, stundenlang mit Maske im Zug zu sitzen.
Sie reisen im Zug?
Ja, und immer in Fahrtrichtung. Alle Philosophen wissen, dass man z.B wandern muss, um etwas Neues zu erfinden. In der Bewegung verfestigen sich Gedanken.
Köln hat alle Chancen
Und auf der Hohenzollernbrücke geht Ihnen das Herz auf?
Ich lächle. Und gehe in den Dom, um mir Gerhard Richters Fenster anzusehen. Das ist für mich die schönste Lichterfahrung der Welt.
Ist Köln derzeit ein Krisengewinner?
Manchmal wird die Schwäche einer Stadt zur Stärke einer anderen. Das ist ein gesundes Rivalitätsverhältnis. Aber Neid hat noch niemals etwas Positives bewirkt. Man sollte schöpferisch werden und Chancen wahrnehmen – und Köln hat so viele Chancen. Wenn ich heute ein junger Künstler wäre, wollte ich nicht dahin gehen, wo schon alle sind. Ich würde leere Stühle suchen statt zu versuchen, jemanden von seinem Stuhl zu schubsen. Köln hat alle Chancen, der jungen Künstlergeneration eine Heimat zu geben.
Haben Sie den Eindruck, dass die Stadt Köln diese Chance nutzt?
Eine zentrale Frage sind die Räume. Die Stadt muss Räume für Künstler zur Verfügung stellen, das ist der Ankerpunkt. Vielleicht löst eine erodierende Handelslandschaft, in der Ladengeschäfte frei werden, hier einen kreativen Schub aus.
Hohe Straße als Kunstmeile
Die Hohe Straße als Kunstflaniermeile?
Ich fände es auf alle Fälle interessanter, von einem Kunstort zum nächsten zu flanieren, als von einem H&M zum nächsten C&A.
Welche Rolle sollten die Kölner Museen für die Kunststadt spielen? Einige haben Probleme.
Die Probleme der Kölner Museen liegen nicht darin, dass sie saniert werden müssen oder teilweise etwas abseits vom Wege liegen. Sie müssen weggehen vom Gedanken, dass man Besucher hat, und hingehen zu dem Gedanken, dass man Gäste hat.
Wie können die Museen gastfreundlicher werden?
Indem man an der Kasse nicht nur Eintritt kassiert, sondern die Gäste willkommen heißt. Indem man mit den Menschen in Dialog tritt und sie nicht einfach nur so rumtapern lässt.
Vorbild Kolumba
Wäre Kolumba ein Vorbild?
Kolumba ist eine Sinneserfahrung, wo es um viel mehr geht, als sich Exponate anzuschauen. Das ist ein Gesamtkunstwerk. Davon können alle Museen etwas lernen, denn die Zeiten der „White Cubes“ sind vorbei. Oder nehmen Sie das Berghain, ein ehemaliges Heizkraftwerk voller störender Dinge und daher als Ausstellungshalle denkbar ungeeignet. Aber das lädt die Kunst gerade besonders auf. Solche Orte sind Versuchsanordnungen für die Frage, wie man komplexer mit Kunst umgehen kann. Museen müssen nicht immer lecker gestrichen sein, da kann der Putz auch mal ein bisschen bröckeln.
Mit bröckelndem Putz können die Kölner Museen dienen.
Das ist der Lauf der Dinge. Wir verwittern alle. Und die Schönheit Kölns kommt ohnehin von innen.